Die Ausstellung "Die Weltensammler" im Grassi Museum für Völkerkunde zu Leipzig wird am Sonntag, 24. November eröffnet. An diesem Abend spricht Eckhard Roelcke in der Sendung "Fazit" mit Carola Krebs, der Kuratorin der Ausstellung, über die Schau.
"Völkerkunde-Museen besuche ich schon lange nicht mehr"
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Das Leipziger Völkerkundemuseum wird 150 und begeht das mit einer Ausstellung namens "Die Weltensammler" – angelehnt an einen Roman-Titel von Ilija Trojanow: Der Autor dazu, was er von Völkerkunde hält und was Raubkunst mit Neugier zu tun hat.
Ute Welty: "Die Weltensammler", so heißt die Sonderausstellung im Grassimuseum für Völkerkunde zu Leipzig, die an diesem Wochenende eröffnet. Anlass ist das 150-jährige Bestehen des Museums. "Der Weltensammler", so heißt auch das Buch von Ilija Trojanow, das sich mit dem britischen Kolonialbeamten Richard Francis Burton beschäftigt. Und da liegt es auf der Hand, den Weltensammler über die Weltensammler zu befragen. Guten Morgen, Herr Trojanow!
Ilija Trojanow: Schönen guten Morgen!
Welty: Wenn Sie ein Museum für Völkerkunde besuchen, was denken Sie dann: Mensch, was für ein blöder Name, dieses "Völkerkunde", oder: alles nur geklaut, oder: ich will da mehr drüber wissen?
Trojanow: Besuche ich nicht mehr, schon lange nicht mehr.
Welty: Okay, warum?
Trojanow: Weil mir der Kontext fehlt. Dazu muss man sagen, ich bin ja in Afrika aufgewachsen und habe mich sehr viele Jahre mit afrikanischen Literaturen und Kulturen beschäftigt, dann später auch mit Indien. Die Fremde ist ja nie zu begreifen, sondern man kann sich immer nur annähern, teilweise annähern. Und das erfolgt durch eine Vielschichtigkeit der Zugänge. Das heißt, das ganze Kontextuelle ist ganz entscheidend, während in einem klassischen Museum einzelne Objekte natürlich herausgerissen sind aus diesem Zusammenhang; und sie sind nicht nur herausgerissen, sondern sie sind auch aus dem Leben herausgerissen. Ritualobjekte zum Beispiel in der afrikanischen Tradition leben nur, weil Menschen sie betrachten, weil Menschen sie sogar berühren. Und diese Wechselbeziehungen, die verschwinden, indem das Objekt einzeln in einem deutschen Museum ausgestellt wird.
"Ist es eher Gier oder ist es eher neu?"
Welty: Welche Rolle spielt denn Neugier in Hinblick auf fremde Welten und andere Kulturen?
Trojanow: Ich glaube, dass Neugier natürlich – die deutsche Sprache ist da ja ganz wunderbar – im Wort selbst uns schon die Antwort gibt, nämlich: Ist es eher Gier oder ist es eher neu? Ist es eher die Bereitschaft, sich selbst zu verändern, um etwas anderes, etwas Fremdes zu sehen, tatsächlich zu sehen? Oder ist es die Gier danach, es zu sammeln, es zu ergreifen, es zu besitzen, es nach Hause zu schleppen. Das sind, glaube ich, die zwei gegenseitigen Tendenzen, die es die ganze Zeit gegeben hat. In diesem von Ihnen erwähnten Roman "Der Weltensammler" wird ja das imperiale Projekt genau so beschrieben. In einer Figur kann beides toben, sowohl diese Gier, einfach sich selbst dem Fremden aufzuerlegen und dann das Gefühl zu haben, man habe sich durch das Fremde angereichert, aber es ist dann sehr materiell, sehr oberflächlich; oder tatsächlich der Fremde zuzugestehen, einen selbst zu verändern. Das wäre für mich die positive und die schöne Seite der Neugier.
Naiv ist besser als voreingenommen
Welty: Sie arbeiten ja gerade daran, die Neugier besser zu greifen, besser zu begreifen. Wie naiv darf Neugier sein?
Trojanow: Ich glaube, Naivität ist gar kein Problem. Das hat mich immer geärgert, dass man bei uns naiv fast als Schimpfwort benutzt. Naiv ist besser als voreingenommen. Naiv ist besser als: ich weiß schon Bescheid, und ich betrachte oder beurteile das Fremde mit meinen eigenen Kategorien.
Welty: Aber ich lerne ja zum Beispiel sehr früh als Tourist, dass ich nicht alles mitnehmen darf.
Trojanow: Ja, das ist jetzt, weil Sie gut erzogen sind und im 21. Jahrhundert…
Welty: Oh, danke für das Kompliment!
Trojanow: Das war ja lange überhaupt nicht so, also selbst noch vor zwanzig, dreißig, vierzig Jahren. Man muss ja wirklich sagen, wir haben uns in den letzten Jahren und Jahrzehnten tatsächlich zu etwas nachdenklicheren und sensibleren Erdenbewohnern entwickelt.
Welty: Ausnahmen bestätigen wie immer die Regel...
Trojanow: Absolut, aber es gibt durchaus auch positive Seiten der Globalisierung. Man würde gewisse, neokoloniale Verhaltensweisen heute normalerweise nicht akzeptieren – zum Beispiel, dass man hingeht und irgendetwas in die Tasche steckt.
So eine Debatte stellt die unangenehmen Fragen
Welty: Inwieweit hilft die aktuelle Debatte über die Rückgabe von Kulturgütern eine neue Form der Neugier zu entwickeln?
Trojanow: Das ist eine sehr gute Frage, weil ich glaube, dass sie tatsächlich hilft, weil man da historischen Kontext schafft. Es ist alles andere als selbstverständlich, dass Sie Ritualobjekte aus aller Welt in, sagen wir mal, einem Leipziger Museum haben. Das ist ja das Problem von Macht. Macht bestätigt sich ja dadurch, dass sie so tut, als sei ihre Existenz und ihre Form völlig normal und selbstverständlich. So eine Debatte stellt dann die unangenehmen Fragen. Also: Wie kann es eigentlich sein, zum Beispiel, als der Imperialismus begann, dass die soziale Ungleichheit auf der Welt viel, viel geringer war als heute? Richard Burton geht durch Afrika – also was heute Tansania ist – und bemerkt, die Bauern hier, denen geht es besser als in Irland. Heute ist der materielle Unterschied zwischen den irischen und den tansanischen Bauern wahrscheinlich 1:50 oder 1:100. Solche Fragen. Inwieweit ist diese Raubkunst Ausdruck auch eines anderen, generellen Raubs? Und inwieweit spiegelt sich darin das, was wir heute die imperiale Lebensweise nennen? Nämlich, dass wir tatsächlich in Deutschland auf Kosten anderer leben, was man belegen kann. Das ist nicht nur ein Spruch, es ist nicht nur irgendwie eine Floskel, sondern das ist materiell belegbar. Das ist so. Darüber muss man nachdenken, und das müssen wir verändern.
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