Schottland-Referendum

Die Ruhe vor dem Sturm

Die Fahnen Schottlands, Englands, des Vereinigten Königreichs und der EU an einem Gebäude in Edinburg.
Noch hängen in Edinburgh die Flaggen Schottlands, Englands, des Vereinigten Königreichs und der EU vereint zusammen. © afp / Lesley Martin
Von Jochen Spengler |
Am Tag der Abstimmung über ihre staatliche Zukunft sind die Schotten ernst und angespannt. Die Befürworter der Unabhängigkeit haben Oberwasser und fordern: "Lasst es uns tun – jetzt."
Es ist eine merkwürdige Stimmung an diesem grauen Schicksalstag in Schottland. Ernst und angespannt – wie die Ruhe vor dem Sturm. Schon als die Wahllokale um sieben Uhr öffnen, kommen die ersten Bürger, um ihr Kreuz zu machen. David im traditionellen Kilt ist einer der ersten, und er hat für die Unabhängigkeit gestimmt:
"Nichts gegen Engländer, das sind feine Leute. Das ist eine Chance und jetzt geht es darum, sie zu ergreifen oder nicht. Wir sind von der Regierungsmacht ausgeschlossen, wegen der Bevölkerungszahlen. Zehn zu eins. Und wir sind eine eigene Nation. Auch in Österreich sprechen sie Deutsch, sind aber eine eigene Nation."
Auch Theresa hat mit Ja gestimmt – auch sie ist Mitte 50. Dann taucht ein junges Paar auf, Anfang 20. Doch auch John und Lucy sind für die Unabhängigkeit:
"Damit Schottland zunächst mal die Gelegenheit bekommt, den zu wählen, der sie repräsentieren soll. Ganz einfach. Ich war zuerst für Nein. Ich bin gewechselt wegen des Mangels an Macht, zum Beispiel die Trident-Atomflotte loszuwerden, die wir Schotten nicht wollen."
Im Braidwood-Wahllokal in Edinburghs Osten ist der Andrang nicht überwältigend, aber stetig. Nach einer Viertelstunde taucht Iris auf, die erste Nein-Wählerin:
"Weil das Vereinigte Königreich ein Staat ist mit vier Ländern, von denen wir nur eines sind. Und wir sollten jene mehr unterstützen, die dazu nicht so sehr in der Lage sind wie wir in Schottland. Es ist sozial verantwortungsvoller, in eine Gemeinschaft einzuzahlen, so dass jeder sich was leisten kann."
Thomas, ein 75-jähriger Rentner, stimmt ebenfalls gegen die Trennung, sie sei ihm viel zu riskant; und die Studenten Ian und Lucy sagen:
"Wir würden uns schämen, Großbritannien zu verlassen, und können dasselbe erreichen, ohne zu gehen."
Schottland ist gespalten. Die letzten Meinungsumfragen sahen das Nein-Lager leicht vorn mit 48 bis 50 Prozent; Ja erhielt zwischen 43 und 47 Prozent. Der Rest war unentschieden.
Am Ende dieses zweijährigen Wahlkampfs hat die Unabhängigkeitsbewegung gestern abend noch einmal kräftig getrommelt. Ministerpräsident Alex Salmond appellierte vor begeisterten Getreuen:
"Schottland Zukunft muss in Schottlands Händen liegen. Es geht um euch, um eure Familie, eure Hoffnungen und Ziele. Lassen wir uns von ihnen nicht einreden, wir könnten es nicht."
Aggressive Einschüchterung von Andersdenkenden
Lasst es uns tun – jetzt. Salmonds Nationalisten haben die Plakatwände und Fensterscheiben mit Yes-Zeichen zugeklebt und die Debatten, auf Straßen, in Pubs und Familien mit ihrer Begeisterung und Leidenschaft dominiert. Voller Energie, aber manchmal auch mit aggressiver Einschüchterung der Andersdenkenden, die als Verräter und Quislinge beschimpft wurden.
Dagegen wehrte sich die "Better Together"-Kampagne, die spät aufwachte, den Labour-Mann und Ex-Premier Gordon Brown in den letzten Tagen zu ihrem Wortführer machte:
"Dies ist unser Schottland. Es sind nicht ihre Flagge, ihr Land, ihre Kultur, ihre Straßen. Sie gehören jedermann."
Bis 22 Uhr Ortszeit haben die Wahllokale geöffnet. Dann werden die Stimmen der 4,3 Millionen Schotten, die sich haben registrieren lassen, ausgezählt. Am Freitagmorgen wird klar sein, ob Großbritannien weiter existiert oder Schottland einen eigenen Weg geht.
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