Schräg, wild, schmutzig
Merith Oppenheimers Felltasse, Dalis Telefon mit Hummer-Hörer, Man Rays nagelgespicktes Bügeleisen: Zu ihrem 25-jährigen Jubiläum zeigt die Kunsthallte Schirn "Surreale Dinge".
Tiefrote Samttapeten und schwarze Möbel. Die Atmosphäre in der Frankfurter Schirn ließ Kuratorin Ingrid Pfeiffer bewusst heimelig, aber auch erotisch angehaucht gestalten.
"Die Objekte sind oft hell. Man muss ihnen eine Bühne geben. Sie sind klein oft, aber dramatisch aufgeladen. Da geht es auch um Gefühle. Wir wollten eine Möbellandschaft aus Zimmern, die auch immer verschiedenen Themen gewidmet sind."
So durchwandert der Betrachter eine lange Zimmerflucht. Den angedeuteten Interieurs aus den 20er- und 30er-Jahren haben sich die Surrealisten mit Witz und Charme und Augenzwinkern entgegen gestellt. Ihre Arbeiten gelten dem Körper, dem Fragment, dem Fetisch, sind Händen und Füßen gewidmet. Auch ein Schuh von Dalís Frau Gala ist längst museal geworden.
Überhaupt scheint eine Frau als solche die perfekte Projektionsfläche zu sein, sagt Ingrid Pfeifer und zitiert die Surrealistin Jennifer Mundy:
"'Désir c’est la grande force', also 'Sehnsucht, Begehren ist die große Kraft'. Und das wird als vitales Ur-Element angesehen."
"Im Surrealismus werden die Frauen immer zerlegt. Sie sind Torsi, Hände, Köpfe, sie sind Füße. Aber selten wird eine komplette Frau gezeigt. Sie werden fast immer geköpft, gefesselt, geknebelt, irgendwie deformiert, aber auf eine bestimmte Weise auch wieder verherrlicht, auf ein Podest gestellt. Es ist ein großes, komplexes Thema."
… das in vielen feministischen Untersuchungen be- und durchleuchtet wurde.
Tatsächlich gehörten den Surrealisten viele Künstlerinnen an - als Freundinnen, Frauen, Geliebte, aber immer mit eigenem Oeuvre. Deswegen legt die Kuratorin Wert darauf,
"so viele Künstlerinnen wie möglich zu zeigen. Auf der andern Seite überhaupt viele Künstler zu zeigen, die man nicht so kennt, neben den bekannten und Überraschungen zu erleben."
Jedem und jeder ging es um psychologische Effekte und Gefühle beim Betrachter:
"Tiefe, psychologische Bewegung ist eigentlich der rote Faden. Die Objekte sollen schockieren, sie sollen neugierig machen."
Ingrid Pfeifer hat ein plastisches Beispiel parat:
"Da haben Marcel Duchamps und Enrico Donati Schaumstoffbusen, die sie in einem Laden gefunden haben, auf das Katalog-Cover geklebt und haben es coloriert und drunter geschrieben 'priére de toucher', also: 'bitte berühren'."
Ob man das seinerzeit gewagt, gedurft und auch wirklich getan hätte? Heute verhindert das Wachpersonal energisch solche Versuchungen.
Tatsächlich stellt sich sofort der Impuls ein, doch mal von Dalís schwarzem Bakelit-Telefon den Hummer, nein den Hörer, abzuheben. Und ob man mit Man Rays nagelgespicktem Bügeleisen wirklich ein Hemd glatt kriegt oder es ruiniert, ist gar nicht fraglich. Die berühmte Felltasse von Merith Oppenheim eignet sich kaum für eine gemütliche Teestunde.
Dabei beobachteten die Surrealisten den Alltag und die Gesellschaft genau. Siegmund Freud, der zur gleichen Zeit in Wien Seelen vom Ballast befreite, gab dazu wichtige Impulse:
"Sie haben ihn auch als Steinbruch benutzt: die Traumdeutung, die Erotik, der Humor. Sie haben viel benutzt, auch Begriffe. Bei Dalí heißt das die 'paranoisch-kritische Methode'. Im Gegensatz zu Siegmund Freud, der die Menschen heilen wollte von Psychosen, von Zwängen, wollten die Surrealisten das genaue Gegenteil. Sie wollten, dass die Menschen genau diese schrägen, wilden, schmutzigen, verdrängten, dunklen Seiten bewahren, erhalten."
180 Arbeiten hat Kuratorin Ingrid Pfeifer zusammengetragen: 110 drei-dimensionale Objekte und 70 Fotografien: sie dokumentieren inzwischen zerstörte Werke, Atelierszenen und Ausstellungsplakate.
So unterschiedlich die 180 Kunstwerke in der Frankfurter Ausstellung auch sind – um sie als surreale Kunst zu kennzeichnen, sind drei Merkmale notwenig, erklärt Ingrid Pfeifer:
"Man sagt, es gibt drei Kennzeichen. Dinge, die zusammengefügt werden, die vorher nicht zusammen gehört haben. Dann die Entfremdung, also eine andere Realität zu schaffen. Und das dritte Element wird oft beschrieben als die Metamorphose. Die Objekte sollen schockieren, sie sollen neugierig machen, sie sollen das ganze Spektrum von Gefühlen hervorrufen, das man überhaupt hat."
Surreale Objekte sind gewollte, greif- und fühlbare Provokation. Sie sind humorvoll, sie sind erotisch, sie sind abwechslungsreich. Es sind gefundene Objekte, transformierte Stücke, die vom Strand, aus dem Müll, vom Flohmarkt stammen. Alles passt, was irritiert.
"Dieses Nicht-Kunst machen, ist etwas, was auch an heute erinnert. Heute würde man sie als Konzept-Künstler bezeichnen. André Breton war Literat und macht dann die 'poême objets'. Er nimmt irgendwelche Dinge, schreibt aber noch ein Gedicht dazu, und collagiert etwas dreidimensional zusammen."
Link zur Ausstellung
"Die Objekte sind oft hell. Man muss ihnen eine Bühne geben. Sie sind klein oft, aber dramatisch aufgeladen. Da geht es auch um Gefühle. Wir wollten eine Möbellandschaft aus Zimmern, die auch immer verschiedenen Themen gewidmet sind."
So durchwandert der Betrachter eine lange Zimmerflucht. Den angedeuteten Interieurs aus den 20er- und 30er-Jahren haben sich die Surrealisten mit Witz und Charme und Augenzwinkern entgegen gestellt. Ihre Arbeiten gelten dem Körper, dem Fragment, dem Fetisch, sind Händen und Füßen gewidmet. Auch ein Schuh von Dalís Frau Gala ist längst museal geworden.
Überhaupt scheint eine Frau als solche die perfekte Projektionsfläche zu sein, sagt Ingrid Pfeifer und zitiert die Surrealistin Jennifer Mundy:
"'Désir c’est la grande force', also 'Sehnsucht, Begehren ist die große Kraft'. Und das wird als vitales Ur-Element angesehen."
"Im Surrealismus werden die Frauen immer zerlegt. Sie sind Torsi, Hände, Köpfe, sie sind Füße. Aber selten wird eine komplette Frau gezeigt. Sie werden fast immer geköpft, gefesselt, geknebelt, irgendwie deformiert, aber auf eine bestimmte Weise auch wieder verherrlicht, auf ein Podest gestellt. Es ist ein großes, komplexes Thema."
… das in vielen feministischen Untersuchungen be- und durchleuchtet wurde.
Tatsächlich gehörten den Surrealisten viele Künstlerinnen an - als Freundinnen, Frauen, Geliebte, aber immer mit eigenem Oeuvre. Deswegen legt die Kuratorin Wert darauf,
"so viele Künstlerinnen wie möglich zu zeigen. Auf der andern Seite überhaupt viele Künstler zu zeigen, die man nicht so kennt, neben den bekannten und Überraschungen zu erleben."
Jedem und jeder ging es um psychologische Effekte und Gefühle beim Betrachter:
"Tiefe, psychologische Bewegung ist eigentlich der rote Faden. Die Objekte sollen schockieren, sie sollen neugierig machen."
Ingrid Pfeifer hat ein plastisches Beispiel parat:
"Da haben Marcel Duchamps und Enrico Donati Schaumstoffbusen, die sie in einem Laden gefunden haben, auf das Katalog-Cover geklebt und haben es coloriert und drunter geschrieben 'priére de toucher', also: 'bitte berühren'."
Ob man das seinerzeit gewagt, gedurft und auch wirklich getan hätte? Heute verhindert das Wachpersonal energisch solche Versuchungen.
Tatsächlich stellt sich sofort der Impuls ein, doch mal von Dalís schwarzem Bakelit-Telefon den Hummer, nein den Hörer, abzuheben. Und ob man mit Man Rays nagelgespicktem Bügeleisen wirklich ein Hemd glatt kriegt oder es ruiniert, ist gar nicht fraglich. Die berühmte Felltasse von Merith Oppenheim eignet sich kaum für eine gemütliche Teestunde.
Dabei beobachteten die Surrealisten den Alltag und die Gesellschaft genau. Siegmund Freud, der zur gleichen Zeit in Wien Seelen vom Ballast befreite, gab dazu wichtige Impulse:
"Sie haben ihn auch als Steinbruch benutzt: die Traumdeutung, die Erotik, der Humor. Sie haben viel benutzt, auch Begriffe. Bei Dalí heißt das die 'paranoisch-kritische Methode'. Im Gegensatz zu Siegmund Freud, der die Menschen heilen wollte von Psychosen, von Zwängen, wollten die Surrealisten das genaue Gegenteil. Sie wollten, dass die Menschen genau diese schrägen, wilden, schmutzigen, verdrängten, dunklen Seiten bewahren, erhalten."
180 Arbeiten hat Kuratorin Ingrid Pfeifer zusammengetragen: 110 drei-dimensionale Objekte und 70 Fotografien: sie dokumentieren inzwischen zerstörte Werke, Atelierszenen und Ausstellungsplakate.
So unterschiedlich die 180 Kunstwerke in der Frankfurter Ausstellung auch sind – um sie als surreale Kunst zu kennzeichnen, sind drei Merkmale notwenig, erklärt Ingrid Pfeifer:
"Man sagt, es gibt drei Kennzeichen. Dinge, die zusammengefügt werden, die vorher nicht zusammen gehört haben. Dann die Entfremdung, also eine andere Realität zu schaffen. Und das dritte Element wird oft beschrieben als die Metamorphose. Die Objekte sollen schockieren, sie sollen neugierig machen, sie sollen das ganze Spektrum von Gefühlen hervorrufen, das man überhaupt hat."
Surreale Objekte sind gewollte, greif- und fühlbare Provokation. Sie sind humorvoll, sie sind erotisch, sie sind abwechslungsreich. Es sind gefundene Objekte, transformierte Stücke, die vom Strand, aus dem Müll, vom Flohmarkt stammen. Alles passt, was irritiert.
"Dieses Nicht-Kunst machen, ist etwas, was auch an heute erinnert. Heute würde man sie als Konzept-Künstler bezeichnen. André Breton war Literat und macht dann die 'poême objets'. Er nimmt irgendwelche Dinge, schreibt aber noch ein Gedicht dazu, und collagiert etwas dreidimensional zusammen."
Link zur Ausstellung