Schriftsteller Martin Mosebach

Warum die katholische Kirche viele Märtyrer braucht

07:12 Minuten
Am Boden liegend wird der heilige Sebastian versorgt nach seinem Märtyrium. Gemalt Ende 16. oder Anfang 17. Jahrhundert.
Der von vielen Pfeilen durchbohrte Heilige Sebastian ist einer der bekanntesten katholischen Märtyrer. Der Legende zufolge starb er nicht, sondern wurde von der Heiligen Irene gesundgepflegt. © Getty Images / Hulton Fine Art Collection
Moderation: Dieter Kassel |
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Das Hilfswerk "Kirche in Not" bietet einen Kalender für 2021 an, der Bilder von 52 Märtyrern zeigt. Kein Wunder, sagt der Schriftsteller und Katholik Martin Mosebach: Die "eingeschlafene" Kirche brauche Leute, die bereit seien, den Glauben zu bezeugen.
Dieter Kassel: Christliche Märtyrer, das klingt nach Altem Testament, nach finsterer Vergangenheit, aber das päpstliche Hilfswerk Kirche in Not hat gerade einen Wochenkalender für das kommende Jahr vorgestellt, "Kalender der Märtyrer und Zeugen der Liebe" heißt er. Darin finden sich nur Beispiele aus der Gegenwart oder der allerjüngsten Vergangenheit, und zwar 52 Stück, es ist ein Wochenkalender.
Mit der aktuellen Frage, was ist heute ein Märtyrer, was bewegt Leute, ihr eigenes Leben zu riskieren für ihren Glauben, mit der hat sich auch Martin Mosebach schon beschäftigt. Zu seinen vielen Büchern zählt auch "Die 21. Eine Reise ins Land der koptischen Martyrer". Was ist für Sie genau ein christlicher Märtyrer?
Mosebach: Ja, das Wort Martyr, das griechische Wort, heißt Zeuge, nichts anderes. Es ist jemand, der bereit ist, eine Wahrheit, an die er glaubt, zu bezeugen, sie öffentlich zu bekunden und persönlich für sie einzustehen - bis dann hin mit dem eigenen Leben.
Kassel: Aber wenn man es so definiert, dann muss aber ein Märtyrer nicht sterben für seinen Glauben.
Mosebach: Nein, keineswegs, wenn das Zeugnis so weit nicht geht, es nicht gehen muss, wenn die Situation nicht so extrem ist. Aber wenn sie so extrem ist, dann muss er auch sterben.

Das unbedingte Zeugnis ist gefordert

Kassel: Sie sind ja selber gläubiger Katholik, leben aber in einem Land, in dem nicht mit irgendwelchen Einschränkungen aufgrund der Religion zu rechnen ist. Haben Sie schon mal darüber nachgedacht, wie weit Sie gehen würden für Ihren Glauben unter anderen Umständen?
Mosebach: Sie können sich vorstellen, dass man sich da nichts vorschwärmen darf, dass man nicht sagen würde, ich werde selbstverständlich den Kelch leeren. Das ist auch eine Versuchung, der Stifter der christlichen Religion selbst ist davor zurückgeschreckt im Garten Gethsemane. Aber wir dürfen uns nicht darüber hinwegtäuschen, dass authentisches Christentum das unbedingte Zeugnis fordert.
Kassel: Wenn Menschen ihren Glauben verleugnen, um ihr eigenes Leben zu schützen, verachten Sie solche Menschen?
Mosebach: Nein, keineswegs. Die Furcht ist etwas Ernstzunehmendes, und die Angst, das eigene Leben zu verlieren. Man kann das nicht von anderen ohne Weiteres erwarten. Aber man muss sich darüber klar sein, dass das Christentum, die Religion des Kreuzes immerhin, ein unbedingtes Eintreten fordert.
Kassel: Für viele Menschen in Europa ist das ja alles graue Theorie, für Sie eigentlich nicht mehr seit Ihrer Reise nach Ägypten, oder?
Mosebach: Nein, wir wissen ja, das ist nicht nur die Reise nach Ägypten, wir wissen, dass die christliche Religion heute die verfolgteste Religion der Welt ist. Es gibt sehr viele Länder, in denen es einen außerordentlichen Mut bedeutet, Christ zu sein, und in denen das Christsein auf eine Probe gestellt ist, die von der Ausgrenzung von den bürgerlichen Freiheiten bis hin zur Tötung geht. In Nordkorea, in Pakistan, in Saudi-Arabien, in Nigeria, in vielen Regionen, in Ägypten kann es einfach auch gefährlich sein, Christ zu sein.

"Selbstverständlich sät die Religion Zwietracht"

Kassel: Einerseits das, andererseits wissen wir beide, wenn irgendjemand über eine bestimmte Religion sagt "das ist im Moment die verfolgteste der Welt", dann heben sofort ganz viele andere ihren Finger und sagen, aber meine Religion wird doch auch verfolgt, und zwar da und da und in der und der Form, und das stimmt ja auch.
Auch die nicht-abrahamitischen Religionen, denen oft mehr Friedfertigkeit unterstellt wird, streiten sich miteinander, wenn ich an Indien zum Beispiel denke und die Hindus und die Buddhisten dort. Bei aller Liebe zur Religion, ich habe großen Respekt davor, dass Sie ein gläubiger Mensch sind, und gebe zu, ich bin es nicht, aber ich werde den Eindruck nicht los, dass Religion offenbar Zwietracht sät.
Mosebach: Ja, selbstverständlich sät sie Zwietracht, das sagt Jesus ja selbst: "Ich bin nicht gekommen, den Frieden zu bringen, sondern das Schwert, und ich werde die Familien spalten, und es wird der Vater gegen den Sohn sich wenden. Ich bin das Zeichen, dem widersprochen wird." Selbstverständlich, Religion zwingt zur Stellungnahme und dadurch eben auch zum Widerspruch.

Religion als Vorwand in Konflikten

Kassel: Aber geht es denn heutzutage wirklich um die Frage, wer ist der wahre Gott? Oder nur um die Frage, welche Religionsausübung ist die richtige? Meistens ist doch Religion ein Vorwand für ganz andere Konflikte.
Mosebach: In vielen blutigen Konflikten der Weltgeschichte ist die Religion nur ein Vorwand gewesen oder sie wurde benutzt – Menschen sind schlecht, können sich zum wirklichen Bekenntnis nicht aufraffen, benutzen die guten Dinge für etwas Böses. Das ist eine alte historische Erfahrung, nichts besonders Überraschendes. Aber das ändert nichts an dem Phänomen, dass die Religion Zeugnis haben muss, bezeugt werden will.
Kassel: Manche werden vielleicht aber doch ein bisschen jetzt überrascht sein, dass ein Hilfswerk wie Kirche in Not wirklich einen Märtyrerkalender herausbringt – das ist ja der Anlass für unser Gespräch. Die katholische Kirche in Deutschland ist, was Mitglieder angeht, ein bisschen unter Druck. Glauben Sie, die braucht heute Märtyrer, das ist auch so etwas wie Werbung für die Kirche?
Mosebach: Ja, das braucht sie in hohem Maße. Sie braucht in hohem Maße Leute, die Mitglieder, die bereit sind, ihren Glauben zu bezeugen, selbstverständlich. Das ist es ja gerade: Die eingeschlafene deutsche Kirche braucht Leute, die bereit sind, den Glauben zu bezeugen. Das ist ihr Leiden, dass sie das nicht hat.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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