Der Schriftsteller Feridun Zaimoglu, geboren 1964 im türkischen Bolu ist Theaterautor, Publizist, bildender Künstler und Kurator. Er kam schon als kleines Kind nach Deutschland, wuchs zweisprachig auf und empfindet Deutsch als seine Muttersprache. Zaimoglu studierte zunächst Kunst und Humanmedizin in Kiel, brach das Studium dann ab, um freier Schriftsteller zu werden. Zahlreiche Preise - u.a. 2005 Stipendiat der Villa Massimo in Rom, 2007 Grimmelshausen-Preis, 2015 Adelbert-von-Chamisso-Preis, auch 2015 Stadtschreiber von Mainz. Zaimoglu schreib zahlreiche Romane, darunter mehrere Bestseller ("Leyla" und "Liebesbrand"), zuletzt erschienen: "Evangelio. Ein Luther-Roman" (2017).
"Bei dem Wort Migrationshintergrund bekomme ich Kopfschmerzen"
Man dürfe nicht den Versuch scheuen, in den richtigen Begriffen und in den richtigen Worten die Dinge sichtbar zu machen, sagt der Schriftsteller Feridun Zaimoglu. Er wird in diesem Jahr die traditionelle Klagenfurter Rede zur Literatur halten.
Die traditionelle Klagenfurter Rede zur Literatur mit dem Titel "Der Wert der Worte" wird dieses Jahr der aus der Türkei stammende Schriftsteller Feridun Zaimoglu halten – er gewann 2003 in Klagenfurt den Preis der Jury. Am heutigen Donnerstag beginnen die "Tage der deutschsprachigen Literatur 2018". 14 Autorinnen und Autoren aus Deutschland, Österreich, der Schweiz, der Türkei und der Ukraine treten zum Wettlesen für den mit 25.000 Euro dotierten Ingeborg-Bachmann-Preis an.
Es gehe ihm in seiner Rede darum, darauf hinzuweisen, dass man viel zu oft von der Macht der Worte gesprochen habe, als ginge es darum, sich mit Worten eine Stellung zu erkämpfen, sagte Zaimoglu im Deutschlandfunk Kultur. "Aber in meiner Rede wird es darum gehen, dass man mit Worten verwüstet, dass man aber auch mit Worten streitet – versucht jedenfalls in meinem Falle – für das Recht der Armen", sagte er. Unwert und Wert der Worte zeigten sich darin, dass man mit Worten nicht lüge. Darum gehe es ihm. (gem)
Das Interview im Wortlaut:
Feridun Zaimoglu: Es geht mir in dieser diesjährigen Rede zur Literatur in Klagenfurt darum, darauf hinzuweisen, dass man viel zu oft von der Macht der Worte gesprochen hat, als ginge es darum, mit Worten sich eine Stellung zu suchen oder sich eine Stellung zu erkämpfen.
Aber in meiner Rede wird es darum gehen, dass man mit Worten verwüstet, dass man aber auch mit Worten streitet – versucht jedenfalls in meinem Falle – für das Recht der Armen. Unwert und Wert der Worte zeigen sich darin, nicht jetzt in großen klingenden Worten wie Gerechtigkeit oder Wahrhaftigkeit, sondern darin, dass man mit Worten nicht lügt – darum geht es mir.
Welty: Wie verstehen Sie denn in diesem Zusammenhang jenes Zitat von Ingeborg Bachmann, die ja eng verbunden ist mit den Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt, die da gesagt hat, es bräuchte keine Waffen, wenn wir das Wort hätten und die Sprache? Reichen die richtigen Worte, um eine bessere Welt hinzukriegen?
Zaimoglu: Ingeborg Bachmann ist eine von mir geradezu geliebte Dichterin – eine großartige Frau und eine großartige Dichterin. Sie hat es nicht nur behauptet, sondern sie hat auch gezeigt mit ihren Worten, dass gewissermaßen das andere möglich ist. Das andere möglich zu machen, darum geht es. Ich verweise immer bescheiden darauf hin, dass man ja schreibt, weil man ja verwirrt ist und Angst hat, ein Mensch zu sein.
Und um das zu übergehen oder um vielleicht weniger Angst zu bekommen, bedienen wir uns nicht nur der Sprache, sondern wir versuchen, mit den Worten ein bisschen unsere Benebelung zu durchdringen, den Nebel zu durchdringen. Das andere ist möglich, auch wenn etwas jetzt seltsam klingt. Ich verweise auf all die Seligsprechungen. Da geht es ja darum, in Worten, dass es zwar die Mächtigen immer gibt, aber trotzdem die Armen erben den Besitz.
Frauen sichtbar machen
Welty: Wenn wir noch mal auf den Alltag schauen, da bemüht man sich ja gemeinhin um eine politisch korrekte Sprache, vielleicht auch um eine gendergerechte Sprache – ist das der richtige Weg, ist das, was Bachmann gemeint hat?
Zaimoglu: Es kann nicht sein, dass ein akademisch verfasster Jargon die Wirklichkeiten da draußen biegt und beugt. Es gab immer wieder diese Versuche, gewissermaßen mit den Mitteln einer Volkserziehungsprosa das Gute oder das Richtige durchzusetzen. Da hat man, glaube ich, etwas missverstanden. Es geht auch um die Sprachschönheit, und es geht bei aller Ruppigkeit um die vielen, vielen Möglichkeiten der Sprache.
Was Gendersprache anbetrifft, ich bin unbedingt dafür, dass die Frau sichtbar gemacht wird. Wir leben immer noch in Zeiten, dass die Frauen zur Unsichtbarkeit verdammt werden, das muss aber mit den Mitteln – und die gibt es – der deutschen Sprache in unserem Falle möglich sein. Es ist möglich, und ich bitte auch daraus jetzt keinen ideologischen Streit zu machen. Das ist schade, wenn es um die Sprache geht. Wir reden nicht über Grammatik, wir reden über die herrliche deutsche Sprache.
Welty: Was ist denn zum Beispiel mit einem Begriff, der ja ständig bemüht wird, mit einem Begriff wie Mitbürger mit Migrationshintergrund?
Zaimoglu: Da bekomme ich Kopfschmerzen bei diesem Wort. Bei Migrationshintergrund denke ich sofort an Migränehintergrund. Das sind alles jetzige, heutige Worte, die es morgen nicht mehr geben wird. Ich bin etwas verdutzt, ich bin fremdstämmig, ich kann mich als Spätdeutschen bezeichnen, ich kann aber auch sagen, ich bin Deutscher mit türkischen Eltern. Punkt. Andere Leute können das auch unter Vermeidung akademischer Floskeln sagen. Das Leben ist stärker als jedes Fremdwort, das wird sich durchsetzen.
Harte Rügen notwendig
Welty: Dieses ewige Bemühen, führt das auch dazu, dass Populisten so sehr auffallen und provozieren können, ob das ein Slogan ist wie "America first" oder ob das die Tatsache ist, dass man die Nazizeit als "Vogelschiss" bezeichnet?
Zaimoglu: Wir haben es bei diesen besagten Leuten ja mit Menschen zu tun, die, sagen wir mal, nicht die hellsten Kerzen auf der Torte sind. Das muss bitte auch gesagt werden. Die haben natürlich viele Claqueure, und die deuten das alles als toll und herrlich. Aber wenn man sich das genau anguckt, sind es hohle Phrasen. Das macht sie nicht ungefährlicher, darum geht's aber nicht. Es geht darum, dass man auch sagt, der Populist ist nackt.
Es wird Zeit, jetzt auch mit harten Rügen zu kommen und nicht jetzt auch Trump als besorgten Bürger darzustellen. Ich bin dagegen, dass man für alles Verständnis hat, und ich bin dagegen, dass man, bloß weil ein paar – es sind ja meistens Männer –, wenn ein paar Männer auf der Brust trommeln, dass man das als besonders tolle, mutige Leistung hinstellt. Nein, es ist ranziger Maskulinismus. Punkt.
Harte Verhältnisse
Welty: Sie selber haben bewiesen, dass es auch anders geht, nämlich schon mit Ihrem ersten Roman "Kanak Sprak", geschrieben in der Sprache junger Männer türkischer und arabischer Abstammung, und zusammengenommen mit dem, was Sie gerade gesagt haben, kommt man in der Auseinandersetzung um eine gewisse Härte nicht drum herum?
Zaimoglu: Natürlich. Natürlich muss man, wenn man Menschen und Dinge sichtbar macht, die Härte nicht scheuen. Die Wirklichkeit ist hart, die vielen Wirklichkeiten sind hart. Mit Verbrämung, mit Verschleierung kommen wir überhaupt nicht weiter. Wir haben es bei den Populisten und bei den multikulturalistischen Verklärern mit Leuten zu tun, die die Fülle der Fakten nicht aushalten können und das Ganze vereinfachen.
Es ist hart, die Verhältnisse sind hart, es war aber immer so. Es ist nicht nur heute so, sondern es war damals, gestern so, morgen wird es auch so sein. Man darf nicht den Versuch scheuen, in den richtigen Begriffen und in den richtigen Worten die Dinge sichtbar zu machen, und dann stößt man natürlich immer wieder auf die eine oder andere hässliche Fratze. Das ist kein Spiel für Kinder.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.