"Die Konfrontation zwischen Kulturen hat mich immer interessiert"
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In den Büchern von Sherko Fatah irren die Protagonisten durch Labyrinthe, es gibt keine Gewissheiten. Vor allem, wenn die Geschichten im Nahen Osten spielen, aus dem Fatahs Vater stammt. Literatur, so chaotisch wie die Region, die sie reflektiert.
Die Recherche für sein neustes Buch empfand Sherko Fatah als "Qual". Denn für das Thema seines Romans, die Vorgeschichte des Bürgerkriegs im Libanon 1974, gebe es nicht nur Unmengen von Material, sondern das meiste davon sei auch noch extrem parteiisch. Doch Fatah ist es wichtig, seine fiktiven Figuren in einem möglichst authentischen historischen Rahmen agieren zu lassen.
In "Schwarzer September" von Sherko Fatah gibt es keine Helden. Einheimische, Palästinenser, idealistische Deutsche, ein CIA-Agent – sie alle werden im Libanon der 70er-Jahre von Mächten getrieben, die stärker sind als sie, hin zur Katastrophe des Bürgerkriegs. Der Nahe Osten sei schon damals kompliziert gewesen, sagt Sherko Fatah, darum habe das Buch "diese amorphe, chaotische Gestalt" angenommen.
Sherko Fatah ist gebürtiger Berliner, Sohn einer DDR-Bürgerin und eines kurdischen Irakers. Die Kindheit in Ostberlin wurde immer wieder unterbrochen von Reisen in die Heimat des Vaters. Bei dessen Familie fühlte sich Sherko wie zuhause, damals war der Irak ein "blühendes Land" – im Gegensatz zur DDR. Mit elf Jahren geht Fatah mit seinen Eltern in den Westen, die nächste Konfrontation der Kulturen, wie er sagt. Ein Thema, das ihn seitdem immer wieder bewegt.
"Verständnis ist ein Näherungswert"
Dabei sieht er die Möglichkeiten, sich gegenseitig zu verstehen, als begrenzt. "Verständnis ist ein Näherungswert, Sie können nah herangehen an die Leute, Sie können die Kultur versuchen zu verstehen, aber Sie bleiben immer doch Betrachter." Und aus dieser Position schreibt Sherko Fatah auch seine Romane, schaut auf seine Figuren: "Ich bevorzuge die Schulterkamera, das heißt, ich bin nah dran, aber ich bin nicht in ihren Köpfen."
Dabei ist seine Literatur politisch und aktuell, auch wenn sie in den 70er-Jahren spielt. Der Nahe Osten sei heute so labyrinthisch wie damals, sagt Sherko Fatah mit Blick auf die Lage in Syrien. Und damals wie heute gehe es auch um die Medialisierung von Gewalt: beim Anschlag der Terrorgruppe "Schwarzer September" auf die Olympischen Spiele von München vor laufenden Kameras wie jüngst beim Angriff in Halle.
Entspannung findet Sherko Fatah, wenn er durch sein Teleskop Sterne beobachtet. Das sei "rein meditativ". Und wunderbar unpolitisch sei der Blick in den Himmel: "Was ich anschaue, staune ich an."
(pag)