Schrecken des Junta-Regimes

"Zweimal Juni" von Martin Kohan ist ein Roman über die Zeit der Militärdiktatur in Argentinien und um ihr Bild in der nationalen Fußball-Euphorie. Während 1978 die Nationalmannschaft Weltmeister und das Tunier zu einem Propagandainstrument wurde, schied das Team nach dem Ende der Diktatur 1982 früh aus.
Der 1967 geborene Martin Kohan gehört zu den bekanntesten jüngeren Autoren des Literaturlandes Argentinien, und man merkt, dass die Globalisierung des Literarischen längst auch in dieser Region angekommen ist, die seit jeher für das Phantastische berühmt war: Kohan schreibt mit filmischen Schnitten, hochkalkuliert und mit der realistischen Präzision des amerikanischen Short-Cuts-Stils.

Sein neuester Roman widmet sich in diesem äußerst zeitgenössisch konnotierten Stil einem prägenden Kapitel der argentinischen Geschichte: den beiden Fußball-Weltmeisterschaften 1978 und 1982. Bei der ersten, 1978, war Argentinien Gastgeberland und wurde Weltmeister. 1982, nach dem Ende der argentinischen Militärdiktatur, schied man dann aber früh aus. Um die Militärdiktatur und um ihr Bild in der nationalen Fußball-Euphorie geht es Martin Kohan in seinem Buch. Die Fußball-Weltmeisterschaft 1978 war ein ideales Propagandainstrument zur Stabilisierung der autoritären Macht.

Das Buch ist durch viele kleine, in sich geschlossene Abschnitte gegliedert, die Prosa wechselt ständig die Perspektive. Es gibt dabei drei Hauptstrecken, die miteinander konfrontiert werden, wobei sich der Zusammenhang erst allmählich assoziativ erschließt. Da ist zum einen der Ich-Erzähler, der 1978 als Rekrut zur argentinischen Armee eingezogen wird.

Da ist zum anderen die Frau, die gerade ein Kind gebärt, aber offenkundig gefangengehalten und gefoltert wird. Und da ist zum Dritten die argentinische Fußballmannschaft 1978, die sich in vielen Einzelheiten abrupt in diese Prosaminiaturen schiebt: da werden die Namen der Spieler, ihre Vornamen, ihre Vereinszugehörigkeit, ihre Körpergröße, ihr Körpergewicht statistisch benannt und kommentarlos zwischen die anderen Erzählblöcke gestellt.

Das Geschehen wird aus einer kalten Distanz betrachtet, der Ich-Erzähler und Rekrut hält seine Beobachtungen in einem ebenso berichtenden, nüchtern Stil fest wie die Gebärende. Der Rekrut wird als Musterbeispiel eines Opportunisten erkennbar, der von seinem Vater die Verhaltensweisen beim Heer gelernt hat: nicht denken, nicht auf sich aufmerksam machen.

Er wird Fahrer beim Militärarzt Dr. Mesiano, der eine hohe Stellung in den Foltergefängnissen der Armee hat. 1982 dann studiert der ehemalige Rekrut Medizin und stößt bei der Nachricht von dessen Tod noch einmal auf seinen ehemaligen Vorgesetzten Mesiano.

Die Machart des Romans wird, trotz der scheinbaren Verrätselung durch die zerstückelten Erzähleinheiten, schnell klar: Durch den gefühllosen Blick eines Mitläufers soll der Leser in die Verhältnisse einer Diktatur hineingezogen werden.

Allerdings arbeitet Martin Kohan mit manchmal allzu aufdringlichen Mitteln. Gleich im ersten Satz geht es um die Frage, ab wie viel Jahren man ein Kind foltern könne – diese Frage stellt ein Untergebener dem Arzt Dr. Mesiano, und die gefolterte Schwangere im Gefängnis wird recht effekthascherisch mit den karrieristischen Gedanken des Rekruten und den statistischen Daten der argentinischen Fußballmannschaft konfrontiert.

Das Funktionieren einer Diktatur in Gestalt eines typischen, durchschnittlichen Mitmachers stellt Kohan durchaus gekonnt dar, er nimmt die bekannte Banalität des Bösen hochambitioniert ins Visier. Gelegentlich wirkt es aber formal überanstrengt.

Besprochen von Helmut Böttiger

Martin Kohan: Zweimal Juni
Roman
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main
183 Seiten, 19,80 Euro