Schriftsteller auf der Bühne
Nirgendwo ist die Lesebühnen-Szene bunter, sind die Auftritte häufiger als in der Hauptstadt. Eine der bekanntesten ist "Die Chaussee der Enthusiasten". Hier treten jeden Donnerstag die "schönsten Schriftsteller Berlins" auf.
"Herzlich Willkommen zur Chaussee der Enthusiasten.
Mein Text heißt: Ich esse kein Fleisch aus Massentierhaltung, ich finde es einfach fies, glückliche Tiere zu schlachten. Der war sehr kurz, deshalb gleich noch einen Science Fiction hinterher …"
So klingt es wenn Volker Strübing, einer der Enthusiasten, auf der Bühne des RAW-Tempels steht.
Wie jeden Donnerstagabend nach 9 Uhr sind all die bunt zusammen gewürfelten Stühle, Sessel, Tische, die Hocker an der kleinen Bar und sogar der Rand der Bühne voller Menschen. Über 200 Leute, die zuvor geduldig bis hinaus auf die Revaler Straße in Berlin-Friedrichshain Schlange gestanden haben, möchten hören, was die Enthusiasten erzählen.
"Ich will keine Kinder, ich will Klone, dann wäre nämlich auch endlich Schluss mit der Scheiß Evolution. Muss sich nur mal angucken, wo die hingeführt hat. Fing ja alles ganz harmlos an mit Einzellern, Trilobiten und anderen Putzigkeiten, doch dann ist sie völlig durchgedreht, mittlerweile gibt es Wesen, die Atombomben bauen und Nachmittagstalkshows gucken. Heilige Scheiße, ich will gar nicht dran denken, was für Scheußlichkeiten sich noch entwickeln, wenn man die Evolution weiter wurschteln lässt. Ich will keine Kinder, ich will Klone."
Volker Strübing ist gelernter Facharbeiter für Datenverarbeitung, Musiker und Schriftsteller, im Oktober 2005 hat er seinen ersten Roman veröffentlicht.
Die Texte, die auf der Bühne des RAW-Tempels zum Besten gegeben werden, entstehen oft erst am selben Tag. Diese Spontaneität – auch im Vortrag – und das Unüberarbeitete machen oft ihren Charme aus.
""Ich werd’ mich mal an den Nachbartisch setzen, ich muss meinen Text für heute Abend noch fertig machen."
Die selbsternannten schönsten Schriftsteller Berlins sind sechs Männer zwischen Ende zwanzig und Ende dreißig. Alle sind in der ehemaligen DDR aufgewachsen und kannten sich teilweise schon vor der Gründung der Chaussee der Enthusiasten.
Jochen Schmidt und Andreas Kampa, besser bekannt als Bohni, weil er aus Berlin-Bohnsdorf stammt, sind zusammen in die Schule gegangen. Dan Richter kennt Stephan Zeisig, der momentan in Frankreich studiert, von seiner Arbeit bei amnesty international. Volker Strübing hat er damals bei den Surfpoeten, einer der zahlreichen anderen Berliner Lesebühnen, kennen gelernt.
Sie erzählen von ihren persönlichen Erlebnissen, die oft unspektakulär, aber überaus amüsant sind, von der Kindheit, Pubertät, jüngsten Vergangenheit, von ihren Reisen und Familien. Sie schildern, wie die Suche nach Ostereiern sie charakterlich geprägt hat, wie sie am Ostseestrand ihre Unschuld verloren haben. Erzählen, wie sie mit ihren Kindern Arbeitsamt spielen oder von einem Besuch im Schwimmbad. Aus Dan Richters Hitparade der unangenehmen Personen im Schwimmbad:
"Aus Übermut versuche ich eine Unterwasserwende. Kurz vor dem Auftauchen spüre ich einen harten schlag im Nacken. Ein dickes, behäbiges Kind sitzt auf mir. Es kann offenbar nicht schwimmen, denn es klemmt panisch seine Oberschenkel um meinen Hals. Ich zähle eins und eins zusammen: hinter dem kann nur der Platz 2, der hinterhältige Jugendliche stecken. Er heißt Oliver, wie alle hinterhältigen Jugendlichen."
Dan Richter ist kulturell so eine Art Hans Dampf in allen Gassen. Hobbys hat er keine mehr. Alles, was ihm Spaß macht, wie Schreiben, Theater, Musik und Organisieren ist mittlerweile Beruf. Obwohl die "Chaussee der Enthusiasten" eine basisdemokratische Einrichtung ist, hat Dan nicht nur den Namen vorgeschlagen.
"Es gibt eine Straße in Moskau, die heißt Chaussee Entusiastow. Das ist so eine Ausfallstraße, eine ziemlich hässliche. Als ich die das erste Mal gesehen habe 1990, habe ich gedacht, das wäre mal ein schöner Name für eine Band."
Seit 1999 stehen die Enthusiasten auf der Bühne und wer hier die echten Enthusiasten sind – die im Publikum oder die auf der Bühne – lässt sich oft nicht unterscheiden. Das war nicht immer so. Zunächst hielt die Enthusiasten die Hoffnung auf den Erfolg zusammen, schnell dann der Erfolg selbst. Sind sie eigentlich nur auf die Bühne gegangen, um als große Schriftsteller entdeckt und reich zu werden, oder gab es da noch etwas anderes?
"Für mich ist es so wie für Woody Allen in New York, der spielt jeden Montag Klarinette im Carlile Club und geht dann auch zu Oscar Verleihungen nicht, wenn das montags ist. So ist es eben, jeden Donnerstag, sollte jeder wissen, der mich nach Terminen fragt oder irgendetwas von mir will, dass ich Donnerstag nicht kann."
Jochen Schmid, hat sein erstes Buch "Triumphgemüse" ungefähr zeitgleich mit der Gründung der Chaussee der Enthusiasten veröffentlicht. Für ihn sind seine Autorentätigkeit und die Enthusiasten zwei ganz verschiedene Dinge, die nichts miteinander zu tun haben. Dasselbe gilt auch für die Texte: Wenn er schreibt, unterscheidet er klar zwischen Romanmanuskripten und den Texten, die er auf der Lesebühne vorträgt.
"Vom Schreiben leben, was heißt denn das? Finanziell oder emotional? Finanziell kann man das schon, schwieriger ist emotional."
Allen sechs Enthusiasten ist der Donnerstag wichtig und das eher fürs Gemüt als für den Geldbeutel, holt er sie doch aus ihrem einsamen Job, der Schriftstellerei. Man arbeitet gerne zusammen, genießt das Publikum und ja, auch den Erfolg. Für Bohni ist der Donnerstag Hauptlebensinhalt, für Dan das größte Glück …
Was ihren Erfolg ausmacht, sehen Dan und Jochen unterschiedlich:
"Man muss ein äußerst charmantes Äußeres haben, man muss gut schreiben können, man muss ein gutes Herz haben, man muss Liebe versprühen, man sollte großzügig sein, elegant im Auftreten, man muss gut gewaschen sein und hart arbeiten, extrem hart arbeiten können, bis einem das Blut unter den Fingerkuppen herausspritzt."
"Das relativ hohe verlässliche Niveau Woche für Woche, wo man kommen kann und weiß, man wird gut unterhalten wenn da ein, zwei, drei Texte einem mal nicht gefallen oder mal nicht so gut sind, reißt der Rest das wieder raus. Das ist wie bei einer guten amerikanischen Sitcom, man schaltet ein und man weiß, man wird sich in den nächsten 20 Minuten gut amüsieren, denn irgendetwas ist immer komisch, im Gegensatz zu deutschen Sitcoms."
Das Publikum – darunter viele Stammgäste – genießt die Show, ein Bier und
"den Humor der Jungs, dann irgendwie, dass es so eine Art Soap ist, dass, wenn man wiederkommt, weiß, dass ist der und der Typ, der schreibt so und so Geschichten, dann auch die Atmosphäre im Raum und die Leute"
"Ich mag diesen gewissen Charme der Jungs, dieses Selbstironische."
"Es gefällt mir die Geschichten zu hören, es ist ja auch lustig und es ist eine nette Freizeitbeschäftigung!"
Also RAW-Tempel statt Kino, Glotze oder Theater? Die Sechs machen weiter und das nicht nur aus purem Egoismus und Spaß an der Freude. Ans Aufhören denkt keiner, auch nicht Jochen:
"Das wäre ja verantwortungslos, wir müssen ja weitermachen, was wäre denn dann mit dem Publikum, was soll denn dann mit denen passieren?"
Service
Einige der schönsten Texte kann man jetzt in einem Buch nachlesen und oder auf der beiligenden CD nachhören, erschienen bei Voland und Quist für 12,80 Euro. Aktuelles über die Enthusiasten gibt es auf ihrer Homepage www.enthusiasten.de.
Mein Text heißt: Ich esse kein Fleisch aus Massentierhaltung, ich finde es einfach fies, glückliche Tiere zu schlachten. Der war sehr kurz, deshalb gleich noch einen Science Fiction hinterher …"
So klingt es wenn Volker Strübing, einer der Enthusiasten, auf der Bühne des RAW-Tempels steht.
Wie jeden Donnerstagabend nach 9 Uhr sind all die bunt zusammen gewürfelten Stühle, Sessel, Tische, die Hocker an der kleinen Bar und sogar der Rand der Bühne voller Menschen. Über 200 Leute, die zuvor geduldig bis hinaus auf die Revaler Straße in Berlin-Friedrichshain Schlange gestanden haben, möchten hören, was die Enthusiasten erzählen.
"Ich will keine Kinder, ich will Klone, dann wäre nämlich auch endlich Schluss mit der Scheiß Evolution. Muss sich nur mal angucken, wo die hingeführt hat. Fing ja alles ganz harmlos an mit Einzellern, Trilobiten und anderen Putzigkeiten, doch dann ist sie völlig durchgedreht, mittlerweile gibt es Wesen, die Atombomben bauen und Nachmittagstalkshows gucken. Heilige Scheiße, ich will gar nicht dran denken, was für Scheußlichkeiten sich noch entwickeln, wenn man die Evolution weiter wurschteln lässt. Ich will keine Kinder, ich will Klone."
Volker Strübing ist gelernter Facharbeiter für Datenverarbeitung, Musiker und Schriftsteller, im Oktober 2005 hat er seinen ersten Roman veröffentlicht.
Die Texte, die auf der Bühne des RAW-Tempels zum Besten gegeben werden, entstehen oft erst am selben Tag. Diese Spontaneität – auch im Vortrag – und das Unüberarbeitete machen oft ihren Charme aus.
""Ich werd’ mich mal an den Nachbartisch setzen, ich muss meinen Text für heute Abend noch fertig machen."
Die selbsternannten schönsten Schriftsteller Berlins sind sechs Männer zwischen Ende zwanzig und Ende dreißig. Alle sind in der ehemaligen DDR aufgewachsen und kannten sich teilweise schon vor der Gründung der Chaussee der Enthusiasten.
Jochen Schmidt und Andreas Kampa, besser bekannt als Bohni, weil er aus Berlin-Bohnsdorf stammt, sind zusammen in die Schule gegangen. Dan Richter kennt Stephan Zeisig, der momentan in Frankreich studiert, von seiner Arbeit bei amnesty international. Volker Strübing hat er damals bei den Surfpoeten, einer der zahlreichen anderen Berliner Lesebühnen, kennen gelernt.
Sie erzählen von ihren persönlichen Erlebnissen, die oft unspektakulär, aber überaus amüsant sind, von der Kindheit, Pubertät, jüngsten Vergangenheit, von ihren Reisen und Familien. Sie schildern, wie die Suche nach Ostereiern sie charakterlich geprägt hat, wie sie am Ostseestrand ihre Unschuld verloren haben. Erzählen, wie sie mit ihren Kindern Arbeitsamt spielen oder von einem Besuch im Schwimmbad. Aus Dan Richters Hitparade der unangenehmen Personen im Schwimmbad:
"Aus Übermut versuche ich eine Unterwasserwende. Kurz vor dem Auftauchen spüre ich einen harten schlag im Nacken. Ein dickes, behäbiges Kind sitzt auf mir. Es kann offenbar nicht schwimmen, denn es klemmt panisch seine Oberschenkel um meinen Hals. Ich zähle eins und eins zusammen: hinter dem kann nur der Platz 2, der hinterhältige Jugendliche stecken. Er heißt Oliver, wie alle hinterhältigen Jugendlichen."
Dan Richter ist kulturell so eine Art Hans Dampf in allen Gassen. Hobbys hat er keine mehr. Alles, was ihm Spaß macht, wie Schreiben, Theater, Musik und Organisieren ist mittlerweile Beruf. Obwohl die "Chaussee der Enthusiasten" eine basisdemokratische Einrichtung ist, hat Dan nicht nur den Namen vorgeschlagen.
"Es gibt eine Straße in Moskau, die heißt Chaussee Entusiastow. Das ist so eine Ausfallstraße, eine ziemlich hässliche. Als ich die das erste Mal gesehen habe 1990, habe ich gedacht, das wäre mal ein schöner Name für eine Band."
Seit 1999 stehen die Enthusiasten auf der Bühne und wer hier die echten Enthusiasten sind – die im Publikum oder die auf der Bühne – lässt sich oft nicht unterscheiden. Das war nicht immer so. Zunächst hielt die Enthusiasten die Hoffnung auf den Erfolg zusammen, schnell dann der Erfolg selbst. Sind sie eigentlich nur auf die Bühne gegangen, um als große Schriftsteller entdeckt und reich zu werden, oder gab es da noch etwas anderes?
"Für mich ist es so wie für Woody Allen in New York, der spielt jeden Montag Klarinette im Carlile Club und geht dann auch zu Oscar Verleihungen nicht, wenn das montags ist. So ist es eben, jeden Donnerstag, sollte jeder wissen, der mich nach Terminen fragt oder irgendetwas von mir will, dass ich Donnerstag nicht kann."
Jochen Schmid, hat sein erstes Buch "Triumphgemüse" ungefähr zeitgleich mit der Gründung der Chaussee der Enthusiasten veröffentlicht. Für ihn sind seine Autorentätigkeit und die Enthusiasten zwei ganz verschiedene Dinge, die nichts miteinander zu tun haben. Dasselbe gilt auch für die Texte: Wenn er schreibt, unterscheidet er klar zwischen Romanmanuskripten und den Texten, die er auf der Lesebühne vorträgt.
"Vom Schreiben leben, was heißt denn das? Finanziell oder emotional? Finanziell kann man das schon, schwieriger ist emotional."
Allen sechs Enthusiasten ist der Donnerstag wichtig und das eher fürs Gemüt als für den Geldbeutel, holt er sie doch aus ihrem einsamen Job, der Schriftstellerei. Man arbeitet gerne zusammen, genießt das Publikum und ja, auch den Erfolg. Für Bohni ist der Donnerstag Hauptlebensinhalt, für Dan das größte Glück …
Was ihren Erfolg ausmacht, sehen Dan und Jochen unterschiedlich:
"Man muss ein äußerst charmantes Äußeres haben, man muss gut schreiben können, man muss ein gutes Herz haben, man muss Liebe versprühen, man sollte großzügig sein, elegant im Auftreten, man muss gut gewaschen sein und hart arbeiten, extrem hart arbeiten können, bis einem das Blut unter den Fingerkuppen herausspritzt."
"Das relativ hohe verlässliche Niveau Woche für Woche, wo man kommen kann und weiß, man wird gut unterhalten wenn da ein, zwei, drei Texte einem mal nicht gefallen oder mal nicht so gut sind, reißt der Rest das wieder raus. Das ist wie bei einer guten amerikanischen Sitcom, man schaltet ein und man weiß, man wird sich in den nächsten 20 Minuten gut amüsieren, denn irgendetwas ist immer komisch, im Gegensatz zu deutschen Sitcoms."
Das Publikum – darunter viele Stammgäste – genießt die Show, ein Bier und
"den Humor der Jungs, dann irgendwie, dass es so eine Art Soap ist, dass, wenn man wiederkommt, weiß, dass ist der und der Typ, der schreibt so und so Geschichten, dann auch die Atmosphäre im Raum und die Leute"
"Ich mag diesen gewissen Charme der Jungs, dieses Selbstironische."
"Es gefällt mir die Geschichten zu hören, es ist ja auch lustig und es ist eine nette Freizeitbeschäftigung!"
Also RAW-Tempel statt Kino, Glotze oder Theater? Die Sechs machen weiter und das nicht nur aus purem Egoismus und Spaß an der Freude. Ans Aufhören denkt keiner, auch nicht Jochen:
"Das wäre ja verantwortungslos, wir müssen ja weitermachen, was wäre denn dann mit dem Publikum, was soll denn dann mit denen passieren?"
Service
Einige der schönsten Texte kann man jetzt in einem Buch nachlesen und oder auf der beiligenden CD nachhören, erschienen bei Voland und Quist für 12,80 Euro. Aktuelles über die Enthusiasten gibt es auf ihrer Homepage www.enthusiasten.de.