"Zeile für Zeile − diesem Fluss folge ich"
17 Romane, Dutzende Kurzgeschichten: Seit fast 40 Jahren schreibt T.C. Boyle um sein Leben. Er hat ein exzellentes Gespür für die Themen der Zeit: Drogen, Einwanderung, Umweltverschmutzung. Heute wird der US-Autor 70 Jahre alt.
"Guten Abend" - ein Autor begrüßt sein Publikum zur Lesung. Das ist nicht ungewöhnlich. Ungewöhnlich aber ist, dass ein amerikanischer Schriftsteller in Deutschland so beliebt ist, dass nun schon wieder ein Buch von ihm erst auf Deutsch erscheint, dann auf Englisch.
"Das Licht" wird es heißen und im Januar veröffentlicht, bevölkert ist es von Hippies und Drogen. Welt-Lesungspremiere wird im Februar sein − in Berlin, erübrigt sich fast zu sagen.
Ein Autor als Rockstar. In Deutschland ist T.C. Boyle das vielleicht mehr noch als in seiner Heimat Amerika. Und ja, Rock gab es viel in seinem Leben, in jeder Beziehung, das Stardasein − zumindest musikalisch gesehen − eher nicht. "The Ventilators" heißt die Band mit T.C. Boyle am Mikrofon. Die Aufnahme nennt er ein krude zusammengestoppeltes Übungsband.
Seit bald vier Jahrzehnten schreibt T.C. Boyle um sein Leben. Buch um Buch, Kurzgeschichte um Kurzgeschichte. Damit ist er der desolaten Welt des Alkohols im Haus seiner Eltern genauso entkommen wie härteren Drogen in den 70er-Jahren. Schreiben wurde zur Obsession, die er als Junkie niemals hätte ausleben können, sagt T.C. Boyle.
"Man verliert die Notizen"
Das C im Namen war vor 70 Jahren zunächst ein J: da kommt Thomas John Boyle in Peekskill im US-Staat New York zur Welt. Mit 17 Jahren ändert er seinen Mittelnamen in Coraghessan, den Nachnamen eines Vorfahrens. Mit 24 veröffentlicht er seinen ersten Erzählband, mit 33 folgt das Romandebüt "Wassermusik" − darin trifft der Afrikaforscher Mungo Park auf einen fiktiven Kleinkriminellen aus London.
"Ich weiß erst einmal gar nichts, wenn ich eine Erzählung oder einen Roman beginne − egal, wie makellos das hinterher auch wirken mag. Schreiben ist für mich ein organischer Prozess. Tag für Tag. Zeile für Zeile. Diesem Fluss folge ich. Recherche sieht meistens so als, als würde ich eine Uni-Arbeit schreiben wollen. Aber wie das damit eben so geht: Man verliert die Notizen."
Dann übernehme die Macht des Unbewussten. T.C. Boyle, der Mann mit dem Frank Zappa-Bärtchen, und sein Unbewusstes haben ein exzellentes Gespür für die Themen der Zeit.
Über mexikanische Einwanderung in die USA etwa schrieb er vor mehr als 20 Jahren in "Tortilla Curtain". Sein Drogenroman "Licht" fällt in eine Zeit, in der Länder wie Kanada gerade Marihuana freigegeben haben. Und um Umweltschutz kümmert sich der überzeugte Vegetarier schon lange − zuletzt vor zwei Jahren mit den "Terranauten" über das Biosphären-Experiment unter riesigen Glaskuppeln.
Vielleicht eine Fluchtmöglichkeit für einige wenige Auserwählte, kommentiert Boyle zynisch, falls die Biosphäre 1, also unsere Welt, zugrunde gehe − er sagt es etwas zugespitzter.
Nackt im Schwarzwald
T.C. Boyle schreibt weiter − auch mit 70 Jahren noch. In Rente gehe er erst, wenn sein Gehirn absterbe. Die Recherche für den nächsten Roman nach "Das Licht" laufe bereits. Bis dahin kann man sich zunächst auf ungewöhnlich unterhaltsame Lesungen freuen.
"Ein normaler Tag heißt: Ich arbeite die ganze Zeit in einem eiskalten alten Haus, gekleidet in Lumpen. Wenn ich nicht tippe, dann kümmere ich mich um die Bedürfnisse von Frau Boyle."
Frau Boyle, wie er sie nennt, hat eine deutsche Mutter. Höchste Zeit also für T.C. Boyle, richtig Deutsch zu lernen. Die Chancen dafür aber stehen schlecht:
"Dafür muss man mich nackt am Fallschirm aus einem Hubschrauber werfen − und zwar mitten in den Schwarzwald."