Stolz und Eitelkeit
Morgen stimmen die Schotten darüber ab, ob sie vom Vereinigten Königreich unabhängig sein wollen. Viele sind stolz auf die eigenen Traditionen und Werte. Manche halten das Reden davon aber für überheblich.
Campingplatz-Manager Chic Lane, der im Südwesten Schottlands in Dumfries Galloway lebt, ist zwar stolz, ein Schotte zu sein. Trotzdem ist er gegen die Trennung vom Vereinigten Königreich:
"Schottlands Identität begann mit den Pikten und Römern. Ich bin kein Historiker, aber es war der Hadrianswall, der die Schotten und die Engländer trennte. Die Schotten bewahren eine Fülle eigener Traditionen: Wir haben die Highland Games – die Hochlandspiele und -tänze, wir haben den Dudelsack, der in aller Welt bekannt ist, wir haben Verrücktes wie das Baumstamm- und das Hammerwerfen. Das wird Schottland bleiben, was auch immer geschieht. Die Schotten sind stolz auf ihre Heimat.
Überall, geh in irgendein Land in der Welt – ich war in Spanien, in Griechenland, in der Türkei – alle lieben die Schotten, nicht die Engländer. Vielleicht bin ich voreingenommen, aber ich bin Schotte und bin stolz darauf."
"Über Jahrhunderte wünschte sich das schottische Volk die Unabhängigkeit von England. Aber über viele Jahre war es das Vereinigte Königreich. Ich persönlich würde mir wünschen, dass es so bleibt. Ich glaube nicht, dass wir glücklicher werden, wenn wir uns trennen. Was uns helfen und jeden in Schottland freuen würde: Wir haben unser eigenes Parlament in Schottland. Wenn die Engländer diesem Parlament mehr Rechte zubilligen würden, brauchten wir kein Referendum und keine Trennung von England."
Reiner Luyken ist Journalist und lebt seit 1978 in Nordwest-Schottland. Ihn stört die ständige Selbstbespiegelung der Schotten und ihr Egoismus:
"Das ist völlig wahnsinnig: Da wird im Grunde von mir als jemand, der hier seit 35 Jahren – nein, es ist ja schon länger jetzt – hier lebt, erwartet, dass ich mich als Schotte gebärde. Ich bin kein Schotte und warum soll ich auch ein Schotte sein? Ich bin Reiner Luyken. Aber wenn man sich nicht als Schotte gebärdet, wird man jetzt ausgeschlossen. Als ich hierher kam, war es eine Gegend, in der unglaublich starke Charaktere die Zeit damit zugebracht haben, Streitgespräche zu führen über alles und jedes. Dieses Element der Bildung, sich selber weiterbilden, mehr wissen und argumentieren – das war eigentlich das Hauptelement hier und das war das Faszinierende.
Und jetzt, wenn sich jemand dem Konsensus nicht anpasst, der wird dafür eigentlich gesellschaftlich sanktioniert, nicht? Und das geht einher mit diesem ganzen wachsenden Nationalismus. Es läuft alles über dieses: 'Wir Schotten, wir sind was anderes, wir sind besser, wir Schotten sind die Allergrößten, wir Schotten haben Sinn für die soziale Gerechtigkeit und wenn wir unabhängig sind, dann wird alles völliges Paradies und die Fähigkeiten, die wir alle haben und die Welt beneidet uns für was wir sind und ... ah, man kann ganz verrückt werden damit.
Also diese Selbstbespiegelung, die stattfindet. Aber andererseits appellieren sie die ganze Zeit an Egoismus: Das ist dann alles unseres, das Öl ist unseres und was wir alles haben, alles gehört uns und dann brauchen wir im Grunde nicht mehr teilen. Also da auf einmal hört die Solidarität und die soziale Gerechtigkeit – oh da hört sie auf. Und das ist eigentlich der Kern dessen, was Nationalismus so unerträglich macht. Wir wollen nicht mehr teilen mit den anderen Briten. "
Barry Hugh Ross, ein 21 Jahre alter Fischer aus Achiltibuie, ist wütend auf die britische Regierung:
"Wenn es um die Unabhängigkeit geht, werde ich mit 'ja' stimmen, ohne Zweifel. Wir sind nicht 'better together', wir sind zwei komplett separate Nationen, vereint durch Bestechung, begangen von der Oberschicht damals 1707. Aber verstehen Sie mich nicht falsch, wenn ich mit 'Ja' stimme, ist das nicht historisch begründet. Wir fördern mehr Öl als Dubai und trotzdem haben wir in manchen Vierteln von Glasgow eine niedrigere Lebenserwartung als im Gazastreifen. Und das in der sogenannten 'entwickelten westlichen Welt'. Die britische Regierung schert sich einen Dreck um die Leute, die in Schottland leben."