Auf dem Weg in die Unabhängigkeit
Seit 1707 gehört Schottland zur britischen Krone. Geht es nach der Regionalregierung in Edinburgh, ist damit 2016 Schluss. Doch nicht alle Schotten glauben an eine rosige Zukunft außerhalb des Vereinigten Königreichs.
Mit seinem 670 Seiten dicken Weißbuch will Alex Salmond die Stimmung zu seinen Gunsten wenden. Das Ziel: Am 18. September nächsten Jahres soll eine Mehrheit seiner Landsleute dafür stimmen, dass Schottland ein unabhängiges Land wird. Es gehe im Grunde nur um eine Frage:
"Glauben wir, die Menschen, die in Schottland leben und arbeiten, dass wir selbst die besten sind, um die großen Entscheidungen für unsere Zukunft zu treffen."
Alex Salmond, Chef der schottischen Regionalregierung und der regierenden Nationalpartei SNP, glaubt dies zweifelsfrei. Wenn es nach ihm geht, wird Schottland am 24. März 2016 unabhängig - auf den Tag genau 309 Jahre nach der Unterzeichnung des Unionsvertrag mit England:
"Ohne jeden Zweifel würde ein unabhängiges Schottland aus einer Position der Stärke beginnen. Selbstständig haben wir vielversprechendere Perspektiven als jedes andere Land in der Geschichte. Ein unabhängiges Schottland hätte die achthöchste Wirtschaftsleistung und das zehnthöchste Nationaleinkommen pro Kopf in der ganzen entwickelten Welt."
Noch signalisieren Umfragen, dass nur ein gutes Drittel der vier Millionen abstimmungsberechtigten Schotten an die schöne neue Welt eines eigenständigen Landes glaubt. Knapp die Hälfte will weiter zu Großbritannien gehören. Salmond muss also versuchen, mit seinem Weißbuch die noch Unentschlossenen auf seine Seite zu ziehen, Menschen wie den Unternehmer, Milliardär und Philantropen Sir Tom Hunter:
"Wenn es eine kühne Vision für Schottland liefert und in klaren Worten erklärt, warum die nicht innerhalb der Union möglich ist, wäre es eine gute Sache."
Doch die Erklärung, warum Schottland nur außerhalb des Vereinigten Königreichs aufblühen kann, ist auf den 670 Seiten unter der Überschrift "Scotland’s future" etwas mager ausgefallen. Zwar verweist SNP-Vizechefin Nicola Sturgeon darauf, dass es sich um den detailliertesten Entwurf für die Unabhängigkeit eines Landes handle, der jemals veröffentlicht wurde.
"Scotlands future is the most detailes blueprint for the independence of a country ever published."
Ja zur Queen und zur BBC
650 Fragen werden beantwortet, doch das Weißbuch zeichnet über weite Strecken weniger eine realistische Projektion als das Wunschbild eines selbstständigen Schlaraffenlands: reich, sozial gerecht, ökologisch, friedliebend und atomwaffenfrei:
"Ein zuversichtliches Land, eines, das seine eigenen Entscheidungen treffen kann, mit einer wachsenden Wirtschaft, das die Ungleichheit beseitigt, die unser Nation noch immer erschreckt, ein Land, das aber weiterhin enge Bande zu seinen Freunden und Nachbarn im Vereinigten Königreich hat."
Alles, was populär ist, soll bleiben, alles Unpopuläre weichen. Schottland als beste aller Welten. So verspricht die SNP die Beibehaltung der Monarchie, der BBC, der NATO- und EU-Mitgliedschaft oder des britischen Pfundes. Versprechen, die meist ohne die Gegenseite abgegeben werden. Was etwa sagt die EU zu einem Bewerber, der den Euro nicht einführen will, was sagt die NATO zu einem, der die dort stationierten U-Boot-Atom-Raketen abschaffen will? Alistair Darling, der für die Unionisten die "Better Together"-Kampagne leitet, kritisiert, dass es sich die Separatisten um Alex Salmond ein wenig zu einfach machten:
"Er weiß, dass das Land generell ziemlich skeptisch hinsichtlich der Unabhängigkeit ist, und deswegen sagt er bei jeder Gelegenheit: Macht Euch keine Sorgen! Alles wird sich ändern, aber zugleich wird sich nichts ändern. Ihr behaltet die Queen, ihr behaltet das Pfund. Ich halte das für eine völlige Fantasie zu glauben, dass man das Vereinigte Königreich verlassen, aber alle Vorteile behalten kann."
So hat die britische Regierung in Westminster bereits signalisiert, dass sie kein Interesse an einer Währungsunion mit einem anderen Land habe. Doch das Weißbuch verzichtet in Sachen Währung auf einen Plan B. Unklar ist auch, wie die SNP den Ausbau des Wohlfahrtsstaat finanzieren und zugleich die Steuern senken will. Das Londoner Finanzministerium warnt heute, dass die Schotten seinen Berechnungen zufolge rund 1200 Euro jährlich mehr Steuern bezahlen müssten, sollte das Land unabhängig werden.