"Schräge Töne zu Gottes Lob"
Kirche ist ohne Musik kaum zu denken. Aber was für Musik wird eigentlich genau in Messen und Gottesdiensten aufgeführt? Ist hier auch Platz für moderne Kreationen, die auf neue, eigene Weise einen Zugang zum Glauben suchen? Wir haben uns in Köln nach neuen Tönen umgehört.
Kremer-Horster: "Dieses Ungewöhnliche dieser Neuen Musik, das ist für mich immer wieder ein neuer Aufbruch, eine neue Auseinandersetzung, neues Nachdenken über Dinge."
Petra Kremer-Horster ist Gemeindemitglied in St. Peter in Köln. Sie sitzt auf ihrem Stammplatz, ganz hinten unter dem Kreuz. Sie kann sich einen Gottesdienst in dem leergeräumten Kirchenraum ohne die ungewöhnlichen Orgeltöne kaum mehr vorstellen.
Kremer-Horster: "Da ist etwas, was einen so lebendig macht, das ist nicht so hergebracht, dass man genau weiß - ach, jetzt kommt das Gebet und jetzt kommt die Begleitung, sondern dass es immer wieder was Neues und was Inspirierendes ist, also so erleb ich das auch im Gottesdienst."
Susteck: "Letztlich hat sich ja in der Kunst und der Musik im 20. Jahrhundert eine Kluft aufgetan zwischen der ernsten, freien Kunst und Musik und der kirchlich gebundenen Kunst und Musik. Und die Idee von St. Peter ist eben, dass man diese Bereiche wieder zusammenführt, bzw. die Kunst, die frei ist und die Musik, die ganz frei erstmal ist, in einen liturgischen Zusammenhang, oder in einen Raumzusammenhang, spirituellen Zusammenhang, zu stellen."
In St. Peter gibt es eine lange Tradition, zeitgenössische Ernste Musik und moderne bildende Kunst in die Liturgie und den Kirchenraum zu integrieren. Die Kirche nennt sich deshalb auch "Kunststation St. Peter" Diese Tradition gibt dem Organisten der Kirche, Dominik Susteck die Möglichkeit, sich nicht nur als Kirchenmusiker, sondern auch als Komponist richtig auszuleben.
Susteck: "Ich hab zwar auch Kirchenmusik studiert, auch Konzertexamen Orgel gemacht, aber hab mich eben immer für die freie Musik besonders interessiert, und da wollte ich ganz aktuell sein, und das war erstmal nicht im kirchlichen Rahmen. Und jetzt hab ich einen Raum, einen besonderen Kunstraum, einen besonderen Musikraum, der auch ja ganz leer ist ganz ausgeräumt ist, wo es keine Bänke gibt, und wo auch das Hören neue Wege gehen kann, nämlich ganz unabhängige Wege erstmal von einem liturgischen Dienen. Ich bin davon überzeugt, dass diese ernste Neue Musik eine Rolle spielt, eine spirituelle Rolle innerhalb des Gottesdienstes und innerhalb der Kirche, und das muss ich dann mit größtem Ernst und größter Konsequenz einfach machen und umsetzen, und dann bin ich natürlich ganz frei, genauso wie der Priester in der Predigt auch erstmal frei ist."
Beim gut besuchten Sonntagsgottesdienst füllen die Orgeltöne – ob zart oder gewaltig - den Kirchenraum ganz aus. Ein kleines Kind lauscht andächtig, ein älterer Mann hält sich die Ohren zu und verlässt nach dem Segen sofort die Kirche. Die meisten Gläubigen aber kommen gezielt in die Innenstadtkirche St. Peter.
"Seit 2001 haben wir diese Kirche häufig besucht, auch und gerade wegen der Musik. Sie ist im wahrsten Sinne eigentlich bewusstseinserweiternd, weil sie völlig ungewohnt ist. Deswegen weckt es auf im wahrsten Sinne des Wortes im Gottesdienst. Es ist sehr emotional, es ist in Klang gesetzte Sprache oft, sehr direkte Musik, die auch durch Reibung, durch Dissonanzen natürlich ganz anders das Hinhören erzwingt."
Ein Komponist, der in jeder Liturgie an einer extra für die Neue Musik angefertigten Orgel improvisiert und experimentiert - das ist nicht die Regel. Trotzdem sucht sich die zeitgenössische Musik in den Kirchen ihren Platz. Richard Mailänder, der Diözesanmusikdirektor im Erzbistum Köln, ist selbst ein begeisterter Anhänger der Neuen Musik und sieht die Kirche als eines der wichtigsten Foren ihrer Entwicklung.
Mailänder: "Es hat eine lange Entwicklung gegeben zu dem Punkt, wo wir heute stehen, ich denke, das beginnt vor allen Dingen mit Schönbergs Emanzipation der Dissonanz und seiner Harmonielehre, besonders spannend dann die Idee fortgesetzt in den elektronischen Studien von Stockhausen, ‘51, wo nur noch Rauschen gefiltert wird, wo also sämtliches Material plötzlich zur Verfügung steht – es gibt für mich eine Zeit der Materialfindung, bis in die 70er-Jahre hinein, ob es jetzt serielle, punktuelle aleatorische, Musik ist oder dergleichen, und es gibt seit den 70er-Jahren eine stärkere auch wieder ästhetische Wertung von Musik, und da sind wir gerade an einem enormen Paradigmenwechsel, soweit ich das sehe."
Mailänder: "In der Kirchenmusik hat das immer auch Platz gefunden, ich glaube sogar, dass es wenige Orte gibt, wo so viel Neue Musik gemacht wird, zumindest im Bereich der Orgelmusik, wie in der Kirchenmusik, auch wenn es gesamtgesellschaftlich nicht wahrgenommen wird."
Richard Mailänder vermisst eine stärkere Presse für Kirchenmusikfestivals und kirchlich veranstaltete Konzerte mit Neuer Musik. Die Musikkritik, so Mailänder, interessiere sich kaum für solche Ereignisse.
Mailänder: "Ich denke, weil man das von der Kirche nicht erwartet und daher nicht zuordnen möchte: Ist Kirche, und Kirche kann nicht Kultur sein, weil Kirche ist ja allemal systemverdächtig, weil es ja eine Tendenzkultur darstellt und damit nicht freie Kunst ist."
Wäre die Kirche tatsächlich so unfrei, dann könnte dort nur Musik stattfinden, die extra für den Kirchenraum geschrieben wurde und also einem bestimmten Zweck zu dienen habe – eine Gebrauchsmusik also. Johannes Mundry und Klaus Röhring von der Zeitschrift "Musik und Kirche" haben sich zu diesem Begriff und zu einer zeitgenössischen Kirchenmusik Gedanken gemacht.
Mundry: "Wenn man Gebrauchsmusik versteht als eine Musik, die schnell hingeschrieben ist, damit es die jeweiligen Kräfte am Ort mit ihren Möglichkeiten schnell aufführen können, dann ist das vielleicht etwas wenig, um eine Musik zu schaffen, die einen Gottesdienst begleitet oder geistliche Konzerte füllt. Gebrauchsmusik ist ein ganz wichtiger Begriff, der schlecht angeschrieben ist, sicher auch aus eigener Schuld von Kantoren und schnell komponierenden Künstlern heraus."
Röhring: "Die Spezialisten von Kirchenmusik im 19. Jahrhundert, die gab es eigentlich gar nicht. Würden Sie sagen, dass Brahms oder Reger oder so Spezialisten von Kirchenmusik waren? Überhaupt nicht, die haben allgemein gute Musik geschrieben, während es heute sogenannte Spezialisten von Kirchenmusik gibt - würd’ ich höchstens warnen, weil die meistens schlechte Musik komponieren."
Tatsächlich stammen auch die größten Beispiele Neuer geistlicher Musik aus der Hand derer, die nicht in erster Linie Liturgie, Gemeinde und Kirchenraum im Blick hatten.
Röhring: "Ich denke an Olivier Messiaens Orgelwerke, die – bis auf die Pfingstmesse – nicht für den Gottesdienst geschrieben wurden, aber im Gottesdienst gebraucht werden können. Ich jedenfalls habe ganze Gottesdienste gestaltet mit Orgelwerken von Messiaen. Die geistliche oder auch religiöse Musik, wie er sie genannt hat, das heißt es ist alle Musik, und zwar alle Musik in der Welt, die sich mit so etwas, wie er sagt, wie dem Heiligen beschäftigt, also mit dem, wo der Mensch über sich hinausdenkt, über seine Wirklichkeit hinausreicht, wo er das, was man den Geist einer Sache nennt, fassen möchte."
Und dann hat er noch seine eigene Musik als die Musik des Überwältigt-Seins bezeichnet, also die Musik, der ich mich aussetze und von der ich – auch in einem religiösen Sinne - überwältigt werde, also auch auf etwas Neues gestoßen werde, wo ich Grenzen überschreite oder in eine neue Welt hineingehe.
Dominik Susteck - rund 70 Jahre jünger als der 1992 verstorbene Olivier Messiaen - sieht sich in dieser Tradition. Er versteht sich nicht als Diener der Liturgie, sondern folgt beim Komponieren seinen musikalischen Ansprüchen und nicht den Wünschen der Kirche oder der Gemeinde.
"Was ich vermeiden möchte, ist, dass die Musik, bloß weil es ängstlich ist oder weil da die vermeintliche Idee ist, man müsste das und das tun, rückschrittlich ist. Und das ist ja überall zu finden, leider, dass das, was heute für die Kirche komponiert wird, mit dem was auf der freien Seite komponiert wird, überhaupt nicht – nicht mal annähernd mithalten kann, sondern dass es eine Subkultur ist.
Die Liturgie, die Kirche, die braucht eigentlich die beste Kunst, die Kunst, die genau am meisten auf der Höhe der Zeit ist, in der bildenden Kunst also auch die ganz abstrakte Kunst und auch die ganz abstrakte, schwere Musik erstmal, und dies ist eigentlich meine Überzeugung."
Mit dieser "schweren" abstrakten Musik mutet der Komponist der Gemeinde einiges zu.
Kremer-Horster: "Es ist keine gefällige Musik, sondern es ist eine Musik, die im besten Sinne aufregend ist, von der man jetzt nicht genau weiß, was im nächsten Augenblick passiert. Dann saß hier mal so ne ältere Frau neben mir, und die hat gesagt: Ach, das kann ich jetzt doch nicht so gut hören, ich geh mal raus.
Ja, da vermisst man manchmal zum Auszug schon so einen geschmetterten Bach oder sowas, aber es hat halt auch seine besonderen Reize, und es ist ja auch ehrlich, dass die Organisten dann auch dazu stehen und durchgängig diese Musik machen."
Nicht alle Kirchenbesucher sind bereit - und im Hören geschult genug – sich dieser Musik zu stellen – nicht beim Hören und noch weniger beim Singen. Richard Mailänder wünscht sich von den Komponisten, dass sie auch die Bedürfnisse der Laien berücksichtigen.
Mailänder: "Wenn Sie in den Gemeinden singen lassen wollen und mit den Gemeinden, zum Beispiel in Chören auch, dann können Sie auch nur das machen, was die Leute leisten können, und die meisten Kompositionslehrer zum Beispiel an den Hochschulen haben keine Ahnung mehr vom Singen. Ich selbst habe einen Chor, wo alle vom Blatt singen.
Ich seh’ es aber einfach nicht mehr ein, dass man irre Schwierigkeiten hinter sich bringt, um klangliche Ergebnisse zu erzielen, die auch nachher nicht befriedigen. Das muss auch mit Freude zu tun haben, und da find ich sehr erfreulich, was sich in den letzten Jahrzehnten getan hat, dass das wieder mehr Komponisten gibt, die etwas schreiben, was solche Leute auch spielen können - die Orgelmusik ist etwas ganz anderes."
Mailänder: "Ich kann doch nicht abstrakt irgendwas in die Welt setzen. Unser Glaube ist ein menschenfreundlicher Glaube, und ich muss eine menschenfreundliche Musik auch schreiben können.
Diese Zeit, die wir hatten, ist eine reine Materialfindungszeit - vielfach hochinteressant, intellektuell, und ich hab mich früher auch sehr dafür begeistert, ich hab mal ein Zitat gefunden, ich glaub’ das war von Bloch, in der Pubertät stand ich auch darauf: ‚Sich wohlfühlen in geistiger Kühle’. Irgendwann hab ich gemerkt, dass das ein Quatsch war. Das gibt’s einfach gar nicht. Und da find’ ich spannend, wie viele junge Komponisten jetzt aufbrechen und wieder etwas schreiben, wo man Freude dran hat. Das ist ‚Neue Musik’."
Um beide Seiten zu bedienen – die ganz freie Kunst, bspw. eines Organisten, und den "Wohlfühlfaktor" -, wird in vielen Gemeinden auf eine Mischung von neuer und traditioneller Musik gesetzt. Ein paar hundert Meter von der Kölner Kirche St. Peter entfernt, spielt Jürgen von Moock als Kantor in St. Gereon an der Orgel. Er versucht, der Gemeinde musikalisch entgegenzukommen und trotzdem neuen, ungewohnten Tönen Raum zu verleihen.
Moock: "Das heißt dass ich dann im barocken oder im romantischen Stil improvisiere oder entsprechend Literatur spiele, manchmal auch nur zeitgenössisch und ganz oft auch gemischt - da gibt es einzelne Lieder, zum Beispiel die in der Romantik entstanden sind - da kann man natürlich auch zeitgenössisch darüber improvisieren."
"Ich hatte ’ne Dame, die auf mich zukam und sagte: So, wie Sie gespielt haben, das klingt, als wenn man ne Katze abschlachtet – und es kam auch einmal eine ältere Frau auf mich zu und hat sich herzlich bedankt, weil sie sagte, sie kommt vom Dorf, solche Töne hört sie nicht mehr, das hätte sie total fasziniert. Also wie man sieht, es wird unterschiedlich aufgefasst."
Moock: "Es ist natürlich so, dass auch innerhalb der zeitgenössischen Musik eine unheimliche Bandbreite herrscht. Es gibt auch lebende Komponisten, die doch eher rückgewandt schreiben, eher angelehnt an andere Stile, sehr im tonalen Bereich bleiben, und andere Komponisten wirklich, die rigoros einen neuen Stil verfolgen in Richtung Atonalität, das ist sehr unterschiedlich.
Zum Beispiel die Kompositionen von Arvo Pärt, die ja doch auch noch immer sehr tonalen Charakter haben, die wird zum Beispiel sehr geschätzt, weil sie - in Anführungszeichen - nicht weh tut. Das wäre ein Beispiel, aber György Ligeti zum Beispiel, ich hab jetzt neulich ein Orgelwerk von ihm gespielt, das ist ganz prima angekommen, und das ist wirklich sehr atonal, aber das arbeitet zum Beispiel nur mit Klangflächen, und das versteht man, das ist ein Klang, der im Raum steht, und solche Musik kann, wenn man sich drauf einlässt, sehr emotional ansprechen."
Jürgen von Moock setzt auch auf ein gewisses Maß von Pädagogik und gibt der Gemeinde Informationen an die Hand, die das Verstehen der zeitgenössischen Musik erleichtern sollen.
Moock: "Wenn wir was Größeres im Gottesdienst zu Gehör bringen, dann liegen Zettel aus, wo die Werke drauf stehen und auch Erläuterungen - vor Konzerten geb ich immer gerne eine Einführung, um den Leuten die Werke, die sie jetzt hören werden, nahezubringen. Ich finde, man kann eine Musik oftmals viel besser verstehen, wenn man etwas über den Hintergrund dieser Musik weiß."
Röhring: "Also, die Akzeptanz, so wie ich es erlebt habe, ist meistens sehr hoch, wenn man diese neuen Kompositionen sinnvoll in den Gottesdienst einfügt oder in ein Konzert einfügt und möglicherweise auch noch Hilfestellungen des Verstehens gibt. Wenn man die Gemeinde nur damit konfrontiert, indem man sie schockiert, muss man sich nicht wundern, dass man die entsprechenden Reaktionen hat."
Der Redakteur der Zeitschrift "Musik und Kirche", Klaus Röhring – und auch Dominik Susteck – dringen dennoch darauf, den Menschen sperrige Töne zuzumuten. Und das nicht nur aus musikpädagogischen, sondern auch aus spirituellen Gründen.
Röhring: "Alles Neue muss man sich erarbeiten, und sich selbst erobern und muss seine Ohren ganz neu öffnen, ansonsten kann man sagen, kann man eine Musik machen, die die menschlichen Ohren weiterhin so verklebt wie die Kaufhausmusik, und das ist nun wirklich nicht die Absicht von Neuer Musik in der Kirche. Aber das heißt, es muss ein Hören sein, das sich um das Hören bemüht und nicht nur ein Hören, das im Weghören, in der Dekonzentration besteht."
Susteck: "Das ist für mich auch eine theologische Komponente, wo führt Musik mich hin, was ist das hier überhaupt, das ist für mich eine Selbsterfahrungskomponente, die auch mit diesem Bereich des In-Sich-Selbst-Spürens oder Nach-Gott-Spüren verbunden ist."
Der Komponist und Kirchenmusiker Peter Bares hat im Sinne eines "Neuen Hörens" nicht nur Musiken und Gemeindegesänge entwickelt, sondern auch eine neue Orgel. Susteck, Bares’ Nachfolger an der Orgel in St. Peter, erklärt:
"Es geht beim Klang nicht darum, dass man das Gewohnte wieder hört und sich erinnert, sondern eben Klangräume zu schaffen, die so noch nicht da waren, die man so noch nicht gehört hat, und das macht diese Orgel mit ganz vielen interessanten Aliquod-Registern, das funktioniert über variablen Winddruck und das funktioniert über das Schlagzeug - eine wichtige Komponente der zeitgenössischen Musik ist ja das Geräusch. Und Peter Bares hat diese Geräuschkomponente innerhalb der Orgel durch das Schlagzeug umgesetzt, also wir haben bis über zehn Schlagzeugregister, Xylophon, Röhrenglocken usw., die eben immer einen Geräuschanteil mitbringen."
Peter Bares’ Gesangbuch im Zwölftonmodus wird dagegen nicht mehr häufig benutzt. Dabei sind diese Lieder durchaus singbar, wenn der Organist es versteht, sie stützend zu begleiten.
Der Kölner Diözesan-Musikdirektor Richard Mailänder dagegen sieht Experimente mit der Zwölftontechnik und anderen Kompositionstechniken in der Kirche als beendet an. Er begrüßt die stärkere Zuwendung zur Ästhetik im Sinne der Machbarkeit und Sangbarkeit.
Mailänder: "Ich hab selbst erlebt, dass mir ein Pfarrer die Orgel abgestellt, die Sicherung ausgestellt hat, weil ich so schräg gespielt habe, ich kam gerade von Herrn Bares und fand das faszinierend, aber finde, das ist auch vorbei."
Mailänder: "Im Bereich der Orgelmusik ist es durchaus interessant, mit den Chören ist es halt schwer - wenn man keine Kompositionen hat, die Freude machen, dann sollte man einen Chor auch nicht damit quälen."
Susteck: "Ich muss leider sagen, dass die Kirche als Institution eher ängstlich ist, was diesen Bereich angeht und eigentlich keine große ... von sich aus Ambitionen zeigt, Kompositionsaufträge zum Beispiel für Werke mit religiösen Themen, die innerhalb eines Konzerts oder so aufgeführt werden, das gibt es schon, aber dass man sagt: Man öffnet sich und man möchte auch diese freie Musik und freie Kunst so da haben, das ist, glaub ich, nicht verbreitet. Es ist eher anders herum, dass so eine Angst besteht, man würde irgendwas verlieren, aber das ist ja gar nicht so.
Und deswegen - die Leute, die jetzt im Aufbruch sind, die Kirchen, die wirklich alternative Musik, alternative Kunst suchen, das sind oft kleine Kirchen, wo jemand begeistert ist, wo ein Pfarrer Feuer gefangen hat für die zeitgenössische Musik, ein Pastoralreferent, ein Organist, das sind alles private Initiativen und das geht nicht so sehr von oben von der Amtskirche aus."
Von Seiten der Kirche sieht man das anders. Allerdings hat man hier immer die Gemeinden im Blick und nicht in erster Linie die musikalische Entfaltung von Musikern und Komponisten.
Mailänder: "Nächstes Jahr ist ein internationaler Kompositionswettwerb für Chöre, aber wir machen auch konkrete Aufträge an Komponisten - ich selber halte mehr von konkreten Aufträgen, Wettbewerbe haben leider den Nachteil, dass das preisgekrönte Werk dann vielleicht aufgeführt wird und danach häufig liegen bleibt.
Insofern ist es sinnvoller sogar, im Gespräch mit einem Komponisten etwas zu entwickeln - was ist möglich, was wünscht man sich, welche Besetzung ist denkbar, was können die Leute leisten - und wenn man dann noch einen Komponisten hat, der wirklich etwas davon versteht, der auf Leute hin schreiben kann, wie es früher fast alle großen Komponisten konnten, dann ist das unendlich viel wert und dann kann man schöne Musik schaffen."
Petra Kremer-Horster ist Gemeindemitglied in St. Peter in Köln. Sie sitzt auf ihrem Stammplatz, ganz hinten unter dem Kreuz. Sie kann sich einen Gottesdienst in dem leergeräumten Kirchenraum ohne die ungewöhnlichen Orgeltöne kaum mehr vorstellen.
Kremer-Horster: "Da ist etwas, was einen so lebendig macht, das ist nicht so hergebracht, dass man genau weiß - ach, jetzt kommt das Gebet und jetzt kommt die Begleitung, sondern dass es immer wieder was Neues und was Inspirierendes ist, also so erleb ich das auch im Gottesdienst."
Susteck: "Letztlich hat sich ja in der Kunst und der Musik im 20. Jahrhundert eine Kluft aufgetan zwischen der ernsten, freien Kunst und Musik und der kirchlich gebundenen Kunst und Musik. Und die Idee von St. Peter ist eben, dass man diese Bereiche wieder zusammenführt, bzw. die Kunst, die frei ist und die Musik, die ganz frei erstmal ist, in einen liturgischen Zusammenhang, oder in einen Raumzusammenhang, spirituellen Zusammenhang, zu stellen."
In St. Peter gibt es eine lange Tradition, zeitgenössische Ernste Musik und moderne bildende Kunst in die Liturgie und den Kirchenraum zu integrieren. Die Kirche nennt sich deshalb auch "Kunststation St. Peter" Diese Tradition gibt dem Organisten der Kirche, Dominik Susteck die Möglichkeit, sich nicht nur als Kirchenmusiker, sondern auch als Komponist richtig auszuleben.
Susteck: "Ich hab zwar auch Kirchenmusik studiert, auch Konzertexamen Orgel gemacht, aber hab mich eben immer für die freie Musik besonders interessiert, und da wollte ich ganz aktuell sein, und das war erstmal nicht im kirchlichen Rahmen. Und jetzt hab ich einen Raum, einen besonderen Kunstraum, einen besonderen Musikraum, der auch ja ganz leer ist ganz ausgeräumt ist, wo es keine Bänke gibt, und wo auch das Hören neue Wege gehen kann, nämlich ganz unabhängige Wege erstmal von einem liturgischen Dienen. Ich bin davon überzeugt, dass diese ernste Neue Musik eine Rolle spielt, eine spirituelle Rolle innerhalb des Gottesdienstes und innerhalb der Kirche, und das muss ich dann mit größtem Ernst und größter Konsequenz einfach machen und umsetzen, und dann bin ich natürlich ganz frei, genauso wie der Priester in der Predigt auch erstmal frei ist."
Beim gut besuchten Sonntagsgottesdienst füllen die Orgeltöne – ob zart oder gewaltig - den Kirchenraum ganz aus. Ein kleines Kind lauscht andächtig, ein älterer Mann hält sich die Ohren zu und verlässt nach dem Segen sofort die Kirche. Die meisten Gläubigen aber kommen gezielt in die Innenstadtkirche St. Peter.
"Seit 2001 haben wir diese Kirche häufig besucht, auch und gerade wegen der Musik. Sie ist im wahrsten Sinne eigentlich bewusstseinserweiternd, weil sie völlig ungewohnt ist. Deswegen weckt es auf im wahrsten Sinne des Wortes im Gottesdienst. Es ist sehr emotional, es ist in Klang gesetzte Sprache oft, sehr direkte Musik, die auch durch Reibung, durch Dissonanzen natürlich ganz anders das Hinhören erzwingt."
Ein Komponist, der in jeder Liturgie an einer extra für die Neue Musik angefertigten Orgel improvisiert und experimentiert - das ist nicht die Regel. Trotzdem sucht sich die zeitgenössische Musik in den Kirchen ihren Platz. Richard Mailänder, der Diözesanmusikdirektor im Erzbistum Köln, ist selbst ein begeisterter Anhänger der Neuen Musik und sieht die Kirche als eines der wichtigsten Foren ihrer Entwicklung.
Mailänder: "Es hat eine lange Entwicklung gegeben zu dem Punkt, wo wir heute stehen, ich denke, das beginnt vor allen Dingen mit Schönbergs Emanzipation der Dissonanz und seiner Harmonielehre, besonders spannend dann die Idee fortgesetzt in den elektronischen Studien von Stockhausen, ‘51, wo nur noch Rauschen gefiltert wird, wo also sämtliches Material plötzlich zur Verfügung steht – es gibt für mich eine Zeit der Materialfindung, bis in die 70er-Jahre hinein, ob es jetzt serielle, punktuelle aleatorische, Musik ist oder dergleichen, und es gibt seit den 70er-Jahren eine stärkere auch wieder ästhetische Wertung von Musik, und da sind wir gerade an einem enormen Paradigmenwechsel, soweit ich das sehe."
Mailänder: "In der Kirchenmusik hat das immer auch Platz gefunden, ich glaube sogar, dass es wenige Orte gibt, wo so viel Neue Musik gemacht wird, zumindest im Bereich der Orgelmusik, wie in der Kirchenmusik, auch wenn es gesamtgesellschaftlich nicht wahrgenommen wird."
Richard Mailänder vermisst eine stärkere Presse für Kirchenmusikfestivals und kirchlich veranstaltete Konzerte mit Neuer Musik. Die Musikkritik, so Mailänder, interessiere sich kaum für solche Ereignisse.
Mailänder: "Ich denke, weil man das von der Kirche nicht erwartet und daher nicht zuordnen möchte: Ist Kirche, und Kirche kann nicht Kultur sein, weil Kirche ist ja allemal systemverdächtig, weil es ja eine Tendenzkultur darstellt und damit nicht freie Kunst ist."
Wäre die Kirche tatsächlich so unfrei, dann könnte dort nur Musik stattfinden, die extra für den Kirchenraum geschrieben wurde und also einem bestimmten Zweck zu dienen habe – eine Gebrauchsmusik also. Johannes Mundry und Klaus Röhring von der Zeitschrift "Musik und Kirche" haben sich zu diesem Begriff und zu einer zeitgenössischen Kirchenmusik Gedanken gemacht.
Mundry: "Wenn man Gebrauchsmusik versteht als eine Musik, die schnell hingeschrieben ist, damit es die jeweiligen Kräfte am Ort mit ihren Möglichkeiten schnell aufführen können, dann ist das vielleicht etwas wenig, um eine Musik zu schaffen, die einen Gottesdienst begleitet oder geistliche Konzerte füllt. Gebrauchsmusik ist ein ganz wichtiger Begriff, der schlecht angeschrieben ist, sicher auch aus eigener Schuld von Kantoren und schnell komponierenden Künstlern heraus."
Röhring: "Die Spezialisten von Kirchenmusik im 19. Jahrhundert, die gab es eigentlich gar nicht. Würden Sie sagen, dass Brahms oder Reger oder so Spezialisten von Kirchenmusik waren? Überhaupt nicht, die haben allgemein gute Musik geschrieben, während es heute sogenannte Spezialisten von Kirchenmusik gibt - würd’ ich höchstens warnen, weil die meistens schlechte Musik komponieren."
Tatsächlich stammen auch die größten Beispiele Neuer geistlicher Musik aus der Hand derer, die nicht in erster Linie Liturgie, Gemeinde und Kirchenraum im Blick hatten.
Röhring: "Ich denke an Olivier Messiaens Orgelwerke, die – bis auf die Pfingstmesse – nicht für den Gottesdienst geschrieben wurden, aber im Gottesdienst gebraucht werden können. Ich jedenfalls habe ganze Gottesdienste gestaltet mit Orgelwerken von Messiaen. Die geistliche oder auch religiöse Musik, wie er sie genannt hat, das heißt es ist alle Musik, und zwar alle Musik in der Welt, die sich mit so etwas, wie er sagt, wie dem Heiligen beschäftigt, also mit dem, wo der Mensch über sich hinausdenkt, über seine Wirklichkeit hinausreicht, wo er das, was man den Geist einer Sache nennt, fassen möchte."
Und dann hat er noch seine eigene Musik als die Musik des Überwältigt-Seins bezeichnet, also die Musik, der ich mich aussetze und von der ich – auch in einem religiösen Sinne - überwältigt werde, also auch auf etwas Neues gestoßen werde, wo ich Grenzen überschreite oder in eine neue Welt hineingehe.
Dominik Susteck - rund 70 Jahre jünger als der 1992 verstorbene Olivier Messiaen - sieht sich in dieser Tradition. Er versteht sich nicht als Diener der Liturgie, sondern folgt beim Komponieren seinen musikalischen Ansprüchen und nicht den Wünschen der Kirche oder der Gemeinde.
"Was ich vermeiden möchte, ist, dass die Musik, bloß weil es ängstlich ist oder weil da die vermeintliche Idee ist, man müsste das und das tun, rückschrittlich ist. Und das ist ja überall zu finden, leider, dass das, was heute für die Kirche komponiert wird, mit dem was auf der freien Seite komponiert wird, überhaupt nicht – nicht mal annähernd mithalten kann, sondern dass es eine Subkultur ist.
Die Liturgie, die Kirche, die braucht eigentlich die beste Kunst, die Kunst, die genau am meisten auf der Höhe der Zeit ist, in der bildenden Kunst also auch die ganz abstrakte Kunst und auch die ganz abstrakte, schwere Musik erstmal, und dies ist eigentlich meine Überzeugung."
Mit dieser "schweren" abstrakten Musik mutet der Komponist der Gemeinde einiges zu.
Kremer-Horster: "Es ist keine gefällige Musik, sondern es ist eine Musik, die im besten Sinne aufregend ist, von der man jetzt nicht genau weiß, was im nächsten Augenblick passiert. Dann saß hier mal so ne ältere Frau neben mir, und die hat gesagt: Ach, das kann ich jetzt doch nicht so gut hören, ich geh mal raus.
Ja, da vermisst man manchmal zum Auszug schon so einen geschmetterten Bach oder sowas, aber es hat halt auch seine besonderen Reize, und es ist ja auch ehrlich, dass die Organisten dann auch dazu stehen und durchgängig diese Musik machen."
Nicht alle Kirchenbesucher sind bereit - und im Hören geschult genug – sich dieser Musik zu stellen – nicht beim Hören und noch weniger beim Singen. Richard Mailänder wünscht sich von den Komponisten, dass sie auch die Bedürfnisse der Laien berücksichtigen.
Mailänder: "Wenn Sie in den Gemeinden singen lassen wollen und mit den Gemeinden, zum Beispiel in Chören auch, dann können Sie auch nur das machen, was die Leute leisten können, und die meisten Kompositionslehrer zum Beispiel an den Hochschulen haben keine Ahnung mehr vom Singen. Ich selbst habe einen Chor, wo alle vom Blatt singen.
Ich seh’ es aber einfach nicht mehr ein, dass man irre Schwierigkeiten hinter sich bringt, um klangliche Ergebnisse zu erzielen, die auch nachher nicht befriedigen. Das muss auch mit Freude zu tun haben, und da find ich sehr erfreulich, was sich in den letzten Jahrzehnten getan hat, dass das wieder mehr Komponisten gibt, die etwas schreiben, was solche Leute auch spielen können - die Orgelmusik ist etwas ganz anderes."
Mailänder: "Ich kann doch nicht abstrakt irgendwas in die Welt setzen. Unser Glaube ist ein menschenfreundlicher Glaube, und ich muss eine menschenfreundliche Musik auch schreiben können.
Diese Zeit, die wir hatten, ist eine reine Materialfindungszeit - vielfach hochinteressant, intellektuell, und ich hab mich früher auch sehr dafür begeistert, ich hab mal ein Zitat gefunden, ich glaub’ das war von Bloch, in der Pubertät stand ich auch darauf: ‚Sich wohlfühlen in geistiger Kühle’. Irgendwann hab ich gemerkt, dass das ein Quatsch war. Das gibt’s einfach gar nicht. Und da find’ ich spannend, wie viele junge Komponisten jetzt aufbrechen und wieder etwas schreiben, wo man Freude dran hat. Das ist ‚Neue Musik’."
Um beide Seiten zu bedienen – die ganz freie Kunst, bspw. eines Organisten, und den "Wohlfühlfaktor" -, wird in vielen Gemeinden auf eine Mischung von neuer und traditioneller Musik gesetzt. Ein paar hundert Meter von der Kölner Kirche St. Peter entfernt, spielt Jürgen von Moock als Kantor in St. Gereon an der Orgel. Er versucht, der Gemeinde musikalisch entgegenzukommen und trotzdem neuen, ungewohnten Tönen Raum zu verleihen.
Moock: "Das heißt dass ich dann im barocken oder im romantischen Stil improvisiere oder entsprechend Literatur spiele, manchmal auch nur zeitgenössisch und ganz oft auch gemischt - da gibt es einzelne Lieder, zum Beispiel die in der Romantik entstanden sind - da kann man natürlich auch zeitgenössisch darüber improvisieren."
"Ich hatte ’ne Dame, die auf mich zukam und sagte: So, wie Sie gespielt haben, das klingt, als wenn man ne Katze abschlachtet – und es kam auch einmal eine ältere Frau auf mich zu und hat sich herzlich bedankt, weil sie sagte, sie kommt vom Dorf, solche Töne hört sie nicht mehr, das hätte sie total fasziniert. Also wie man sieht, es wird unterschiedlich aufgefasst."
Moock: "Es ist natürlich so, dass auch innerhalb der zeitgenössischen Musik eine unheimliche Bandbreite herrscht. Es gibt auch lebende Komponisten, die doch eher rückgewandt schreiben, eher angelehnt an andere Stile, sehr im tonalen Bereich bleiben, und andere Komponisten wirklich, die rigoros einen neuen Stil verfolgen in Richtung Atonalität, das ist sehr unterschiedlich.
Zum Beispiel die Kompositionen von Arvo Pärt, die ja doch auch noch immer sehr tonalen Charakter haben, die wird zum Beispiel sehr geschätzt, weil sie - in Anführungszeichen - nicht weh tut. Das wäre ein Beispiel, aber György Ligeti zum Beispiel, ich hab jetzt neulich ein Orgelwerk von ihm gespielt, das ist ganz prima angekommen, und das ist wirklich sehr atonal, aber das arbeitet zum Beispiel nur mit Klangflächen, und das versteht man, das ist ein Klang, der im Raum steht, und solche Musik kann, wenn man sich drauf einlässt, sehr emotional ansprechen."
Jürgen von Moock setzt auch auf ein gewisses Maß von Pädagogik und gibt der Gemeinde Informationen an die Hand, die das Verstehen der zeitgenössischen Musik erleichtern sollen.
Moock: "Wenn wir was Größeres im Gottesdienst zu Gehör bringen, dann liegen Zettel aus, wo die Werke drauf stehen und auch Erläuterungen - vor Konzerten geb ich immer gerne eine Einführung, um den Leuten die Werke, die sie jetzt hören werden, nahezubringen. Ich finde, man kann eine Musik oftmals viel besser verstehen, wenn man etwas über den Hintergrund dieser Musik weiß."
Röhring: "Also, die Akzeptanz, so wie ich es erlebt habe, ist meistens sehr hoch, wenn man diese neuen Kompositionen sinnvoll in den Gottesdienst einfügt oder in ein Konzert einfügt und möglicherweise auch noch Hilfestellungen des Verstehens gibt. Wenn man die Gemeinde nur damit konfrontiert, indem man sie schockiert, muss man sich nicht wundern, dass man die entsprechenden Reaktionen hat."
Der Redakteur der Zeitschrift "Musik und Kirche", Klaus Röhring – und auch Dominik Susteck – dringen dennoch darauf, den Menschen sperrige Töne zuzumuten. Und das nicht nur aus musikpädagogischen, sondern auch aus spirituellen Gründen.
Röhring: "Alles Neue muss man sich erarbeiten, und sich selbst erobern und muss seine Ohren ganz neu öffnen, ansonsten kann man sagen, kann man eine Musik machen, die die menschlichen Ohren weiterhin so verklebt wie die Kaufhausmusik, und das ist nun wirklich nicht die Absicht von Neuer Musik in der Kirche. Aber das heißt, es muss ein Hören sein, das sich um das Hören bemüht und nicht nur ein Hören, das im Weghören, in der Dekonzentration besteht."
Susteck: "Das ist für mich auch eine theologische Komponente, wo führt Musik mich hin, was ist das hier überhaupt, das ist für mich eine Selbsterfahrungskomponente, die auch mit diesem Bereich des In-Sich-Selbst-Spürens oder Nach-Gott-Spüren verbunden ist."
Der Komponist und Kirchenmusiker Peter Bares hat im Sinne eines "Neuen Hörens" nicht nur Musiken und Gemeindegesänge entwickelt, sondern auch eine neue Orgel. Susteck, Bares’ Nachfolger an der Orgel in St. Peter, erklärt:
"Es geht beim Klang nicht darum, dass man das Gewohnte wieder hört und sich erinnert, sondern eben Klangräume zu schaffen, die so noch nicht da waren, die man so noch nicht gehört hat, und das macht diese Orgel mit ganz vielen interessanten Aliquod-Registern, das funktioniert über variablen Winddruck und das funktioniert über das Schlagzeug - eine wichtige Komponente der zeitgenössischen Musik ist ja das Geräusch. Und Peter Bares hat diese Geräuschkomponente innerhalb der Orgel durch das Schlagzeug umgesetzt, also wir haben bis über zehn Schlagzeugregister, Xylophon, Röhrenglocken usw., die eben immer einen Geräuschanteil mitbringen."
Peter Bares’ Gesangbuch im Zwölftonmodus wird dagegen nicht mehr häufig benutzt. Dabei sind diese Lieder durchaus singbar, wenn der Organist es versteht, sie stützend zu begleiten.
Der Kölner Diözesan-Musikdirektor Richard Mailänder dagegen sieht Experimente mit der Zwölftontechnik und anderen Kompositionstechniken in der Kirche als beendet an. Er begrüßt die stärkere Zuwendung zur Ästhetik im Sinne der Machbarkeit und Sangbarkeit.
Mailänder: "Ich hab selbst erlebt, dass mir ein Pfarrer die Orgel abgestellt, die Sicherung ausgestellt hat, weil ich so schräg gespielt habe, ich kam gerade von Herrn Bares und fand das faszinierend, aber finde, das ist auch vorbei."
Mailänder: "Im Bereich der Orgelmusik ist es durchaus interessant, mit den Chören ist es halt schwer - wenn man keine Kompositionen hat, die Freude machen, dann sollte man einen Chor auch nicht damit quälen."
Susteck: "Ich muss leider sagen, dass die Kirche als Institution eher ängstlich ist, was diesen Bereich angeht und eigentlich keine große ... von sich aus Ambitionen zeigt, Kompositionsaufträge zum Beispiel für Werke mit religiösen Themen, die innerhalb eines Konzerts oder so aufgeführt werden, das gibt es schon, aber dass man sagt: Man öffnet sich und man möchte auch diese freie Musik und freie Kunst so da haben, das ist, glaub ich, nicht verbreitet. Es ist eher anders herum, dass so eine Angst besteht, man würde irgendwas verlieren, aber das ist ja gar nicht so.
Und deswegen - die Leute, die jetzt im Aufbruch sind, die Kirchen, die wirklich alternative Musik, alternative Kunst suchen, das sind oft kleine Kirchen, wo jemand begeistert ist, wo ein Pfarrer Feuer gefangen hat für die zeitgenössische Musik, ein Pastoralreferent, ein Organist, das sind alles private Initiativen und das geht nicht so sehr von oben von der Amtskirche aus."
Von Seiten der Kirche sieht man das anders. Allerdings hat man hier immer die Gemeinden im Blick und nicht in erster Linie die musikalische Entfaltung von Musikern und Komponisten.
Mailänder: "Nächstes Jahr ist ein internationaler Kompositionswettwerb für Chöre, aber wir machen auch konkrete Aufträge an Komponisten - ich selber halte mehr von konkreten Aufträgen, Wettbewerbe haben leider den Nachteil, dass das preisgekrönte Werk dann vielleicht aufgeführt wird und danach häufig liegen bleibt.
Insofern ist es sinnvoller sogar, im Gespräch mit einem Komponisten etwas zu entwickeln - was ist möglich, was wünscht man sich, welche Besetzung ist denkbar, was können die Leute leisten - und wenn man dann noch einen Komponisten hat, der wirklich etwas davon versteht, der auf Leute hin schreiben kann, wie es früher fast alle großen Komponisten konnten, dann ist das unendlich viel wert und dann kann man schöne Musik schaffen."