Wie schaffen wir es, Menschen in Bewegung zu bringen?
Im Berliner HAU-Theater kommt die Revue "Die Technik des Glücks" über Franz Jung auf die Bühne: ein Dichter, Anarchist, Revolutionär und Schiffsentführer. Die Idee hatte Hanna Mittelstädt, Mitgründerin des Nautilus Verlags, der Jungs Schriften in 14 Bänden herausgegeben hat.
Frank Meyer: "Franz Jung ist einer der unbekanntesten und einer der lesenswertesten Autoren deutscher Sprache." So hat das der Essayist Fritz J. Raddatz mal gesagt. Franz Jung war Dichter, Revolutionär, Anarchist, Mitbegründer der Kommunistischen Arbeiterpartei Deutschlands, ein Abenteurer, ein verwegener. Er hat oft im Gefängnis gesessen oder in der Illegalität gelebt.
1963 ist er gestorben, und ab heute ist im Berliner Hau-Theater eine Franz-Jung-Revue zu sehen, unter dem Titel "Die Technik des Glücks". Die Idee zu dieser Revue hatte die Autorin Hanna Mittelstädt. Sie war lange auch Verlegerin. Sie hat den Nautilus Verlag mitgegründet, 45 Jahre lang geleitet. Dort ist auch eine große Franz-Jung-Gesamtausgabe erschienen. Und jetzt ist Hanna Mittelstädt hier bei uns im Studio. Seien Sie willkommen!
Hanna Mittelstädt: Vielen Dank für die Einladung!
Meyer: "Technik des Glücks", der Titel ist ja interessant, stammt, glaube ich, selbst von Franz Jung.
Mittelstädt: Ja, genau. Sein theoretisches Grundlagenwerk.
Meyer: Und was heißt das für die Revue, die "Technik des Glücks"? Lern ich da was?
Mittelstädt: Das weiß ich nicht. Aber wir waren alle gleich der Meinung, "Die Technik des Glücks" ist ein super Titel. Super für die Zeit und irgendwie spricht das das ganze Leben von Franz Jung, was ja so komplex und so schwierig eigentlich auch war – das sagt was, die "Technik des Glücks".
Der Anti-Freud
Meyer: Und wieso hat er sein theoretisches Grundlagenwerk, wie Sie sagen, "Technik des Glücks" genannt?
Mittelstädt: Er war ungefähr 30, etwas über 30, hatte schon die deutsche Revolution hinter sich, saß im Gefängnis und reflektierte über Arbeiterautonomie, Räteorganisation, aber auch die Subjektivität, das Glück. Was macht die Menschen aus, was macht die Menschen eigentlich tief innen zu autonom handelnden Personen? Und es war eigentlich auch ein Anti-Freud.
Er hat diese Technik des Glücks zusammen mit Otto Gross entwickelt, der ja ein echter Anti-Freud war, und analysiert so eine Grundlage für revolutionäre Bewegungen, die in der Autonomie bleiben und nicht landen in irgendwelchen Institutionen und großen Organismen wie den großen Parteien. Das war sein Anliegen. Wie schaffen wir es, die Menschen in Bewegung zu bringen, dass sie autonom bleiben, Gemeinschaften bilden, aber nicht in die Institutionen gehen.
Meyer: Und ist Ihr Anliegen jetzt mit dieser Revue, vor allem diese Ideen zu transportieren oder ist das eher so ein Lebensbild, eine Wanderung durch das ja sehr bewegte Leben von Franz Jung?
Mittelstädt: Ja, das ist eine Revue. Eine Revue mit Musik, eine Revue, die aber – also diese Technik des Glücks unterliegt dem. Und man muss sagen, wir alle, die wir da beteiligt sind, unser Team oder unsere Truppe, wie man am Theater sagt, wir spüren das. Wir spüren diese Energie, wir spüren, dass wir auf einer Art Weg zur Technik des Glücks sind, dass das Schritte sind, die wir da alle zusammen machen. Weil die Revue stand ja nicht fest. Die haben wir ja entwickelt. Die haben alle zusammen, alle Beteiligten, die da auftreten – übrigens ist die Premiere erst morgen, heute ist Generalprobe – die haben wir alle zusammen entwickelt.
Meyer: Und alle zusammen, das heißt zum Beispiel die Band "Die Sterne" aus Hamburg ist dabei …
Mittelstädt: Ja, die habe ich aus Hamburg mitgebracht.
Mit geklautem Schiff zu Lenin
Meyer: Genau. Die Hamburger Seite dieses Projekts. Die Berliner Autorin Annett Gröschner ist involviert, die Schauspielerin Corinna Harfouch, viele mehr. Wenn wir vielleicht mal reinschauen in das bewegte Leben von Franz Jung – eines hat mich ja elektrisiert: Er wird als Schiffsentführer angekündigt. Inwiefern hatte er denn mit Schiffsentführungen zu tun?
Mittelstädt: Es war nur eine. Das thematisieren wir auch in der Revue. Die einzige Geschichte, die eigentlich jeder Politaktivist zumindest von Franz Jung kennt, ist diese Schiffsentführung. Er wollte mit Lenin diskutieren über die Aufnahme der KAPD. Es wurde gerade eine Abspaltung von der KPD, nämlich die Kommunistische Arbeiterpartei gegründet, und die sollte auch in die kommunistische Internationale, die Komintern, aufgenommen werden.
Die KAPD von Jung vertrat wesentlich mehr den Gedanken der föderalen Autonomie, den Rätegedanken, und war deshalb gegen die Hegemonie Russlands, der Sowjetunion und Lenins gerichtet. Und das wollte Jung mit Lenin diskutieren. Es gab aber keine Möglichkeit dahin zu kommen. Und da entschieden die Genossen von der KAPD, ein Schiff zu entführen und dahin zu fahren und das Schiff am Ende Lenin zu schenken. Aber Lenin wollte es nicht haben und er stellte auch harte Bedingungen für die Aufnahme in die Komintern.
Eine Phase der Verengung
Meyer: Jetzt steht in der Ankündigung Ihrer Revue, dass man jemanden wie Franz Jung heute vielleicht dringender bräuchte als je. Ich verstehe gut, dass man das in so einer Ankündigung schreibt, das macht die Dringlichkeit des Ganzen ja klarer. Aber wie würden Sie das denn begründen, warum braucht man Franz Jung heute dringender als in anderen Zeiten?
Mittelstädt: Weil es wieder eine Phase der Verengung gibt. Es gab den Faschismus, es gab dann einen Neuanfang. Es gab den Kulminationspunkt des Mai '68, es gab lange noch Auswirkungen dieses Freiheitsimpulses des Mai '68. Und jetzt gibt es wieder eine Art Rückfluss, überall. Nicht nur in Deutschland, aber auch in Deutschland.
Und gegen diesen Rückfluss, ist es sehr gut, sich noch mal anzugucken, was Franz Jung damals nach der Niederschlagung der Deutschen oder Russischen Revolution geschrieben hat, was er gedacht hat, um zu verstehen, was heute eigentlich stattfindet und worum es geht. Wenn wir Akteure bleiben wollen, wenn es um einen freien Zusammenschluss von Menschen gehen soll.
Unabhängig von politischen Strömungen
Meyer: Sie beschäftigen sich ja schon sehr lange mit Franz Jung. Anfang der 80er-Jahre ist in dem Nautilus-Verlag, den Sie damals geleitet haben, eine 14-bändige Franz-Jung-Gesamt- oder Werkausgabe erschienen, ein großes Projekt gerade für einen so kleinen Verlag. Sie könnten wahrscheinlich lange darüber sprechen, was Sie an Franz Jung fasziniert, aber vielleicht könnten Sie mal einen Kern identifizieren.
Mittelstädt: Einen ganz kleinen Kern. Ja, das ist das, was ich schon sagte. Autonom bleiben in einer Gemeinschaft. Was die Edition Nautilus ausgezeichnet hat, war immer eine ganz starke Unabhängigkeit von allen politischen Strömungen. Wir hatten unsere eigene Idee, aber wir waren auch immer beweglich und offen.
Wir haben Netzwerke gebildet, die in alle Bereiche gingen. Ich meine, es ist doch ganz irre, dass ich als einfache Person dieses Verlagswesens, eines kleinen Verlages, die Sterne Corinna Harfouch, Robert Stadlober, Wolfgang Krause Zwieback, Annett Gröschner zusammen kriege und sagen, hey, wir machen eine Franz-Jung-Revue, und sie sagen alle, ja, wir sind dabei.
Als ich Robert Stadlober gefragt habe, sagt er, darüber brauchen wir nicht diskutieren, ich bin dabei. Ich hol mal meine Bücher aus dem Regal. Die kannten Franz Jung. Und für viele ist Franz Jung wichtig gewesen. Und für viele, die uns gefördert haben, die uns jetzt in der PR helfen, ist Franz Jung wichtig gewesen. Und sie finden das irgendwie super, dass das wieder hoch kommt.
Einsatz für Frank Jung
Meyer: Und damit mir Franz Jung wichtig wird, was sollte ich, wenn ich anfangen will, was sollte ich dann zuerst lesen?
Mittelstädt: Die Autobiografie "Der Weg nach unten". Das ist eine der – also damit haben mein Lebensgefährte Lutz Schomburg und ich, wir haben den Verlag zusammen gegründet, wir haben auch damit angefangen. Wir kannten in den späten 70-ern den "Weg nach unten" und hatten gesagt, das ist ja der helle Wahnsinn.
Und dann kamen aus Ost- und Westdeutschland die Franz-Jung-Experten und Forscher zu uns und sagten, außer euch macht das ja niemand. Wollt ihr nicht diese Werkausgabe von Franz Jung machen. Aber der "Weg nach unten" beschreibt den Irrsinn der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, mit all den Ausschlägen, mit all den Versuchen, die es gesellschaftlich gegeben hat und die natürlich auch auf die Subjekte gewirkt haben – sehr intensiv.
Meyer: Jetzt haben Sie den Nautilus-Verlag, der sich so eingesetzt hat für Franz Jung, weitergereicht. Seit Anfang 2018 sind Sie nach – ich sag es noch einmal – 45 Jahren nicht mehr die Verlegerin. Jetzt leitet ein fünfköpfiges Kollektiv den Verlag. Haben Sie denen jetzt die Franz-Jung-Pflege ins Stammbuch geschrieben, sie darauf verpflichtet? Oder war das gar nicht nötig?
Mittelstädt: Nein, das war nicht nötig. Meine Nachfolgerin im Lektorat, die auch Geschäftsführerin ist, Katharina Picandet, hat bei uns angefangen Anfang der 80er-Jahre als Praktikantin und musste das Register für den Franz-Jung-Briefband erstellen. Die ist quasi –
Meyer: Die steckt drin in der Materie.
Mittelstädt: Das war die verlegerische "Muttermilch" für die jetzige Programmchefin, wenn ich mal so sagen darf, in einem Kollektiv.
Meyer: Hanna Mittelstädt, Autorin, lange Zeit Verlegerin des Nautilus-Verlags, jetzt am Start mit der Franz-Jung-Revue, "Die Technik des Glücks". Premiere also morgen Abend im Berliner Theater HAU2, und weitere Vorstellungen dann direkt danach. Und wir haben kurz über die Autobiografie von Franz Jung gesprochen, "Der Weg nach unten. Aufzeichnungen aus einer großen Zeit" ist der Titel, in der Edition Nautilus erschienen mit 436 Seiten, 18 Euro ist der Preis für dieses Buch. Ich danke Ihnen sehr für dieses Gespräch!
Mittelstädt: Ich danke auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.