Schriftsteller Jan Brandt

"Prekäres Wohnen kenne ich von Anfang an"

11:00 Minuten
Fassade eines Backsteinhauses. Im Fenster steht ein Leuchtturm und zwei Segelboote, die Gardinen sind zugezogen.
Aus dem Schriftsteller Jan Brandt wird in seiner ostfriesischen Heimat Fitzcarraldo, der um das Haus seiner Vorfahren kämpft. © Imago / Jochen Tack
Jan Brandt im Gespräch mit Joachim Scholl |
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Von Ostfriesland nach Berlin und wieder zurück. Der Schriftsteller Jan Brandt wurde aus seiner Wohnung in Berlin verdrängt, entdeckte seine Familiengeschichte im Norden - und zog aus beiden seine Schlüsse.
Joachim Scholl: Jan Brandt ist 1974 geboren in einem kleinen Ort in Ostfriesland aufgewachsen, er hat in vielen großen Städten gelebt, in Berlin wurde er zum erfolgreichen Schriftsteller mit mehreren preisgekrönten Romanen. Jetzt gibt es was Neues von Jan Brandt, ein Buch zu Stunde, könnte man es nennen, denn es geht um das Wohnen. "Ein Haus auf dem Land", "Eine Wohnung in der Stadt" – so heißen die beiden Geschichten in einem Band.
"Von einem, der zurückkam, um seine alte Heimat zu finden", "Von einem, der auszog, um in seiner neuen Heimat anzukommen" – das sind die etwas romantisch moritatenhaft klingenden Untertitel Ihres Buches. Fahren wir zunächst mit Ihnen auf das Land. Erzählen Sie mal, wie Sie zum Fitzcarraldo von Ostfriesland wurden. Was ist da passiert?
Brandt: Ich bin aufgewachsen in einem kleinen Dorf in Ostfriesland. Da habe ich die ersten 20 Jahre meines Lebens verbracht. Dadurch, dass meine Eltern, Großeltern, Urgroßeltern sehr alt geworden sind, sehr spät Kinder gekriegt haben, reicht unsere Familiengeschichte sehr weit zurück. Das war immer sehr präsent – diese Zeit noch von vor 150 Jahren. Es standen auch immer noch die Häuser meines Urgroßvaters da, es war aber nicht mehr im Familienbesitz, und irgendwann hieß es, es ist zum Verkauf stehend.
Ich merkte, dass ich es gern gekauft hätte. Ich hatte mal die Vorstellung, dort vielleicht ein Literaturhaus einzurichten, aber es war an einen Bauunternehmer verkauft worden. Als ich hörte, dass der es abreißen für einen Neubau will, da erwachte in mir so der Zorn. Das konnte ich nicht so auf mir sitzen lassen, und da wurde ich dann zum Fitzcarraldo. Ich dachte, ich muss das retten.

Ihrhove: Hass- und Sehnsuchtsort zugleich

Scholl: Wir befinden uns in Ihrhove, wenn ich es richtig aussprechen, ein Örtchen von 3.600 Seelen. Ein Ort, den Sie, wie Sie schreiben, mit 18 am liebsten abgefackelt hätten. Jetzt eine Rückkehr und ein hochromantisch emotionales Heimatprojekt, bei dem Sie sich selbst zwischendurch gefragt haben, was ist mit mir eigentlich los. Ja, was denn?
Brandt: Das ist so der Widerspruch, in dem ich mich befunden habe. Einerseits mein jugendliches Ich, das in diesem Ort immer noch sehr stark verankert ist und nichts sehnlicher wollte, als da rauszukommen. Gleichzeitig immer irgendwie diese Sehnsucht danach, diesen Ort doch irgendwie in seiner Ursprünglichkeit wiederherzustellen oder zu erhalten.
Das ist auch so ein wahnsinnig konservatives Projekt. Ich habe mich natürlich auch gefragt, was ist mit mir los. Ist das jetzt so die Midlife-Crisis, ist das, wenn man 40 wird, dann so, dass man plötzlich wieder zurückwill zu seinen Wurzeln. Also ich habe eine ganze Weile in einem sehr starken Widerspruch zu mir selbst gelebt.
Der Autor Jan Brandt steht am Kottbusser Tor in Berlin und blickt in die Kamera.
Wurde aus Berlin-Kreuzberg vertrieben: Jan Brandt musste wegen Eigenbedarfs aus seiner Wohnung ausziehen.© Anika Büssemeier
Scholl: Sie sind es tapfer angegangen. Also Termine gemacht mit Bankberatern und Kostenrechnungen aufgestellt, 250.000 Euro hätten Sie gebraucht für das Erste. Was hat Ihre Familie gesagt oder auch die Leute in Ihrhove angesichts dieses Sohnes, der voll entbrannt für die Familientradition auftritt. Früher als rebellischer Jugendlicher hat er die ganze Chose verachtet.
Brandt: Ja, die haben natürlich mein Projekt einerseits unterstützt, ich sage jetzt mal, mental. Sie haben auch gesagt, dass sie das gut finden. Finanziell wollten sie aber nichts dazugeben und haben mir eher davon abgeraten. Sie haben gesagt, du verrennst dich da in etwas, und dieses Haus, das ist ein Fass ohne Boden. Wenn du das kaufst, du wirst dann sicher noch mal so viel reinstecken müssen. Die Grundsubstanz ist einfach 150 Jahre alt mit einigen Umbauten oder mit so gravierenden Umbauten, dass kein Denkmalschutz drauf ist. Also du verschuldest dich, und du wirst dein Leben lang nicht mehr froh. Das war eher so der Tenor.

Unter der Tapete ist bemalter Putz

Scholl: Sie beschreiben auch ausführlich die Geschichte des Hauses. Sie sagten selbst, die Familiengeschichte reicht mit all den Vorfahren bis tief ins 19. Jahrhundert zurück. Dann stehen Sie drin – das ist eine tolle Szene, die Sie beschreiben –, legen eine Hand auf eine Wand, und dann rauscht so die gesamte Weltgeschichte ab 1850 bis heute ins Buch. War das tatsächlich so, wie so eine Art Epiphanie, eine Erscheinung, die Sie plötzlich hatten in dem Haus?
Brandt: Ja, das war ganz komisch. Ich stand in diesem leeren ausgeräumten Haus, in dem Wohnzimmer. Da waren neue Tapeten an der Wand, dann habe ich gedacht, ich muss herausfinden, was unter diesen Tapeten ist, vielleicht ist da noch was, irgendwie alte Zeitungen, Briefe, Geld, was weiß ich. Was zum Vorschein kam, war aber eine bemalte Wand: bemalter Putz. So wie das früher war, als es noch keine Tapeten auf den Wänden gab.
Dann habe ich das Gefühl gehabt, das ist die sterbende Ader des Hauses. Da habe ich meine Hand draufgelegt, und in dem Moment rauschte wirklich wie in Sekundenschnelle noch mal die gesamte Weltgeschichte durch mich durch. Das war das Gefühl.
Scholl: Und Sie träumen sogar von einem begehbaren Roman – schönes Bild.
Brandt: Ja, das war natürlich irgendwann auch so. Ich arbeite schon sehr stark an dieser Familiengeschichte, auch an einem Auswandererroman. Ich hatte irgendwann den Eindruck, das, was ich hier mache, die Recherchen, ist eigentlich auch nichts anderes als dieses Haus zu erhalten. Das fühlte sich irgendwie so an, als ob ich plötzlich Teil meiner eigenen Geschichte wäre.

Das Buch ist ein Wendebuch

Scholl: Wie es ausgeht, dürfen wir, glaube ich, gar nicht verraten. Oder doch? Man drückt Ihnen beim Lesen nämlich richtig die Daumen. Klappt es, bekommt er die Kohle zusammen, oder kommt vielleicht doch noch ein reicher Onkel um die Ecke und sagt, hier hast du es. Aber fahren wir jetzt erst mal zurück nach Berlin, Jan Brandt, zur Wohnung in der Stadt, zum zweiten Teil Ihres Buches. Wobei man an dieser Stelle sagen sollte, dass Ihr Buch ein sogenanntes Wendebuch ist, also wortwörtlich zum Drehen. Man kann so oder so anfangen.
Ich habe mit dem "Haus auf dem Land" angefangen. Ich habe nachher gedacht, es wäre vielleicht besser gewesen, umgekehrt mit dem Stadtkapitel zu beginnen, weil man eher versteht, warum Sie plötzlich eine Heimatliebe nach 20 Jahren prekärstem Wohnen in der Stadt entwickeln. Wie ist es dazu gekommen?
Brandt: Ja, das prekäre Wohnen. Das ist etwas, das ich von Anfang an kenne. Ich bin 1998 nach Berlin gezogen, damals in den Prenzlauer Berg, in Wohnungen, die sehr runtergekommen waren – mit Außenklo, Kohleofen und Einfachverglasung. Ich habe es sehr genossen, wenig Miete gezahlt. Es war eine unheimliche Freiheit, dort zu leben und auch literarische Projekte anzustoßen.
Nur diese niedrigen Mieten haben es ermöglicht, diese Art von Literatur entstehen zu lassen. Ich meine, als Schriftsteller lebt man immer in gewisser Weise prekär. Die jetzt steigenden Mieten und eine Eigenbedarfskündigung, die ich erlebt habe, machen es sehr schwierig, weiterhin in Berlin zu bleiben.

Früher gab es in Berlin Wohnungen für 150 Mark

Scholl: Und diese Geschichte, die wirkt wirklich wie ein Kommentar zur aktuellen Debatte um den ganzen Wohnkomplex. Sie haben es natürlich viel früher geschrieben, bevor es überhaupt um Enteignung ging. Ich kann mir vorstellen, dass Ihr Herz in den vergangenen Wochen vielleicht auch da für den einen oder anderen Demonstranten oder für die ganzen Demonstranten schlug, oder?
Brandt: Ich bin seit Jahren auf diesen Demonstrationen. Ich habe das in Kreuzberg immer miterlebt habe – noch viel krasser als ich es selber erlebt habe – wie Leute aus ihren Wohnungen verdrängt werden. Das betrifft nicht nur mich oder Künstler, sondern das betrifft alle Mieter, Normalverdienende, Alleinerziehende, die keine Wohnung mehr finden, Familien, die sich nicht vergrößern können, Paare, die sich nicht trennen können. Es zieht sich durch die ganze Gesellschaft und in Kreuzberg noch mal verstärkt. Es ist ein Hotspot geworden auch der Touristen und der Vermietung. Es war immer schon sehr präsent. Ich war eigentlich von Anfang an dabei.
Scholl: Nun beschreibt aber jeder alteingesessene Berliner die Vergangenheit als Wohnparadies. Als ich 1986 hierherkam, konnte man in Kreuzberg eine Zweizimmerwohnung für 150 Mark warm bekommen. Aber das war damals eine Ausnahmesituation. Ich habe beim Lesen gedacht, na ja, wenn jetzt Menschen in Hamburg, Frankfurt am Main oder München das Buch lesen, dann müssen die zwischendurch mal herzhaft lachen und sagen, also jetzt heul mal nicht rum, wir kennen diese Lage schon immer, bei uns ist das nämlich schon immer so gewesen.
Brandt: Das ist richtig, aber die Einkommen in Hamburg oder München oder Frankfurt waren auch immer viel höher als in Berlin. Und die Wohnungen und die ganzen Viertel waren auch nicht so runtergekommen wie beispielsweise im Osten nach der Wende oder in Kreuzberg um 1980 herum.

Gekündigt wegen Eigenbedarf

Scholl: Als Berliner muss ich Ihnen auch noch was hinreiben. Wir wollen auch partout nicht aus Kreuzberg raus. Einmal fahren Sie nach Schmargendorf, das ist schön im bürgerlichen alten Westen, da will aber kein Hipster wohnen, igitt, igitt, igitt. Ich muss sagen, mein Mitleid wurde an dieser Stelle kleiner.
Brandt: Ja, aber das hat noch einen anderen Grund. Als freiberuflicher Schriftsteller ist man immer auch ein Einzelgänger. Ich brauch um mich herum diesen sozialen Kosmos. Wenn ich meine Freunde nicht in der Nähe habe, dann fühle ich mich auch nicht zu Hause. Schmargendorf ist doch schon ein Stück weit weg, und das hat mich, glaube ich, mehr daran gestört. Klar, das sind Luxusprobleme, sicher, aber ich habe gemerkt, ich habe mein Umfeld, meine Nachbarschaft doch nötig.
Scholl: In dieser Geschichte gibt es wirklich ein Happyend. Sie finden nämlich am Ende eine Wohnung in Schöneberg. Fast hier ums Eck von unserem Sender auf der sogenannten Roten Insel. Bezahlbar, hochattraktive Lage. Da schnalzt jeder Kenner mit der Zunge. Es sei Ihnen von Herzen gegönnt. Was Ihr Buch, Ihre Stadtgeschichte aber, wie ich finde, sehr exemplarisch und sehr schön zeigt, ist diese absolut existenzielle Bedeutung, die das Wohnen in unserer Gesellschaft gewinnt, wenn es immer prekärer wird; was das für eine Rolle im Leben spielt, nicht nur finanziell, dass man also 30 Prozent seines Einkommens mittlerweile für Miete hinlegen muss.
Brandt: Ja, man wird einfach seinem Zuhause entrissen. Ich hatte das Gefühl, mir wird der Boden unter den Füßen weggezogen, als ich diese Eigenbedarfskündigung bekommen habe – das hört nicht auf. Auch wenn ich jetzt eine neue Wohnung habe, es kann immer sein, dass mein Haus von einem Investor gekauft wird, die Mieten steigen und ich wieder raus muss. Also die Angst bleibt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.