Schreiben gegen die Ohnmacht
Die Verhaftungen in der Türkei machen die Intellektuellen mundtot. Wir haben versucht, mit mehreren türkischen Schriftstellern zu sprechen. Da sie Angst haben, geben sie keine Interviews. Der Dolmetscher Oliver Kontny stellt uns deshalb ihre Bücher vor.
Autoren, Publizisten, Intellektuelle, Schriftsteller: Sie alle stehen momentan in der Türkei vor einer mehr als ungewissen Zukunft. Oliver Kontny, Turkologe und Experte für die türkische Gegenwartsliteratur, kennt viele von ihnen persönlich. Im Deutschlandradio Kultur sagte Kontny, neben dem derzeitigen, akuten Druck durch die Massenverhaftungen seien viele Schriftstellerinnen und Schriftsteller auch durch die jahrelange Auseinandersetzung mit dem Regime mit ihrer "geistigen Kraft" am Ende. In der "Lesart" stellte Kontny ausführlich eine Schriftstellerin und zwei Autoren vor, deren Werk er empfiehlt.
Yavuz Ekinci: Günün Birinde (2016). Der deutsche Titel wird voraussichtlich "Eines Tages" heißen, der Antje Kunstmann Verlag nimmt das Werk im Frühjahr 2017 ins Programm. Es geht um ein Dorf in einem Tal. Die Bewohner warten auf einen Überfall durch das Militär und darauf, dass der "Späher" vom Berg kommt und sagt: Sie sind da. Erinnert laut Kontny an William Faulkner: wilde Käuze, multiple Perspektiven, unaufgeregt. Ekinci spricht nicht explizit über den Krieg im Kurdengebiet, es ist aber klar, worum es geht. Das macht das Buch so stark.
Hakan Günday: Daha (2014). Bei den jüngeren Leuten in der Türkei ist Günday inzwischen ein Kultautor. Er schreibt auch über die SM-Szene in London, die zum Ort der Freiheit für eine junge Muslima wird. "Daha" allerdings ist ein Roman über Flucht und die traumatische Gewalterfahrung eines jungen Mannes, der fortan keine Berührungen mehr ertragen kann. Erscheint unter dem Titel "Flucht" bei btb Ende August 2016 in der Übersetzung von Sabine Adatepe.
Mavi Neşe: Soğuk Ses (2014). Neşe ist eine kurdische Autorin aus Diyarbakır, die in ihrem ersten Roman über verschiedene Frauen schreibt, die an abgeschlossenen Orten Gewalt erleben und sich dennoch in der Gesellschaft draußen behaupten wollen. Poetisch, mit Sinn fürs märchenhafte Erzählen, ohne Opferdramatik. Neşe hat noch keinen deutschen Verlag.