Schriftsteller Ernst Jünger

Das Phantom von Wilflingen

Schriftsteller Ernst Jünger
Der Schriftsteller Ernst Jünger an seinem Schreibtisch in Wilfingen Ende der 1970er-Jahre. © imago/Sven Simon
Von Matthias Kußmann |
Ernst Jünger ist als Autor umstritten, weil sein Frühwerk aus den 1920er-Jahren nationalis­tische Züge hat. Anfangs hatte er sogar Sympathien für die Nazis und verherrlichte den Krieg als "Schule des Lebens". Später merkte er, wohin das führte.
Ernst Jünger: "Seit einem Vierteljahrhundert hause ich in Oberschwaben, im Schatten des Stauffenbergschen Schlosses, im Dorfe Wilflingen. Ich wohne gern auf dem Lande. Ich denke hier, wie in mancher anderen Hinsicht, nicht quantitativ. In einer Großstadt kennt man das Image. Auf dem Dorfe das Gesicht. Man lebt unter Nachbarn."
Wilflingen ist ein kleines Dorf in Oberschwaben mit 400 Einwohnern. Es ist ein so genanntes "Straßendorf" mit einer langen Durchgangsstraße. Davon gehen rechts und links einige weitere kleine Straßen ab. Es gibt ein paar Bauernhöfe und ein Gasthaus. Ernst Jünger ist 1950 hierher gekommen. Er wollte vor allem in der Nähe der Natur sein.
Jünger: "In der Tat leben wir hier in Wilflingen ziemlich im Walde. Das heißt, es bedarf nur eines Weges von fünf Minuten und man ist in diesen Stauffenbergschen Wäldern, in denen man nur sehr selten einen Menschen trifft."
Auch im Ort trifft man kaum Menschen. Ein Samstagmorgen Anfang Februar. Es ist kalt, es schneit ein bisschen und das Dorf ist ziemlich ausgestorben. Die wenigen Leute, die man trifft, sind eher wortkarg.
Passantin 1: "Ich muss leider arbeiten gehn. Ich würd gern reingehen. Aber danke!"
Jünger hat sich selten im Ort blicken lassen. Nur für die große Schlachtplatte im Gasthaus "Zum Löwen" hat er sich unter Leute gewagt. Aber seine Schlachtplatte aß er nicht am Stammtisch, sondern eher abgeschieden, in einem Winkel des Gasthauses. Und sonst?
Passantin 2: "Man hat ihn halt laufen sehen, so. Er war immer, oder viel, unterwegs.
Autor: "Aber gesprochen hat er mit den Leuten nicht?"
Passantin 2: "Wüsste ich jetzt nicht mehr, dass ich mal gesprochen hab mit ihm, vielleicht außer ´Hallo` oder so."

Geboren in Heidelberg

Ernst Jünger wurde 1895 in Heidelberg geboren und wuchs in Norddeutschland auf. Er ist als Autor umstritten, weil sein Frühwerk aus den 1920er-Jahren ziemlich nationalistisch ist. Er hatte anfangs sogar Sympathien für die Nazis und verherrlichte den Krieg als "Schule des Lebens". Später merkte er aber, wohin das mit den Nazis führte.
Jünger: "Der wirkliche Abstand, den habe ich erst nach dieser ´Kristallnacht` gewonnen, das waren Dinge, die mir von Grund auf widersprachen."
Jünger publizierte 1939 den Roman "Auf den Marmorklippen". Darin geht es um ein brutales Regime, das Kultur und Menschen vernichtet. Das Ganze spielt in einem Phantasieland, sodass die Nazis das Buch nicht verbieten konnten, er hatte Ross und Reiter nicht beim Namen genannt. Der Roman wurde von vielen Lesern als versteckte Kritik an den Nazis gedeutet. Jünger hat sich aber Jahrzehnte lang nie ausdrücklich von seinen nationalistischen Anfängen distanziert. Erst mit 85 sagte er:
Jünger: "Für mich gewinnt das zunehmend historischen Charakter, und das ist auch das Angenehmste, was man darüber sagen kann."
Jünger ist bis heute umstritten. Vielleicht wollen manche Wilflinger deshalb nichts über ihn sagen. Oder sie sind einfach skeptisch, wenn ein Fremder mit einem Mikrofon kommt. Ich frage einen jungen Bauern vor seinem Hof, ob er Ernst Jünger kennt. Er schüttelt schweigend den Kopf. Mitten in Wilflingen steht die Alte Oberförsterei, ein großes Haus aus der Barockzeit. Da hat Jünger fast 50 Jahre gelebt. Heute ist das Haus eine literarische Gedenkstätte. Im Erdgeschoss gibt es Ausstellungen zu Jünger, im Obergeschoss sieht man seine original eingerichteten Wohnräume. Irene Späth leitet das Haus.
"Was Ernst Jünger hier gefunden hat, das war etwas wie Heimat. Er hatte ein großes Haus, er konnte sich ausbreiten, er war ja ein großer Sammler. Er hatte viel Platz für seine Bücher, vor allem auch für seine Käfer. Er hat ja schon mit neun Jahren angefangen, Käfer zu sammeln. Und diese Sammlung hat sich schon ausgeweitet und die hat er auch hier im Haus dann untergebracht."
Jetzt sind wir im Eingangsbereich des Hauses, in dem es ziemlich kalt ist – und gehen hoch, in den ersten Stock, wo die Wohnräume waren.
"Die Käfer, die sind hier gegenüber, im Schrank. Er hat 100 Schubladen, die alle gefüllt sind mit Käferfamilien. Er hat in diesem Schrank ungefähr 40.000 Käfer drin mit etwa 9.000 bis 10.000 Arten, das ist schon enorm viel. Teilweise hat er auch noch getauscht oder hat einige auf Käferbörsen dazugekauft, aber er war ganz stolz, dass er 80 Prozent aller Käfer selber gesammelt hat."

Ernst Jünger im Ersten Weltkrieg

Von hier aus geht es weiter in sein Arbeitszimmer, und da steht ein großer Schreibtisch.
"Ja, hier sind wir im so genannten ´Heiligtum` des Hauses. Der größte Teil von seinem Werk ist ja auch hier in Wilflingen entstanden, und zwar hier an diesem Tisch. Es war sein Arbeitstisch. Er war immer geteilt in zwei Bereiche. Der kleine Bereich hier am Fenster, das war sein Schreibplatz, hier hatte er gutes Licht. Wir sehen auch ein geöffnetes Tagebuch, denn so hat er jeden Tag zwei, drei Stunden intensiv geschrieben, und zwar immer mit Feder und Tinte, die steht auch immer noch bereit."

Ernst Jünger war im Ersten Weltkrieg und ist mehrfach verwundet worden. Hier im Arbeitszimmer gibt es auch ein Zeugnis dafür, das ein bisschen makaber erscheinen kann…
 Ernst Jünger Museum
In diesem Haus in Wilflingen (Kreis Biberach) lebte der Schriftsteller Ernst Jünger bis zu seinem Tod 1998.© picture alliance/dpa/Foto: Stefan Puchner
"Auf dem Bücherregal ruhen normalerweise zwei Stahlhelme aus dem Ersten Weltkrieg, aber wir sehen jetzt nur einen. Der zweite Helm befindet sich gerade unten in der Ausstellung. Der Helm, den wir jetzt hier sehen, stammt von einem englischen Offizier, der auch durch Jünger zu Tode kam, denn man stand sich noch Mann gegen Mann gegenüber: entweder der Engländer oder Ernst Jünger. Ernst Jünger hatte Glück. Beide Helme haben einen Kopfschuss, aber Jünger hat ihn überlebt."
In seinem Frühwerk hat er oft über das "Krieger sein" geschrieben, über das Heroische, den Kampf Mann gegen Mann. Da ist es doch erstaunlich, wie wenig "heroisch" manche Einrichtungsdetails wirken. Die Blümchentapeten zum Beispiel. Oder das Badezimmer, ganz in rosa!
"Die Duschvorhänge, die Badvorleger, Handtücher, Gardinen, alles war in rosa. Sehr ungewöhnlich für ein Herrenbad. Aber dieses Badezimmer hat noch die erste Ehefrau Greta eingerichtet. Nach ihrem Tod, sie ist ja sehr jung verstorben, kam er in eine Schaffenskrise und er wollte, dass alles so bleibt, wie sie es verlassen hat. Und so ist es sein Leben lang rosa geblieben. Aber viel wichtiger wie dieses Rosa war für Ernst Jünger sein tägliches kaltes Wannenbad, jeden Morgen nach dem Aufstehen. Aber mit 95 Jahren musste er dann aufhören, denn die Ärzte haben es ihm verboten. Er hatte Herzbeschwerden und sie meinten, er überlebt es irgendwann nicht mehr."

Je älter er wurde, desto skeptischer hat er auf Technik geschaut

Ernst Jünger hat sich in seinen Romanen, die nach 1945 erschienen, viel mit Technik auseinander gesetzt. Die Moderne mochte er nicht. In seinem Frühwerk hat er noch gesagt, Technik ist wichtig, sie verstärkt den Mensch und lässt ihn auch noch heroischer werden. Doch je älter er wurde, desto skeptischer hat er auf Technik geschaut. Darum gibt es in diesem ganzen großen Haus praktisch keine technischen Geräte.
"Nur hier, in der kleinen Bibliothek. Das war auch eher ein Raum für den Abend, zum Entspannen. Das ist sehr ungewöhnlich, dass wir hier einen Fernseher sehen. Ich denke, Ernst Jünger hätte sich nie einen Fernseher angeschafft, das hat auch seine Frau veranlasst. Er meinte, man muss sich mit der Technik immer wieder beschäftigen, der Mensch ist abhängig von der Technik. Die Technik hat den Menschen im Griff, und das wollte er nicht."
Ernst Jünger ist sehr alt geworden, fast 103 Jahre. Und er war bis kurz vor seinem Tod bei recht guter Gesundheit.
"Er ging jeden Tag nach dem Frühstück in den Garten, um seine Gedanken zu sammeln. Er hat auch noch viel geschrieben, nur mit 100 Jahren hat er aufgehört, aber er hat noch viel gelesen."
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