Jayrôme C. Robinet: Mein Weg von einer weißen Frau zu einem jungen Mann mit Migrationshintergrund
Hanser Verlag, Berlin 2019
213 Seiten, 20 Euro
Ein Transmensch sinniert über Rollenzuschreibungen
05:47 Minuten
Jayrôme C. Robinet kam als Au-Pair Cèline nach Berlin. In seinem Buch beschreibt er, welche Rollenbilder die Umwelt ihm zuschrieb, als sie ihn als Frau und später als Mann wahrnahm. Es sind erhellende Gedanken über normierte Verhaltensweisen und Klischees.
"Guck mal wie Rosa das ist", sagt Robinet. "Rosa, das kleine Rot. Hellrot. Deswegen war früher Rosa die Farbe für Jungs und Blau für Mädchen. Weil Hellblau ist die Farbe Marias."
Ein lauer Frühlingstag im Park.
"Und das kleine rot ist kräftig, ist wild. Und irgendwann hat es sich verändert", fährt Robinet fort. "Also, die Rosen riecht man noch nicht. Ich bin oft hier, das ist mein Garten. Ich habe das große Glück, dass ich diesen Riesengarten hab."
Berlin, Volkspark Hasenheide, an der Grenze von Neukölln zu Kreuzberg. Hier in diesem multikulturellen Viertel lebt der Schriftsteller Jayrôme C. Robinet. 1996 ist er aus der französischen Provinz als Au-Pair nach Berlin gezogen. Da war er 19.
"Beim Laufen, was wir gerade machen, entstehen auch andere Gedanken", plaudert der Autor. "Der Körper ist in Bewegung."
Muskulös, Bart, Bomberjacke
Jayrôme Robinets Körper ist heute der eines Mannes. Er wirkt muskulös, trägt Bomberjacke und Basecap. Am kräftigen Unterarm blitzt eine silberne Armbanduhr und auf seinen Fingern wachsen feine Härchen. Schwarz, so wie der Bart in seinem Gesicht. Die ersten 30 Jahre seines Lebens galt er als Frau.
"Und da gibt’s Enten und Schwäne", gibt Robinet Orientierung im Park.
"Sprechen wir doch mal über die Bücher von Jayrôme Robinet."
"Ah, ja?", wehrt Robinet ab. "Also, ich finde Enten und Schwäne sind schon von Interesse. Ich muss immer an die Geschichte 'Das hässliche Entlein' denken und ich finde es schmerzhaft. Also ich finde, das Entlein sollte von Anfang an geliebt werden beziehungsweise das Entlein war von Anfang an schön."
Reflexion über gesellschaftliche Rollenbilder
Es war ein langer Weg, um vom äußeren Erscheinungsbild einer Frau zu einem Mann zu werden. In seinem Buch schildert Robinet tabulos die vielen Hürden: die gesellschaftlichen, juristischen und medizinischen Schwierigkeiten, die Transmenschen auch heutzutage noch überwinden müssen. Darin zeichnet er nicht nur seine eigene Mannwerdung nach, sondern reflektiert auch über die gesellschaftlichen Rollenbilder, über Klischees und normierte Verhaltensweisen.
"Aber Männer wollen sich auch gegenseitig beeindrucken. Die wollen schon, das was Eve Kosofsky Sedgwick als Homosozialität bezeichnet: dass männliche Freundschaften, männliche Bindung, männliche Kreise sehr wichtig sind. Man fühlt sich als Mann mit anderen Männern sehr wohl und man will eben die Wertschätzung und die Anerkennung von anderen Männern."
Jayrôme Robinet ist heute Anfang 40. Die schwierige Phase des Übergangs von der Frau zum Mann, die er in seinem Buch schildert, liegt hinter ihm.
"Ich glaube, Frauen oder als Frauen sozialisierte Menschen arbeiten auch sehr hart daran, diese männliche Wertschätzung zu bekommen", reflektiert er. "Von daher werde ich das wahrscheinlich schon früher verinnerlicht haben, also vor der Transition."
Selbstironisch in Bezug auf die Männlichkeit
Teile seiner Familie stammen aus Italien. Im Norden Frankreichs, in der Industrieregion an der Grenze zu Belgien, fanden sie Arbeit. Von dort ist Jayrôme – damals eben noch Cèline – nach Deutschland gezogen und hat seine körperliche Veränderung zu einem Mann und sein Passing – die Anerkennung des eigenen Geschlechts, das man sich selbst zuschreibt, durch die Umwelt – vollzogen.
"Was mich auch dazu führt... Warte Mal, lass mich mal kurz überlegen, wahrscheinlich so oder so..."
Im Gespräch gibt er nur Nuancen preis, spricht in Bildern und liebt es, sich als Mann auch ein bisschen selbstironisch zu betrachten.
"... das heißt die Schänke ist in die Richtung. Ich kenn' mich aus!", sagt er lachend.
Seit er in Berlin ist, kennt er sich in der queeren Szene der Stadt aus und hat sich als Poetry Slammer und Buch-Autor einen Namen gemacht.
Wie ist er zu dem Titel seines letzten Buches gekommen – "Mein Weg von einer weißen Frau zu einem jungen Mann mit Migrationshintergrund"?
"Ich hab in einem Theatermonolog schon dieses Hauptmotiv literarisch verarbeitet", erklärt Robinet. "Das ist die Geschichte 'Wie ich von einem weißen Topmodell zu einem Randalierer mit Migrationshintergrund wurde'."
Beurteilung des Menschen nach dem Äußeren
Seine großen dunklen Augen und der schwarze Bart führen dazu, dass er gelegentlich für einen Migranten aus der Mittelmeerregion gehalten wird.
"Hier wurde ich zum Beispiel zum ersten Mal gefragt, ob ich Haschisch verkaufe. Das war für mich eine große Überraschung hier in diesem Park."
Vorurteile und Klischees, die einen Menschen nur nach dem Äußeren beurteilen – darum geht es auf seinem "Weg von einer weißen Frau zu einem jungen Mann mit Migrationshintergrund". Es ist ein erhellendes Buch über Männlichkeit, über so genannte Heteronormalität.
Wie hat sich die Hasenheide verändert in seiner Erinnerung?
"Kaum verändert würde ich sagen, also weniger als ich", lacht er. "Jeder Baum ist der Baum und jeder Vogel ist ein Vogel."
- "Tschüss, á la prochaine."
- "Grüß die Sonne, à la prochaine", verabschiedet sich Robinet.
Jayrôme Robinet setzt sich auf sein Fahrrad und radelt durch die Hasenheide davon.