Schriftsteller Rolf Schneider

Islamisten haben Koran nicht gelesen

Die Familie Varli liest jeden Tag im Koran
Der Koran © Dirk Gebhardt
Von Rolf Schneider |
Dass Religionen als Vorwand für Krieg und Menschenvernichtung dienen, wisse man auch aus der Geschichte des Christentums, sagt der Schriftsteller Rolf Schneider. Nach dem Lesen des Korans bezweifelt er, dass die Islamisten das Buch komplett gelesen haben.
Also, ich habe den Koran gelesen. Den Plan dazu hatte ich seit meiner ersten Berührung mit der arabischen Welt. Die Nachrichten aus dem Nahen und Mittleren Osten bewirkten, dass ich dem nunmehr nachkam. Ich benutzte keines jener Exemplare, die von Salafisten unter freiem Himmel verschenkt werden. Ich hatte zwei andere Eindeutschungen zur Hand, eine von 1992, eine aus dem 19. Jahrhundert. Die jüngere Ausgabe las sich geschmeidiger, dafür listete die ältere penibel alle Bezüge zur Bibel auf. Der Koran, jüngstes von den heiligen Büchern der drei nahöstlichen Offenbarungsreligionen, lässt zahlreiche Personen aus Altem und Neuem Testament auftreten, von Abraham bis Jesus, die hier Ibrahim und Isa heißen.
Arabische Poesie im Deutschen schwer nachvollziehbar
Unterteilt in 114 unterschiedlich lange Kapitel, die Suren genannt werden, umfasst der Koran im Deutschen um die 500 eng bedruckte Seiten. Das ist Bibelformat. Der Inhalt sind Berichte über Propheten, Beschreibungen und Lobpreisungen des alleinigen Gottes sowie Gebote und Verbote für ein religiös bestimmtes Leben.

Diese drei Momente sind nicht säuberlich voneinander getrennt, sondern vermischen sich, etwa so, als gingen in der Bibel Psalter, die Geschichte Jesu und die Paulusbriefe fortwährend ineinander über, wobei der Anteil der Psalter der bei weitem ausführlichste wäre. Solche Struktur hat offenbar mit der Entstehung zu tun: Religionsgründer Mohammed will die Texte als mystische Offenbarung erfahren haben.

Die ständig wiederkehrenden und sehr ausführlichen Anrufungen Gottes haben etwas Redundantes. Mag sein, dass im Arabischen deren Poesie ganz außerordentlich ist. Ich kann kein Arabisch. Ich muss mich an die Eindeutschungen halten. Neben dem Koran kennt der Islam, ähnlich Judentum und Christentum, eine Reihe kanonische Zusatztexte, darunter die Gesetzessammlung der Scharia, die unter anderem die grausamen Strafen des Handabhackens und Steinigens enthält. Auf den Wortlaut des Korans kann sich die Scharia nur in Teilen stützen. Als sie entstand, war sie eine rechtgeschichtlich bemerkenswerte Leistung. Wer sie heute unverändert praktiziert, staucht die Gegenwart ins frühe Mittelalter zurück.
Dies tun jene, die als Islamisten machtpolitische Ziele verfolgen. Dass jeder ihrer Führer wie auch ihr Fußvolk jemals den gesamten Koran gelesen hat, wage ich zu bezweifeln. Sie mögen einzelne Verse kennen, mit denen sie ihr Tun rechtfertigen. Ebenso gibt es Verse, die dergleichen bestreiten. Ähnliche Widersprüche finden sich reichlich auch in Altem und Neuem Testament.
Dass Religionen extrem einseitig ausgelegt werden, dass sie als Vorwand dienen für Krieg und Menschenvernichtung, wissen wir gleichermaßen aus der Geschichte des Christentums. Man mag es der Religion selbst nicht zum Vorwurf machen. Entsprechend sollte man mit dem Islam verfahren. Nicht bloß die Anhänger von Pegida, auch ein paar prominente Publizisten sind da ganz anderer Meinung. Sie alle sollten besser den Koran lesen.


Rolf Schneider stammt aus Chemnitz. Er war Redakteur der kulturpolitischen Monatszeitschrift Aufbau in Berlin (Ost) und wurde dann freier Schriftsteller. Wegen "groben Verstoßes gegen das Statut" wurde er im Juni 1979 aus dem DDR-Schriftstellerverband ausgeschlossen, nachdem er unter anderem in einer Resolution gegen die Zwangsausbürgerung Wolf Biermanns protestiert hatte.


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