Schottland zuerst
Seit 304 Jahren gibt es die Union zwischen England und Schottland. Nun gewinnen die Schotten an Boden, die nicht nur für mehr Autonomie, sondern für ein unabhängiges Schottland kämpfen. Im Regionalparlament in Edinburgh haben die Nationalisten die absolute Mehrheit.
Schon jetzt verfügt das Regionalparlament über mehr Macht als ein deutscher Landtag. Doch das reicht den schottischen Nationalisten nicht. Sie wollen die völlige Unabhängigkeit von England. In einer Volksabstimmung sollen ihre Landsleute darüber entscheiden. Geplant ist das Referendum schon für 2014 oder 2015.
"”Together let’s be the people who build the Scotland of the 21st century, a Scotland of prosperity, a Scotland of independence…”"
Lasst uns Schottland zu Wohlstand und Unabhängigkeit führen, verkündet Alex Salmond in seiner Videowerbung, die auf viele, oft schon ergraute Delegierte herabflimmert. Sie lauschen seiner Botschaft und sind beglückt – ein Parteitag der Schottischen Nationalpartei wie ein Jungbrunnen. Begeistert applaudieren sie ihrer unumstrittenen Nummer eins.
Alex Salmond erinnert von Aussehen und Statur an eine etwas größere und etwas schlankere Ausgabe des Schauspielers Dany de Vito. Seit 2007 ist der humorvolle 56 jährige First Minister in Edinburgh, der Ministerpräsident Schottlands.
Und er ist der Vorsitzende der SNP – der Scottish National Party. Sie wurde vor 77 Jahren gegründet mit dem Ziel, Schottland zur Unabhängigkeit zu führen. In diesem Jahr hat Salmond seine Partei erst einmal zur absoluten Mehrheit geführt.
Bei den Wahlen zum schottischen Regionalparlament im Mai erzielten die sozialdemokratisch orientierten Nationalisten völlig überraschend einen Erdrutschsieg. Die beiden Parteien, die das Vereinigte Königreich derzeit regieren, Konservative und Liberaldemokraten, kamen im Norden nur auf eine Zustimmung von 20 Prozent. Labour landete in seiner einstigen Hochburg bei 29, die SNP dagegen bei 45 Prozent der Stimmen und bei 54 Prozent der Mandate. Umgehend bekräftigte Alex Salmond das Versprechen aus dem Wahlprogramm:
"Das Volk hat der SNP Vertrauen geschenkt, wie niemals einer Partei zuvor während einer schottischen Wahl. Wir werden dieses Mandat nutzen, um voranzuschreiten und die Befugnisse unseres Parlaments zu erweitern. Und wir sollten umgekehrt den Menschen vertrauen. Deswegen werden wir in dieser Legislaturperiode ein Referendum ansetzen und dem Volk Schottlands seine eigene verfassungsmäßige Zukunft anvertrauen."
Tatsächlich könne man das Votum der schottischen Wähler am 5. Mai noch nicht als Votum für die Unabhängigkeit des Landes werten, analysiert Professor John Curtice von der Strathclyde-University in Glasgow das Wahlergebnis:
"Im Mai konnten die Menschen entscheiden, wer die für Schottland effektivste Landesregierung bilden kann. Um die verfassungsmäßige Zukunft ging es aber nicht. Alex Salmond ist ein ungewöhnlich charismatischer Politiker. Mit ihm als First Minister sind immer noch mehr Menschen zufrieden als unzufrieden. Seit der Dezentralisierung 1999 hat die SNP ihre beste Mannschaft nach Holyrood geschickt. Im Gegensatz dazu sind die guten Leute von Labour ins Parlament nach Westminster gezogen und in Holyrood spielt nur ihre Ersatzelf. Das haben die Wähler erkannt und deswegen so überwältigend für die SNP gestimmt."
Seitdem kann die Partei vor Selbstbewusstsein kaum laufen. Nicola Sturgeon ist erst 41, aber die Stellvertreterin Salmonds in Regierung wie Partei. Eine zierliche Frau mit spitzem Kinn, schmalen Lippen und eisernem Willen – der Liebling der Basis.
"Die anderen Parteien fordern uns auf auszusprechen, was Unabhängigkeit meint. Dann lassen Sie es mich aussprechen: Unabhängigkeit bedeutet, nicht mehr länger zusehen zu müssen, wie unser nationaler Reichtum von Westminster-Regierungen vergeudet wird."
Das spricht den meisten aus der Seele hier. Nach fast acht Jahrzehnten Parteiarbeit sollen jetzt die Weichen Richtung Unabhängigkeit gestellt werden. Pam ist 50, Gary halb so alt, aber beide sind überzeugt, dass Schottland wirtschaftlich besser dran wäre, wenn es selbst entscheiden und über die Ressourcen Öl und alternative Energien allein verfügen könnte. David ist schon fünfundsiebzig mit Halbglatze, das verbliebene, weiße Haar schulterlang. Stolz trägt er seinen Kilt, einen Schottenrock mit gelb-blauem Karomuster und sagt:
"Früher habe ich geglaubt, dass die Machtverlagerung, die Regionalisierung genügen könnte. Aber jetzt glaube ich, dass nur die völlige Unabhängigkeit funktioniert. Eine unabhängige Regierung kann dann anschließend ja Teile ihre Souveränität abgeben, wenn sie will. Kein Land ist ja völlig unabhängig in der modernen Welt."
Schon jetzt ist Schottland in weiten Bereichen autonom. Es verfügt über ein eigenständiges Rechts- und Kirchensystem. Es pflegt den eigenen Dialekt, hat eine eigene Flagge, eigene Nationalmannschaften, ob Fußball oder Rugby, sogar eigene Pfundnoten. Die so genannte Devolution, die unter Tony Blair eingeführte Dezentralisierung der Macht, hat dem Norden 1999 ein eigenes Parlament beschert, das über mehr Befugnisse als ein deutscher Landtag verfügt. In Holyrood, dem Regierungsviertel in Edinburgh, wird über Gesundheit, Erziehung, Umwelt, Polizei, Tourismus, Landwirtschaft und anderes mehr entschieden.
Doch wichtige Bereiche wie Soziale Sicherheit, Arbeitsmarkt, Energie – vor allem aber Finanzen, Außen- und Verteidigungspolitik werden nach wie vor in London bestimmt. Nicht mehr lange, geht es nach dem Willen der SNP.
Die Mehrheit der Schotten von der Unabhängigkeit zu überzeugen, wird nach Ansicht des Politikwissenschaftlers John Curtice, aber nicht so einfach sein.
"Wenn man die Umfragen insgesamt betrachtet, sieht es so aus, als ob die Unterstützung für die Unabhängigkeit eine Minderheitsmeinung in Schottland bleibt. Es hängt natürlich ein wenig davon ab, wie die Fragen gestellt werden. Aber wenn die Leute gefragt werden, sich zu entscheiden zwischen einem höheren Grad der Dezentralisierung, der völligen Unabhängigkeit oder gar keinem eigenem Parlament, dann stimmt nur ein Viertel bis ein Drittel für die Unabhängigkeit. Dieses Verhältnis hat sich offenbar nicht wesentlich verändert seit dem Beginn der Devolution 1999 oder seit der Regierungsbeteiligung der SNP ab 2007."
Die Analyse des Politikwissenschaftlers wird bestätigt, hört man sich bei den Men-schen in Inverness um, dem Tor zu den Highlands. Schnell fließt der flache, breite River Ness durch das saubere, blumengeschmückte Städtchen. Wie überall in Schottland flattern viele blaue Flaggen mit dem weißen Andreaskreuz. Der Union Jack, die Flagge Großbritanniens, ist dagegen deutlich weniger oft zu sehen. Pubs werben auf Tafeln mit der Live-Übertragung der Rugby-WM und preisen Haggis an, Schafsmagen mit Innereien gefüllt, eine schottische Spezialität. In vielen Schau-fenstern warten Lammwollpullover, Schals und Schottenröcke auf Käufer. Doch davon abgesehen findet man in Inverness die gleichen Supermarkt- und Schnellimbissketten wie in England. Obwohl es sich hier um das Kernland der schottischen Nationalpartei SNP handelt, nehmen viele Einwohner den Parteitag gar nicht zur Kenntnis. Begeisterte Separatisten scheinen sie auch nicht zu sein.
Junge:
"Nein, Schottland ist Teil Britanniens und sollte nicht unabhängig werden."
Mädchen:
"Ich weiß nicht, hängt davon ab, wer uns führt."
Mann:
"Ich würde mich freuen, wenn die Macht beim Vereinigten Königreich bliebe und nicht abgespalten würde."
Frau:
"Nein, wir würden nicht überleben."
Mann:
"Ich bin mir nicht sicher, ich kann es nicht sagen."
Mädchen:
"Nein, wir haben nicht genug Geld."
Junge:
"Ich bin durch und durch britisch."
Junge:
"Ich bin unentschieden, aber es macht nicht viel Unterschied, was soll’s?"
"Das Volk ist tatsächlich zufriedener mit der Union als früher,"
erklärt Professor John Curtice und macht auf eine scheinbare Paradoxie aufmerksam:
"Dadurch, dass Schottland von einer effektiveren Regionalverwaltung als früher regiert wird, die insbesondere offen und willensstark Schottlands Interessen gegenüber der Londoner Regierung verteidigt, sagen viele Schotten: das ist gut. Die Devolution funktioniert, wie wir es wollten. Deswegen denken seit 2007 weniger Leute, dass Schottland finanziell benachteiligt wird und nur England von der Union profitiert. Sie glauben eher, dass die Existenz des schottischen Parlaments dafür sorgt, dass Schottlands Stimme innerhalb der Union gehört wird. Es liegt schon eine Ironie darin, dass die SNP bis zu einem gewissen Grad die Union akzeptabler gemacht hat."
Tatsächlich signalisieren Umfragen, dass für eine Finanzautonomie, schon jetzt zwei Drittel der Schotten stimmen würden. Die zumindest soll erreicht werden. Allein die Ölquellen vor den Küsten sind noch auf Jahrzehnte nicht erschöpft und werfen der-zeit Steuereinnahmen von 13 Milliarden Pfund ab, die die Regierung in Westminster kassiert. Schottland dagegen erhält nach einer ausgeklügelten Formel rund 30 Milli-arden Pfund Zuwendungen aus London. In der sogenannten Scotland Bill will West-minster die Formel demnächst verändern – zulasten Schottlands, sagt der Ökonom:
"Ich halte es für schlechter als jetzt. Das Problem mit der Scotland Bill ist, dass sie der schottischen Regierung weder das Recht gibt, Kredite aufzunehmen, noch Steuerhoheit gibt. Wenn eine schottische Regierung die Kontrolle über die Unternehmensteuer hätte, andere Steuern erheben und die Arbeitsmarktpolitik bestimmen könnte, dann wäre es besser.
Die Schotten traten der Union 1707 bei. Es war eine Vernunftehe, denn es gab Vorteile mit England zusammenzugehen. Und sie behielten die Kontrolle über viele institutionelle Unterschiede: Recht, Religion, Geld, eine andere Identität. Was den Britischen Staat geformt hat, waren Religion und Krieg. Religion und Krieg schmiedeten die Briten zusammen.
Dankenswerterweise spielt Krieg heute keine Rolle mehr und Religion im säkularen Staat auch nicht. Es war eine Weile nett, britisch zu sein. Aber, offen gesagt – was soll’s?"
David McCrone meint, dass es eine quasi natürliche, kaum aufzuhaltende Entwicklung hin zur Unabhängigkeit gibt, vielleicht über den Zwischenschritt einer weitgehenden Autonomie.
In den Augen der meisten Schotten hat die britische Regierung schlechte Karten, was auch immer sie tut. Erst recht, wenn in London die Tories am Ruder sind. Deren wirtschaftsliberale Politik kommt in Schottland, wo die Mehrheit denkt, der Staat möge für soziale Gerechtigkeit sorgen, nicht gut an und lässt viele weiter auf Distanz gehen.
"Die Leute werden sagen: warum? Warum? Erklärt uns, wo die Vorteile liegen, zu bleiben. Politisch, materiell. Und dann lautet die Antwort: aber es ist doch eine gute Sache – und überhaupt: die Geschichte. Geschichte? Die ist tot. Warum soll Schottland Teil des United Kingdom bleiben? Sie haben keine gute Antwort darauf. Abgesehen von Sentimentalität: wir waren doch solange zusammen... Kein gutes Argument!"
sagt David McCrone, der Schotte, der in der prachtvollen, stolzen Hauptstadt Edinburgh lehrt, dem Regierungssitz.
Sein Kollege John Curtice sieht das völlig anders und das könnte auch daran liegen, dass er im englischen Cornwall geboren ist und in Glasgow lehrt, der regierungsfernen, wenig ansehnlichen Arbeiterstadt und ehemaligen Labourhochburg. Gerade die vielfältigen familiären und freundschaftlichen Verflechtungen im Vereinigten Königreich, würden eine endgültige Trennung schwierig machen, sagt er. Es gehe nicht nur um ökonomische Vorteile, sondern auch um emotionale Bindungen, um Identität und Gefühle.
"Wenn man Leute befragt: Wie würden Sie sich fühlen, wenn sie am Morgen aufwachten und Schottland unabhängig wäre? Würden Sie sich zuversichtlich oder besorgt fühlen, dann sagen mehr als die Hälfte: besorgt. Die SNP muss nicht nur die Leute von ihrem ökonomischen Argument überzeugen, sondern auch mit dem offensichtlichen Unwohlsein über die Aufkündigung der Union fertig werden.
Es gibt in gewisser Hinsicht durchaus noch eine gemeinsame Identität, auch wenn sie in Schottland weniger ausgeprägt ist, als in England oder Wales. Und wir teilen noch einige politische Institutionen: Wir haben dieselbe Verteidigungs- und Außenpolitik. Es gibt eine britische Armee, die auch in Schottland geschätzt wird. Und wir haben noch die BBC, und wir haben die Queen."
Ach die Queen, winkt David McCrone ab und widerspricht seinem Kollegen. Die Schotten scherten sich nicht um die Monarchie, sie seien nicht antimonarchistisch, aber sie wollten damit nicht belästigt werden.
First Minister Alex Salmond hat jedenfalls einen möglichen königlichen Stolperstein auf dem Weg zur Unabhängigkeit vorsorglich beiseite geräumt. Natürlich werde auch ein unabhängiges Schottland stolz und glücklich sein, Ihre Majestät als Staatsoberhaupt zu behalten, versichert er und lächelt verschmitzt:
"”We’ll be very proud and happy to have our Majesty the Queen as Queen of Scots.”"
"”Together let’s be the people who build the Scotland of the 21st century, a Scotland of prosperity, a Scotland of independence…”"
Lasst uns Schottland zu Wohlstand und Unabhängigkeit führen, verkündet Alex Salmond in seiner Videowerbung, die auf viele, oft schon ergraute Delegierte herabflimmert. Sie lauschen seiner Botschaft und sind beglückt – ein Parteitag der Schottischen Nationalpartei wie ein Jungbrunnen. Begeistert applaudieren sie ihrer unumstrittenen Nummer eins.
Alex Salmond erinnert von Aussehen und Statur an eine etwas größere und etwas schlankere Ausgabe des Schauspielers Dany de Vito. Seit 2007 ist der humorvolle 56 jährige First Minister in Edinburgh, der Ministerpräsident Schottlands.
Und er ist der Vorsitzende der SNP – der Scottish National Party. Sie wurde vor 77 Jahren gegründet mit dem Ziel, Schottland zur Unabhängigkeit zu führen. In diesem Jahr hat Salmond seine Partei erst einmal zur absoluten Mehrheit geführt.
Bei den Wahlen zum schottischen Regionalparlament im Mai erzielten die sozialdemokratisch orientierten Nationalisten völlig überraschend einen Erdrutschsieg. Die beiden Parteien, die das Vereinigte Königreich derzeit regieren, Konservative und Liberaldemokraten, kamen im Norden nur auf eine Zustimmung von 20 Prozent. Labour landete in seiner einstigen Hochburg bei 29, die SNP dagegen bei 45 Prozent der Stimmen und bei 54 Prozent der Mandate. Umgehend bekräftigte Alex Salmond das Versprechen aus dem Wahlprogramm:
"Das Volk hat der SNP Vertrauen geschenkt, wie niemals einer Partei zuvor während einer schottischen Wahl. Wir werden dieses Mandat nutzen, um voranzuschreiten und die Befugnisse unseres Parlaments zu erweitern. Und wir sollten umgekehrt den Menschen vertrauen. Deswegen werden wir in dieser Legislaturperiode ein Referendum ansetzen und dem Volk Schottlands seine eigene verfassungsmäßige Zukunft anvertrauen."
Tatsächlich könne man das Votum der schottischen Wähler am 5. Mai noch nicht als Votum für die Unabhängigkeit des Landes werten, analysiert Professor John Curtice von der Strathclyde-University in Glasgow das Wahlergebnis:
"Im Mai konnten die Menschen entscheiden, wer die für Schottland effektivste Landesregierung bilden kann. Um die verfassungsmäßige Zukunft ging es aber nicht. Alex Salmond ist ein ungewöhnlich charismatischer Politiker. Mit ihm als First Minister sind immer noch mehr Menschen zufrieden als unzufrieden. Seit der Dezentralisierung 1999 hat die SNP ihre beste Mannschaft nach Holyrood geschickt. Im Gegensatz dazu sind die guten Leute von Labour ins Parlament nach Westminster gezogen und in Holyrood spielt nur ihre Ersatzelf. Das haben die Wähler erkannt und deswegen so überwältigend für die SNP gestimmt."
Seitdem kann die Partei vor Selbstbewusstsein kaum laufen. Nicola Sturgeon ist erst 41, aber die Stellvertreterin Salmonds in Regierung wie Partei. Eine zierliche Frau mit spitzem Kinn, schmalen Lippen und eisernem Willen – der Liebling der Basis.
"Die anderen Parteien fordern uns auf auszusprechen, was Unabhängigkeit meint. Dann lassen Sie es mich aussprechen: Unabhängigkeit bedeutet, nicht mehr länger zusehen zu müssen, wie unser nationaler Reichtum von Westminster-Regierungen vergeudet wird."
Das spricht den meisten aus der Seele hier. Nach fast acht Jahrzehnten Parteiarbeit sollen jetzt die Weichen Richtung Unabhängigkeit gestellt werden. Pam ist 50, Gary halb so alt, aber beide sind überzeugt, dass Schottland wirtschaftlich besser dran wäre, wenn es selbst entscheiden und über die Ressourcen Öl und alternative Energien allein verfügen könnte. David ist schon fünfundsiebzig mit Halbglatze, das verbliebene, weiße Haar schulterlang. Stolz trägt er seinen Kilt, einen Schottenrock mit gelb-blauem Karomuster und sagt:
"Früher habe ich geglaubt, dass die Machtverlagerung, die Regionalisierung genügen könnte. Aber jetzt glaube ich, dass nur die völlige Unabhängigkeit funktioniert. Eine unabhängige Regierung kann dann anschließend ja Teile ihre Souveränität abgeben, wenn sie will. Kein Land ist ja völlig unabhängig in der modernen Welt."
Schon jetzt ist Schottland in weiten Bereichen autonom. Es verfügt über ein eigenständiges Rechts- und Kirchensystem. Es pflegt den eigenen Dialekt, hat eine eigene Flagge, eigene Nationalmannschaften, ob Fußball oder Rugby, sogar eigene Pfundnoten. Die so genannte Devolution, die unter Tony Blair eingeführte Dezentralisierung der Macht, hat dem Norden 1999 ein eigenes Parlament beschert, das über mehr Befugnisse als ein deutscher Landtag verfügt. In Holyrood, dem Regierungsviertel in Edinburgh, wird über Gesundheit, Erziehung, Umwelt, Polizei, Tourismus, Landwirtschaft und anderes mehr entschieden.
Doch wichtige Bereiche wie Soziale Sicherheit, Arbeitsmarkt, Energie – vor allem aber Finanzen, Außen- und Verteidigungspolitik werden nach wie vor in London bestimmt. Nicht mehr lange, geht es nach dem Willen der SNP.
Die Mehrheit der Schotten von der Unabhängigkeit zu überzeugen, wird nach Ansicht des Politikwissenschaftlers John Curtice, aber nicht so einfach sein.
"Wenn man die Umfragen insgesamt betrachtet, sieht es so aus, als ob die Unterstützung für die Unabhängigkeit eine Minderheitsmeinung in Schottland bleibt. Es hängt natürlich ein wenig davon ab, wie die Fragen gestellt werden. Aber wenn die Leute gefragt werden, sich zu entscheiden zwischen einem höheren Grad der Dezentralisierung, der völligen Unabhängigkeit oder gar keinem eigenem Parlament, dann stimmt nur ein Viertel bis ein Drittel für die Unabhängigkeit. Dieses Verhältnis hat sich offenbar nicht wesentlich verändert seit dem Beginn der Devolution 1999 oder seit der Regierungsbeteiligung der SNP ab 2007."
Die Analyse des Politikwissenschaftlers wird bestätigt, hört man sich bei den Men-schen in Inverness um, dem Tor zu den Highlands. Schnell fließt der flache, breite River Ness durch das saubere, blumengeschmückte Städtchen. Wie überall in Schottland flattern viele blaue Flaggen mit dem weißen Andreaskreuz. Der Union Jack, die Flagge Großbritanniens, ist dagegen deutlich weniger oft zu sehen. Pubs werben auf Tafeln mit der Live-Übertragung der Rugby-WM und preisen Haggis an, Schafsmagen mit Innereien gefüllt, eine schottische Spezialität. In vielen Schau-fenstern warten Lammwollpullover, Schals und Schottenröcke auf Käufer. Doch davon abgesehen findet man in Inverness die gleichen Supermarkt- und Schnellimbissketten wie in England. Obwohl es sich hier um das Kernland der schottischen Nationalpartei SNP handelt, nehmen viele Einwohner den Parteitag gar nicht zur Kenntnis. Begeisterte Separatisten scheinen sie auch nicht zu sein.
Junge:
"Nein, Schottland ist Teil Britanniens und sollte nicht unabhängig werden."
Mädchen:
"Ich weiß nicht, hängt davon ab, wer uns führt."
Mann:
"Ich würde mich freuen, wenn die Macht beim Vereinigten Königreich bliebe und nicht abgespalten würde."
Frau:
"Nein, wir würden nicht überleben."
Mann:
"Ich bin mir nicht sicher, ich kann es nicht sagen."
Mädchen:
"Nein, wir haben nicht genug Geld."
Junge:
"Ich bin durch und durch britisch."
Junge:
"Ich bin unentschieden, aber es macht nicht viel Unterschied, was soll’s?"
"Das Volk ist tatsächlich zufriedener mit der Union als früher,"
erklärt Professor John Curtice und macht auf eine scheinbare Paradoxie aufmerksam:
"Dadurch, dass Schottland von einer effektiveren Regionalverwaltung als früher regiert wird, die insbesondere offen und willensstark Schottlands Interessen gegenüber der Londoner Regierung verteidigt, sagen viele Schotten: das ist gut. Die Devolution funktioniert, wie wir es wollten. Deswegen denken seit 2007 weniger Leute, dass Schottland finanziell benachteiligt wird und nur England von der Union profitiert. Sie glauben eher, dass die Existenz des schottischen Parlaments dafür sorgt, dass Schottlands Stimme innerhalb der Union gehört wird. Es liegt schon eine Ironie darin, dass die SNP bis zu einem gewissen Grad die Union akzeptabler gemacht hat."
Tatsächlich signalisieren Umfragen, dass für eine Finanzautonomie, schon jetzt zwei Drittel der Schotten stimmen würden. Die zumindest soll erreicht werden. Allein die Ölquellen vor den Küsten sind noch auf Jahrzehnte nicht erschöpft und werfen der-zeit Steuereinnahmen von 13 Milliarden Pfund ab, die die Regierung in Westminster kassiert. Schottland dagegen erhält nach einer ausgeklügelten Formel rund 30 Milli-arden Pfund Zuwendungen aus London. In der sogenannten Scotland Bill will West-minster die Formel demnächst verändern – zulasten Schottlands, sagt der Ökonom:
"Ich halte es für schlechter als jetzt. Das Problem mit der Scotland Bill ist, dass sie der schottischen Regierung weder das Recht gibt, Kredite aufzunehmen, noch Steuerhoheit gibt. Wenn eine schottische Regierung die Kontrolle über die Unternehmensteuer hätte, andere Steuern erheben und die Arbeitsmarktpolitik bestimmen könnte, dann wäre es besser.
Die Schotten traten der Union 1707 bei. Es war eine Vernunftehe, denn es gab Vorteile mit England zusammenzugehen. Und sie behielten die Kontrolle über viele institutionelle Unterschiede: Recht, Religion, Geld, eine andere Identität. Was den Britischen Staat geformt hat, waren Religion und Krieg. Religion und Krieg schmiedeten die Briten zusammen.
Dankenswerterweise spielt Krieg heute keine Rolle mehr und Religion im säkularen Staat auch nicht. Es war eine Weile nett, britisch zu sein. Aber, offen gesagt – was soll’s?"
David McCrone meint, dass es eine quasi natürliche, kaum aufzuhaltende Entwicklung hin zur Unabhängigkeit gibt, vielleicht über den Zwischenschritt einer weitgehenden Autonomie.
In den Augen der meisten Schotten hat die britische Regierung schlechte Karten, was auch immer sie tut. Erst recht, wenn in London die Tories am Ruder sind. Deren wirtschaftsliberale Politik kommt in Schottland, wo die Mehrheit denkt, der Staat möge für soziale Gerechtigkeit sorgen, nicht gut an und lässt viele weiter auf Distanz gehen.
"Die Leute werden sagen: warum? Warum? Erklärt uns, wo die Vorteile liegen, zu bleiben. Politisch, materiell. Und dann lautet die Antwort: aber es ist doch eine gute Sache – und überhaupt: die Geschichte. Geschichte? Die ist tot. Warum soll Schottland Teil des United Kingdom bleiben? Sie haben keine gute Antwort darauf. Abgesehen von Sentimentalität: wir waren doch solange zusammen... Kein gutes Argument!"
sagt David McCrone, der Schotte, der in der prachtvollen, stolzen Hauptstadt Edinburgh lehrt, dem Regierungssitz.
Sein Kollege John Curtice sieht das völlig anders und das könnte auch daran liegen, dass er im englischen Cornwall geboren ist und in Glasgow lehrt, der regierungsfernen, wenig ansehnlichen Arbeiterstadt und ehemaligen Labourhochburg. Gerade die vielfältigen familiären und freundschaftlichen Verflechtungen im Vereinigten Königreich, würden eine endgültige Trennung schwierig machen, sagt er. Es gehe nicht nur um ökonomische Vorteile, sondern auch um emotionale Bindungen, um Identität und Gefühle.
"Wenn man Leute befragt: Wie würden Sie sich fühlen, wenn sie am Morgen aufwachten und Schottland unabhängig wäre? Würden Sie sich zuversichtlich oder besorgt fühlen, dann sagen mehr als die Hälfte: besorgt. Die SNP muss nicht nur die Leute von ihrem ökonomischen Argument überzeugen, sondern auch mit dem offensichtlichen Unwohlsein über die Aufkündigung der Union fertig werden.
Es gibt in gewisser Hinsicht durchaus noch eine gemeinsame Identität, auch wenn sie in Schottland weniger ausgeprägt ist, als in England oder Wales. Und wir teilen noch einige politische Institutionen: Wir haben dieselbe Verteidigungs- und Außenpolitik. Es gibt eine britische Armee, die auch in Schottland geschätzt wird. Und wir haben noch die BBC, und wir haben die Queen."
Ach die Queen, winkt David McCrone ab und widerspricht seinem Kollegen. Die Schotten scherten sich nicht um die Monarchie, sie seien nicht antimonarchistisch, aber sie wollten damit nicht belästigt werden.
First Minister Alex Salmond hat jedenfalls einen möglichen königlichen Stolperstein auf dem Weg zur Unabhängigkeit vorsorglich beiseite geräumt. Natürlich werde auch ein unabhängiges Schottland stolz und glücklich sein, Ihre Majestät als Staatsoberhaupt zu behalten, versichert er und lächelt verschmitzt:
"”We’ll be very proud and happy to have our Majesty the Queen as Queen of Scots.”"