Schreibende Fußballfans
Die Fußballweltmeisterschaft 2006 wirft ihre Schatten voraus. Und weil bereits im WM-Vorfeld gezeigt werden soll, dass Fußball kein kulturloses Gekicke ist, waren prominente Literaten zu der Diskussionsrunde "Kopfballspieler" geladen. Dort hatten sie die Gelegenheit, ihre Sicht auf das runde Leder darzustellen, und zeigten, dass sie sich nicht für eine reine PR-Veranstaltung vereinnahmen lassen.
Du bist Franz Beckenbauer, diese Drohung schlägt einem gelegentlich unvermutet von einer Plakatwand oder eine Zeitungsannonce entgegen. Langsam erahnt man, was dies bedeutet und was uns alles in diesem halben Jahr bis zur Fußballweltmeisterschaft noch erwarten wird. Deutschland wird zur Arena. Das beginnt mit der Sprache.
Burkhard Spinnen: "Jetzt, wo hier ein besonderer Ausbruch des Fußballerischen stattfindet, hängt sich jeder an diese Terminologie an, weil sie als einzige neben der ökonomischen Terminologie noch so etwas wie Allgemeinheitsstiftendes versprechen kann. "
Burkhard Spinnen war als Autor, Literaturwissenschaftler und Fan der Borussen aus Mönchengladbach zu diesem Gipfeltreffen von Weltliteratur und Fußballleidenschaft eingeladen. Und so erlebte man auf dem feierlichen Empfang der Autoren den zwanghaften Versuch, Fußball und Literatur in Analogien zu pressen. Kulturstaatsminister Bernd Neumann verstieg sich gar zu dem steilen Satz: "Da wird der Schiedsrichter zu Hamlet: Abseits oder nicht Abseits, das ist die Frage." Auf diese Weise spielt man eher schnell ins Aus, will man in der Terminologie bleiben, ohne die kein Moderator dieser Veranstaltungsreihe auszukommen schien. Da traf man sich zum Anpfiff und diskutierte in der 90. Spielminute, bevor es in die Nachspielzeit ging. Überhaupt drängte es alle zu einem Fanbekenntnis, als könne man dadurch Absolution erhalten. Bernd Neumann ist natürlich Fan von Werder Bremen, aber weil er Diplomat und in Berlin zu Gast ist, im Zweifelsfalle auch für Herta BSC. Und Gefühle haben sie plötzlich. Was wird da geweint! Man kann nur staunen, so wie die Ehefrau des Schweizer Schriftstellers Thomas Hürlimann.
Thomas Hürlimann : "Da ging die Tür und meine Frau kam herein und sah mich tränenüberströmt vor dem Fernseher sitzen und sie sagte dann den schönen Satz: Jetzt bist du mir vollständig fremd geworden. "
Fremd werden die Autoren vor allem sich selbst, wenn sie sich als hemmungslose Fußballfans erleben und genau dies tun, was sie ansonsten als kritische Zeitgenossen heftig kritisieren, wie Burkhard Spinnen:
"Was ist das jetzt? Was heißt das: bin ich der treueste Mensch der Welt, brauche ich nur eine Fahne, um ihr nachzulaufen egal wer sie trägt? Bin ich ein Idiot? Wie wird das weitergehen? Und das kann ich jeden Samstag austesten und jeden Samstag kriege ich Material für diese Selbstreflexion. "
Dies zeigt aber auch die Veränderung. Ein deutscher Autor muss nicht mehr befürchten, deswegen scheel angesehen zu werden. Der russische Autor Victor Jerofejew traute sich dagegen lange nicht, sich als Intellektueller öffentlich zu seiner Fußballleidenschaft zu bekennen, da der Fußball zu sowjetischen Zeiten eindeutig der politischen Propaganda diente. Gleiches erlebte der südkoreanische Autor Hwang Chi-Woo. Erst mit der Demokratisierung konnten sie unbefangen ihrer Leidenschaft frönen. Freilich gehen auch in der Demokratie Fußball und Politik eine heftige Liaison ein und nicht erst seit dem Fußballkanzler Gerhard Schröder.
Burkhard Spinnen: "Der Fußball hat im Gegensatz zu vielen anderen Themen heute eine sehr, sehr genaue Beziehung zur ökonomischen Situation, in der wir leben. Da wird dann der Fußball plötzlich sehr interessant in seiner Beziehung zur kapitalistischen Struktur und gleichzeitig in seinem Widerstand dagegen, weil dann doch eben alles Spiel ist, weil doch nicht alles auszurechnen ist. "
Auf das Wunderbarste war genau dies bei dieser Gelegenheit zu beobachten. Mit viel Geld wollte man eine Art literarischen Gladiatorenwettkampf aufziehen, in denen die Schriftsteller nur noch als Werbeflächen für die kommende WM dienen sollten. Der Kulturbetrieb mag sich zu solchen Gelegenheiten gern als liederliches Luder präsentieren, doch der Autor als wahrer Homo Ludens lässt sich nicht einfangen. Und so begannen die Autoren plötzlich ihr eigenes Spiel und nach ihren Regeln mit großem Vergnügen zu spielen. Dies zeigte den fundamentalen Unterschied zum Fußballspieler, denn diesem wäre längst die Rote Karte gezeigt worden und würde ein Fußballspieler so tief schürfend über seinen Sport nachdenken, wie Burkhard Spinnen, fortan würde er nur noch über seine eigenen Beine stolpern:
"Aber Fußball! Das ist doch komisch, ausgerechnet mit den Füßen, die man eigentlich zum Laufen braucht, wobei ein Ball stört. Gelegentlich fällt man ja auch über den Ball, weil man nicht gleichzeitig laufen kann. Und dann, um es noch auf die Spitze zu treiben, gelegentlich mit dem Kopf, wobei man die Hände noch betont weglassen muss, weil man sonst abgepfiffen wird, bis auf den Torwart, der korrekterweise kein Fußballer ist. "
Voran stürmte von Lachsalven gefolgt der ewige Clown Péter Esterházy, der selbst ein ziemlich guter Fußballspieler gewesen ist, und konterkarierte die hochgeschraubten Erwartungen an eine pseudointellektuelle Diskussion. Als Autor spielt man eben nur gegen sich selbst und besitzt daher alle Freiheiten.
Péter Esterház: "Ja beim Schreiben ist man alles, man ist das Spiel, der Schiedsrichter, der rechte Außen, der Ball Madame Bovary alles. "
Ein Autor wie Péter Esterházy gebraucht die Regeln im Gegensatz zum Fußballspieler nur, um sie immer wieder zu brechen, oder um mit ihnen subversiv zu spielen und sie dadurch letztlich ad absurdum zu führen.
Péter Esterházy und Markus Siegler: "Aber in den Spielregeln steht das so, dass die Breite kann von 50 Meter bis 90 sein und die Länge kann von 90 bis 120 sein. Es kann ein Bezirksligaspiel theoretisch, weil es nirgends geschrieben wird, dass es muss kein Quadrat sein soll, das ist nicht in Regel, also es kann sein, dass das Feld 90 mal 90 ist. Meine Frage ist, würden sie bitte nachschauen? – Ich hab jetzt die Spielregeln nicht bei mir – Nein, da hab ich Recht! "
Wenn es denn ein Spiel war, so hat die Literatur gewonnen und zwar haushoch.
Burkhard Spinnen: "Jetzt, wo hier ein besonderer Ausbruch des Fußballerischen stattfindet, hängt sich jeder an diese Terminologie an, weil sie als einzige neben der ökonomischen Terminologie noch so etwas wie Allgemeinheitsstiftendes versprechen kann. "
Burkhard Spinnen war als Autor, Literaturwissenschaftler und Fan der Borussen aus Mönchengladbach zu diesem Gipfeltreffen von Weltliteratur und Fußballleidenschaft eingeladen. Und so erlebte man auf dem feierlichen Empfang der Autoren den zwanghaften Versuch, Fußball und Literatur in Analogien zu pressen. Kulturstaatsminister Bernd Neumann verstieg sich gar zu dem steilen Satz: "Da wird der Schiedsrichter zu Hamlet: Abseits oder nicht Abseits, das ist die Frage." Auf diese Weise spielt man eher schnell ins Aus, will man in der Terminologie bleiben, ohne die kein Moderator dieser Veranstaltungsreihe auszukommen schien. Da traf man sich zum Anpfiff und diskutierte in der 90. Spielminute, bevor es in die Nachspielzeit ging. Überhaupt drängte es alle zu einem Fanbekenntnis, als könne man dadurch Absolution erhalten. Bernd Neumann ist natürlich Fan von Werder Bremen, aber weil er Diplomat und in Berlin zu Gast ist, im Zweifelsfalle auch für Herta BSC. Und Gefühle haben sie plötzlich. Was wird da geweint! Man kann nur staunen, so wie die Ehefrau des Schweizer Schriftstellers Thomas Hürlimann.
Thomas Hürlimann : "Da ging die Tür und meine Frau kam herein und sah mich tränenüberströmt vor dem Fernseher sitzen und sie sagte dann den schönen Satz: Jetzt bist du mir vollständig fremd geworden. "
Fremd werden die Autoren vor allem sich selbst, wenn sie sich als hemmungslose Fußballfans erleben und genau dies tun, was sie ansonsten als kritische Zeitgenossen heftig kritisieren, wie Burkhard Spinnen:
"Was ist das jetzt? Was heißt das: bin ich der treueste Mensch der Welt, brauche ich nur eine Fahne, um ihr nachzulaufen egal wer sie trägt? Bin ich ein Idiot? Wie wird das weitergehen? Und das kann ich jeden Samstag austesten und jeden Samstag kriege ich Material für diese Selbstreflexion. "
Dies zeigt aber auch die Veränderung. Ein deutscher Autor muss nicht mehr befürchten, deswegen scheel angesehen zu werden. Der russische Autor Victor Jerofejew traute sich dagegen lange nicht, sich als Intellektueller öffentlich zu seiner Fußballleidenschaft zu bekennen, da der Fußball zu sowjetischen Zeiten eindeutig der politischen Propaganda diente. Gleiches erlebte der südkoreanische Autor Hwang Chi-Woo. Erst mit der Demokratisierung konnten sie unbefangen ihrer Leidenschaft frönen. Freilich gehen auch in der Demokratie Fußball und Politik eine heftige Liaison ein und nicht erst seit dem Fußballkanzler Gerhard Schröder.
Burkhard Spinnen: "Der Fußball hat im Gegensatz zu vielen anderen Themen heute eine sehr, sehr genaue Beziehung zur ökonomischen Situation, in der wir leben. Da wird dann der Fußball plötzlich sehr interessant in seiner Beziehung zur kapitalistischen Struktur und gleichzeitig in seinem Widerstand dagegen, weil dann doch eben alles Spiel ist, weil doch nicht alles auszurechnen ist. "
Auf das Wunderbarste war genau dies bei dieser Gelegenheit zu beobachten. Mit viel Geld wollte man eine Art literarischen Gladiatorenwettkampf aufziehen, in denen die Schriftsteller nur noch als Werbeflächen für die kommende WM dienen sollten. Der Kulturbetrieb mag sich zu solchen Gelegenheiten gern als liederliches Luder präsentieren, doch der Autor als wahrer Homo Ludens lässt sich nicht einfangen. Und so begannen die Autoren plötzlich ihr eigenes Spiel und nach ihren Regeln mit großem Vergnügen zu spielen. Dies zeigte den fundamentalen Unterschied zum Fußballspieler, denn diesem wäre längst die Rote Karte gezeigt worden und würde ein Fußballspieler so tief schürfend über seinen Sport nachdenken, wie Burkhard Spinnen, fortan würde er nur noch über seine eigenen Beine stolpern:
"Aber Fußball! Das ist doch komisch, ausgerechnet mit den Füßen, die man eigentlich zum Laufen braucht, wobei ein Ball stört. Gelegentlich fällt man ja auch über den Ball, weil man nicht gleichzeitig laufen kann. Und dann, um es noch auf die Spitze zu treiben, gelegentlich mit dem Kopf, wobei man die Hände noch betont weglassen muss, weil man sonst abgepfiffen wird, bis auf den Torwart, der korrekterweise kein Fußballer ist. "
Voran stürmte von Lachsalven gefolgt der ewige Clown Péter Esterházy, der selbst ein ziemlich guter Fußballspieler gewesen ist, und konterkarierte die hochgeschraubten Erwartungen an eine pseudointellektuelle Diskussion. Als Autor spielt man eben nur gegen sich selbst und besitzt daher alle Freiheiten.
Péter Esterház: "Ja beim Schreiben ist man alles, man ist das Spiel, der Schiedsrichter, der rechte Außen, der Ball Madame Bovary alles. "
Ein Autor wie Péter Esterházy gebraucht die Regeln im Gegensatz zum Fußballspieler nur, um sie immer wieder zu brechen, oder um mit ihnen subversiv zu spielen und sie dadurch letztlich ad absurdum zu führen.
Péter Esterházy und Markus Siegler: "Aber in den Spielregeln steht das so, dass die Breite kann von 50 Meter bis 90 sein und die Länge kann von 90 bis 120 sein. Es kann ein Bezirksligaspiel theoretisch, weil es nirgends geschrieben wird, dass es muss kein Quadrat sein soll, das ist nicht in Regel, also es kann sein, dass das Feld 90 mal 90 ist. Meine Frage ist, würden sie bitte nachschauen? – Ich hab jetzt die Spielregeln nicht bei mir – Nein, da hab ich Recht! "
Wenn es denn ein Spiel war, so hat die Literatur gewonnen und zwar haushoch.