"Schrift ist ein ganz wichtiger Teil jedes Erscheinungsbildes"

Moderation: Joachim Scholl |
Über "Die Macht der Schrift" spricht Andreas Koop auf der TYPO Berlin. Die Nationalsozialisten etwa hätten die Frakturschrift in ihrer Anfangszeit ganz bewusst genutzt, um volksnah zu wirken, erläutert der Designer: Denn ein Großteil der Deutschen konnte sie damals besser lesen als die Lateinische.
Joachim Scholl: Ältere Hörer werden sich noch erinnern an die sogenannte Frakturschrift, diese besonders eckig-kantige Schrifttype, wie man sie aus alten deutschen, ja, eher säbelrasselnden Zeiten kennt – warum ist sie verschwunden? Darüber denkt der Designer Andreas Koop nach, Autor des Buches "Die Macht der Schrift" und Teilnehmer an der heute beginnenden TYPO Berlin 2013, der größten europäischen Designmesse.

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Andreas Koop: Guten Tag!

Scholl: Es gibt, Herr Koop, ein Asterixheft, vielleicht kennen Sie es auch: "Asterix und Obelix bei den Goten", da sprechen die gotischen, streitaxtschwingenden Krieger in der Sprechblasen-Fraktur. Das sieht enorm drollig aus, ist natürlich ein Seitenhieb auf die germanische, notorische Kriegslust – dafür steht die Fraktur, die Type bis heute, nicht wahr?

Koop: Ja, zumindest landläufig. Also eigentlich ist die Geschichte ein wenig komplizierter. Aber es gibt tatsächlich schon gewisse Traditionsstränge in unterschiedlichen Nationen. Da haben die Franzosen die ihre, die Deutschen, wir haben die unsere, und bei uns spielt die gebrochene Schrift – denn die Fraktur ist nur eine von vier gebrochenen Schriften – natürlich schon eine gewisse Rolle, die weit zurückreicht.

Scholl: Auf die anderen Nationen kommen wir gleich zu sprechen. Wann, in welcher Epoche, wurde denn die Fraktur offizielle Schrift?

Koop: Nie, offizielle Schrift wurde sie nie. Es gab 1910 oder 11 sogar im Reichstag eine große Diskussion mit einer Abstimmung, was denn nun die deutsche Schrift sei. Und ich glaube, die Befürworter der Fraktur haben sich da auch knapp durchgesetzt, aber es hatte keine wirklichen Konsequenzen. Offiziell deutsche Schrift war sie nie, sie wurde aber immer dann verwendet, wenn es ums Nationale ging und das Nationale betont werden sollte.

Scholl: Und das heißt sozusagen, im Nationalsozialismus war die Fraktur dann deshalb auch in?

Koop: Genau, vor allem in der Anfangszeit der Bewegung, also da, wo sich die NSDAP vor allem eben noch volksnah geben musste. Da hat sie schon zu einem großen Teil mit gebrochenen Schriften gearbeitet.

Scholl: Das heißt sozusagen, das Image oder die Wirkung dieser Frakturschrift, wenn man sie heute so in alten Zeitungen oder Büchern sieht, die kommt auch daher?

Koop: Mit Sicherheit, also sie hat bei den anderen Nationen einfach dieses Stigma der Besatzerschrift und bei uns natürlich sozusagen das Pendant dazu, die Schrift des Besetzenden. Das kann man so sagen. Aber wie gesagt, die Geschichte geht eigentlich sogar bis Luther zurück. Denn Luther hat sich damals entschieden bei seiner deutschsprachigen Ausgabe der Bibel, dass er eben keine Antiqua verwendet. Also keine lateinischen Buchstaben, wie wir sie heute in den Zeitungen oder bei Romanen sehen, sondern ganz bewusst eine gebrochene. Und dann hat sich über Jahrhunderte eigentlich erhalten, dass wissenschaftliche Texte, die meistens ja lateinisch waren, in einer Antiqua waren, und eher prosaische Texte dann in einer gebrochenen Schrift. Was dann auch dazu führte, dass die normalen Menschen die gebrochene Schrift bis bestimmt in die 30er-Jahre hinein besser lesen konnten und schneller lesen konnten ...

Scholl: ... als die Antiqua.

Koop: Genau.

Scholl: Was uns jetzt genau umgekehrt geht. Wir müssen uns sozusagen erst wieder zurechtfinden, wenn wir – was weiß ich – eine Goetheausgabe von 1789, was natürlich in dieser Fraktur, in der gebrochenen Schrift, gedruckt ist.

Koop: Richtig, ja. Selbst wenn die Nationalsozialisten der Schrift nicht den Todesstoß versetzt hätten, sie hätte sich wahrscheinlich überlebt.

Scholl: Die Abschaffung der martialischen Fraktur, wenn man sie so nennen will, nach 45, war demnach auch ein sichtbarer Bruch mit dieser Vergangenheit. Welche Schrift wurde denn dann so in der demokratischen Bundesrepublik zum politischen Zeichen auch?

Koop: Also man muss auch noch mal differenzieren: Genau so, wie es nie die deutsche Schrift war, die verordnet wurde, genau so wurde sie auch nie verboten. Es sind ja die ganzen Zeichen, SS-Runen, Hakenkreuze sind ja verfassungsrechtlich verboten, die Schrift natürlich nicht.

Scholl: Man hat sich entschieden, sie sozusagen als offizielle Schrifttype nicht mehr zu verwenden.

Koop: Genau, ja, man sieht schon einen Bruch, der Bruch geht aber ohne Verordnung vor sich.

Scholl: Was hat sich denn durchgesetzt als Schrifttype bei öffentlichen Regierungsverlautbarungen? Wie schreibt die Demokratie?

Koop: Im Grunde ist es immer eine Mischung aus Sans Serif, also Groteskschriften, die ohne Schnörkel, ohne die sogenannten Serifen, diese Auskragungen am Ende, wo der Buchstabe auf die Zeile kommt, und die Antiqua, also die Schriften mit Serifen, wie sie in Romanen und Büchern zu sehen ist.

Scholl: Also unsere Times-New-Roman-Schrift, die sozusagen immer als Erstes auf dem Computer auftaucht, mit der viele schreiben, das ist sozusagen jetzt gang und gäbe dann?

Koop: Genau, und eben die Arial als Pendant oder eben die Verdana.

Scholl: Wie ist das eigentlich in anderen Ländern? Sie haben es vorhin schon angesprochen. Da gibt es ja auch unterschiedliche Entwicklungen in der Typografie.

Koop: Ja, interessant ist da Frankreich. In Frankreich gibt es seit Napoleon sozusagen als staatliche Schrift die klassizistische Antiqua. Also so eine besondere, feine Form der uralten römischen Schrift sozusagen, die mit Napoleon kam und die nicht wieder geht. Also sogar der Briefbogen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte hat so ein Zitat dieser klassizistischen Antiqua in seinem Briefbogen. Und egal ob Börse, Denkmäler, Oper – man findet in Frankreich überall klassizistische Antiqua, wo es um staatliche, um nationale Dinge geht.

Scholl: Die Schrift und die Macht – Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit dem Designer und Autor Andreas Koop. Wie, Herr Koop, würden Sie denn sagen, kommunizieren also moderne Regierungen heute demokratische Autorität über die Schrift? Lässt sich da was Generelles sagen?

Koop: Ja, also in Deutschland kann man, glaube ich, sehr, sehr klar sagen, es ist der leisestmöglich typografische Auftritt, den man nur haben kann. Also es ist eine ganz – linksbündig, eine schmal laufende Univers. Also eine ganz feine eigentlich Schweizer Typografie, die es so in dieser Art und in dieser Stringenz auch tatsächlich nur noch die Schweizer haben. In anderen Ländern sieht es ... es ist wirklich sehr unterschiedlich. Man muss auch noch mal trennen zwischen dem eher operativen, also dem operativen Teil, also eher der Regierung und dem repräsentativen Teil von Präsidenten oder Monarchen, die ja in der Regel relativ wenig zu sagen und mehr eben darzustellen haben. Und das sieht man ihrer visuellen Repräsentation durchaus an.

Also in Österreich beispielsweise hat die Regierung ein durchaus ähnliches Erscheinungsbild wie die Deutschen. Der Präsident aber hat einen habsburgisch-opulenten Kaiser, keinen reduzierten, und hat eine Antiqua, hat auf Mittelachse gesetzt. Also da sieht man das Feierliche, Repräsentative und vielleicht auch Kompensatorische mangelnder Macht durchaus ganz gut.

Scholl: Sie haben ja diese historische Entwicklung verschiedener Typografien hier im Buch erforscht. Wie ist es denn eigentlich mit der Gegenseite, wenn man sie mal so nennen will, also sagen wir, ja, den Nichtregierungsorganisationen oder den Protestgruppen, Revolutionären? Die Flugblätter verfassen und dann eben auch drucken, wie wird da geschrieben?

Koop: Ja, das war ein ganz interessanter Aspekt, das war mir auch ganz wichtig, einmal sozusagen die Gegenseite der Macht zur Hinterfragung all dessen, was auf staatlicher Seite so ans Tageslicht kam, einfach noch mal so zu prüfen oder zu hinterfragen. Und man kann tatsächlich sagen, ganz durchgängig Schriften mit Serifen, also diese römische Typografie, gibt es dort nicht. Also ich hab Friedensplakate analysiert, da gibt es also nur ganz sachliche Typografie, feine Typografie. Ich habe dann einen Artikel auch drüber geschrieben, der hieß "Der Frieden des Grotesk", weil man eben tatsächlich nur Groteskschriften findet.

Interessant auch Atelier Populaire, der Aufstand im Mai 68 in Paris, wo ja Studenten Plakate, sehr viele Plakate und sehr, sehr gute Plakate produziert haben, die handwerklich, künstlerisch auch auf hohem Niveau waren. Man findet da nur auf zwei, drei Plakaten Schriften mit Serifen – bezeichnenderweise einmal da, wo das Wort de Gaulle gesetzt ist, dann hat sozusagen die Schrift auch ihre Aussage automatisch mitbekommen. Und wenn man dann vielleicht noch mal so ins Terroristische überblendet, so was wie die RAF wäre tatsächlich schwer denkbar in römischen Versalien. Also ganz klar, das ist eher eine kantige, eher eine gröbere und absolut erkennbar eine Gegenposition zur Macht.

Scholl: Interessant ist ja bei diesem Thema wirklich auch die Wirkung. Wie groß ist diese eigentlich tatsächlich? Also gibt es da so etwas wie eine Art subliminale unterschwellige Botschaft, die beim Betrachter etwas auslöst, die da so mitschwingt in der Schrifttype? Wird da etwas kommuniziert, was wir gar nicht so wahrnehmen?

Koop: Davon gehe ich mal ganz stark aus. Also Schrift ist ein ganz wichtiger Teil jedes Erscheinungsbildes, aber mit Sicherheit der subtilste. Farbe hat ihre Wirkung, es gibt Farbpsychologie, das wird niemand bestreiten, welche Wirkung die Farbe Rot hat. Wir haben Zeichen, wir haben Wappen. Und die Schrift ist mit Sicherheit der leiseste, subtilste, aber nicht unwichtigste Teil. Wenn dem nicht so wäre, würden Unternehmen wie Daimler und andere keine eigenen Schriften beauftragen und für viele Hunderttausende Euro dann gestalten lassen, wenn es keine Relevanz hätte.

Scholl: Das machen die, ja?

Koop: Ja, ja, das ist gang und gäbe.

Scholl: Sie sind selbst Designer, Herr Koop, in welcher Schrift schreiben Sie denn, wenn Sie am Computer sitzen und mal eine ganz normale Mail an einen Freund verschicken.

Koop: Also bei E-Mails ist die Verdana eben als Systemschrift. Und als Hausschrift im Büro haben wir die Vista.

Scholl: Und wie sieht die aus?

Koop: Auch eine ohne Serifen, aber mit so einem humanistischen Duktus und so etwas kantiger, markanter.

Scholl: Ich meine, jeder der einen PC hat, kennt ja so die Endlosliste unterschiedlicher Schrifttypen, die man verwenden kann. Welche finden Sie persönlich eigentlich, auch so vom Design die Schönste, haben Sie einen Liebling?

Koop: Ja, also niemals eine Systemschrift. Wir haben für sehr viele Tausend Euro Schriften gekauft über die Jahre, und da gibt es schon so bestimmte Favoriten. Wie die Milo oder eben die Vista oder die Univers, die Akzidenz-Grotesk, die Garamond.

Scholl: Nachdem Sie das Buch geschrieben haben und ja doch lange recherchiert haben. Was hat Sie eigentlich so am meisten überrascht bei dieser Suche nach der Wirkung von Schrift und nach der Historie von Schriften?

Koop: Überraschend war die Traditionsbindung, also mit dem hätte ich nicht gerechnet, dass diese Traditionsstränge, die eben national unterschiedlich sind, wie wir vorher schon thematisiert haben, wie stark die wirken. Eine Urkunde für ein Bundesverdienstkreuz sieht im Grunde nicht so viel anders aus wie eine Verleihungsurkunde für ein Eisernes Kreuz vor 60 Jahren oder 70 Jahren. Also es haben sich unglaublich viel tradierte Elemente enthalten, die vielleicht weniger jetzt nur die Schrift betreffen als auch die Typografie, das Zeremoniell der Typografie, das ein ganz wichtiger Punkt in dieser Forschungsarbeit war, also wie stark die Vergangenheit in unser Heute reicht, das war schon sehr überraschend.

Scholl: Die Macht der Schrift – Danke Ihnen, Andreas Koop! Der Designer war bei uns zu Gast zum heutigen Auftakt der TYPO Berlin 2013 der Designmesse, wo Andreas Koop auch einen Vortrag halten wird. Und sein Buch "Die Macht der Schrift" ist im Niggli Verlag erschienen. Herzlichen Dank, Andreas Koop, für dieses Gespräch!

Koop: Sehr gerne!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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