Schonungslose Selbstporträts

Maria Lassnig vor einem ihrer Werke
Maria Lassnig vor einem ihrer Werke © picture alliance / AP Photo / Foto: David Turner
Von Anette Schneider |
Ihre Bilder sind figurativ oder abstrakt, ihre Darstellungen oft drastisch. Eine Retrospektive zeigt nun Arbeiten aus 70 Jahren des Schaffens der Österreicherin Maria Lassnig. Darunter sind viele Werke, die bislang noch nicht in Deutschland zu sehen waren.
Gleich am Eingang hängt auf einer großen, weißen Wand nur ein einziges Bild: Maria Lassnig hockt dort selbstbewusst mit nacktem Oberkörper auf einem Stuhl, in den Händen hält sie einen zerbrochenen Holzstab. Lassnig malte es 1971, da war sie 52 Jahre alt, hatte mit allen kurzlebigen Kunstmoden gebrochen und ging ihren eigenen Weg.

Das macht sie bis heute - und die Ausstellung führt diese Entwicklung anschaulich vor: Sie umfasst expressive Porträts aus den 40er-Jahren, abstrakte Farbexperimente der 50er und ihre berühmten "Körperbewusstseinsbilder", die seit den 60ern entstehen. Mittelpunkt dieser Arbeiten bilden Lassnigs Empfindungen, ihr Innerstes also, das sie ausdrückt in zum Teil drastischen, schonungslosen Selbstporträts. Viele dieser Bilder standen bis vor Kurzem in ihrem Atelier. Günther Höller-Schuster von der Neuen Galerie Graz:

"Also es ist nicht der verbliebene Rest aus dem Atelier, der unverkäuflich ist, weil er so schlecht ist. Das ist tatsächlich die Grammatik sozusagen, die sie immer wieder auch aktiv benützt hat, ja? – und aus der heraus sie Neues schafft."

Manchmal wirkt Lassnigs extrem subjektive Malerei verrätselt, manchmal enervierend egozentrisch. Dann wieder kann sie mitreißen und anrühren, weil für den Außenstehenden plötzlich Gefühle nachvollziehbar werden: So scheinen Mischwesen aus Mensch und Maschine von der Angst vor Fremdbestimmung zu erzählen, Selbstbildnisse mit schwerem Kopf von Trauer, andere von unbändiger Lebensfreude. Und auch bestimmte, immer wiederkehrende Farben lassen sich entschlüsseln.

"Was sie versucht hat, ist eine Katalogisierung dessen zu gestalten für sich. Das ist natürlich auch wieder sehr subjektiv, diese Momente. Sie entwickelt ja auch Farben: Druck beispielsweise hat mit Rot zu tun. Luft, also das Atmen, ist natürlich Blau. Also ist es um die Nase herum Blau."

Lassnig wurde 1919 in Kärnten geboren, wuchs in einfachen Verhältnissen auf, wurde Lehrerin, und begann 1941 ein Kunststudium in Wien. Nach dem Krieg experimentierte sie mit Informel und Tachismus, pendelte zwischen Paris und Wien, lernte Paul Celan und André Breton kennen, und bewegte sich in den aktuellen Wiener Künstlerkreisen. Günter Holler-Schuster:

"Sie war natürlich eine der ganz wenigen Frauen in dem Ganzen. Es hat diese Geschlechterposition für sie nicht sehr günstig gespielt, ja. Die informellen Maler und die Nachkriegsavantgarde in Österreich war eine Machorunde. Sowohl in der Rezeption als auch in den Künstlerkreisen, den Malerkreisen. Und da hat sie es natürlich schwer gehabt in ihrem konsequenten Weg auch. Sie ist ja nie nett geworden. Sie ist ja nie das geworden, was man sagt: Das ist ein glamouröser Aufputz in der Szene. Sie ist immer ernsthafter geblieben als alles, was sonst um sie herum passiert ist."

1971 floh Lassnig aus der österreichischen Enge nach New York. Dort entstanden ihre eindringlichsten Körperbilder: Wunderbar selbstbewusste Akte, in denen sie sich auf witzig-ironische Weise männliche Kunstgeschichte und patriarchale Vorrechte aneignet. Sie malt sich als weiblichen Laokoon, als Falknerin und als reiche Hirtin, die sich lässig einen Esel um die Schultern gelegt hat. Gleichzeitig engagierte sie sich politisch.

"Zu Beginn hat sie Kontakte zu feministischen Bewegungen, die jetzt aber weniger in der Kunst zu finden waren, sondern im Allgemeinen sozialpolitischen Bereich. In der Nähe von ihrem Atelier hat sie sogar eine Niederlassung einer Gruppe gefunden, und dort hat sie begonnen mit Video und Film."

Schon bald nutzte sie diese Medien nicht nur für die politische Arbeit, sondern auch für die künstlerische, und wurde mit Zeichentrickfilmen populär. Humorvoll führt sie in ihnen vor, wie sehr gesellschaftliche Rollenbilder und Erwartungen noch immer die Unabhängigkeit der Frau bedrohen. Einige der Filme laufen in der Ausstellung.

Als Maria Lassnig 1980 nach Wien zurückkehrte, erhielt sie als erste Frau im deutschsprachigen Raum eine Professur für Malerei. Es folgten internationale Ausstellungen und Auszeichnungen.

Und sie malt noch immer. Seit einigen Jahren bevölkern grotesk-amöbenhafte Figuren die Leinwände, die oft beliebig wirken. Doch manchmal gelingen auch Arbeiten mit großer Wucht. Etwa das Bild "Vom Tode gezeichnet": Auf grell-orangefarbenem Grund sieht man dort den Tod, wie er das alte Gesicht Lassnigs malt, als läge es auf einem Sterbebett. Als die Malerin vor einigen Jahren nach ihren Gedanken zum Tod gefragt wurde, erklärte sie:

"Psychologisch gesehen ist das natürlich schon ein Problem. Der junge Mensch glaubt ja überhaupt nicht, dass er mal sterben wird. Und später dann hat man Angst. Dann noch später hat man wieder keine Angst mehr. Und dann kommt wieder eine Angstperiode. Es ist ja furchtbar."