Christoph Hein: "Guldenberg"
Suhrkamp, Berlin 2021
284 Seiten, 23 Euro
"Wir sind an einer Zeitenwende"
09:22 Minuten
Der literarische Ort "Guldenberg" taucht nun schon zum sechsten Mal in Christoph Heins Werk auf. In seinem neuen Roman kommt eine Gruppe junger Migranten in den Ort. Hein nimmt Stammtisch und Lokalpolitik detailgenau unter die Lupe.
Christoph Hein kehrt mit seinem neuen Roman "Guldenberg" zum sechsten Mal literarisch zurück an einen Ort. Zum ersten Mal sei die Kleinstadt, die nun auch den Titel gibt, im Roman "Der fremde Freund" aufgetaucht, damals noch abgekürzt als G., sagt der Schriftsteller im Rückblick auf sein Werk aus fünfzig Jahren.
Porträt einer Kleinstadt
"Guldenberg ist eine kleine Stadt an der Mulde, die Einwohner sind Kleinstädter, viel Kleinstätisches ist dabei", sagt Hein. Auch wenn sie nicht identisch sei mit der Stadt, in der er aufgewachsen sei, sei die Stadt seiner Jugend eine literarische Folie. Dort habe er als Flüchtling, aus Schlesien kommend, bis zum 14. Lebensjahr gelebt.
Von dort sei er 1958 nach West-Berlin geflohen, erzählt Hein. "Da musste ich gehen, weil ich in der DDR nicht mehr zur Schule gehen durfte, da bin ich abgehauen. Und nach 50 Jahren Berlin bin ich jetzt wieder in eine Kleinstadt gezogen."
Im literarischen Guldenberg – auch Figuren aus früheren Werken tauchen im neuen Roman wieder auf – wird eine Gruppe minderjähriger Migranten, syrische und afghanische Jugendliche, untergebracht, was für Unruhe im Ort sorgt.
Risse in der Gesellschaft
Was stereotyp erscheinen mag, war für Hein wichtig zu erzählen: "Ich habe das alles selber erlebt, war daran beteiligt: Die Gesellschaft ist da noch mal heftig zerrissen", sagt der 77-Jährige im Rückblick auf die Ereignisse.
Die aufkommenden Aggressionen stellt er in einer Collage aus Stammtisch-Stimmen dar: "Ich wollte mit diesem Stimmen-Teppich ein Bild der Kleinstadt liefern, wo allein die Stimmen die Farben sind, dass man einen Eindruck von diesem Guldenberg bekommt. Ich glaube, das ist mir auch einigermaßen gelungen."
Auch mit der Lokalpolitik beschäftigt sich der Schriftsteller in seinem neuen Werk. An der Aufbereitung wird offenkundig, wie tief er sich in das Thema hineingearbeitet hat, sodass er detailgenau erzählen kann: "Ich denke, das geht durch meine ganzen Arbeiten: Eine übergroße Genauigkeit ist wichtig. Ich finde, das gehört zur Literatur."
Mit der Pandemie gehe nun noch einmal ein Riss durch die Gesellschaft, diagnostiziert der Schriftsteller. Und er fürchte, dieser Riss werde bleiben: "Wir sind an einer Zeitenwende, da hat sich etwas verändert."
(mfu)