Rolf Schneider stammt aus Chemnitz. Er war Redakteur der kulturpolitischen Monatszeitschrift Aufbau in Berlin (Ost) und wurde dann freier Schriftsteller. Wegen "groben Verstoßes gegen das Statut" wurde er im Juni 1979 aus dem DDR-Schriftstellerverband ausgeschlossen, nachdem er unter anderem in einer Resolution gegen die Zwangsausbürgerung Wolf Biermanns protestiert hatte. Veröffentlichungen u.a. "November", "Volk ohne Trauer" und "Die Sprache des Geldes". Seine politischen und künstlerischen Lebenserinnerungen fasst er in dem Buch "Schonzeiten. Ein Leben in Deutschland" (2013) zusammen.
Vom politischen Wandel der Belletristik
"Intellektuelle denken politisch links und oft liberal" – das galt als Binsenweisheit. Ausnahmen bestätigten die Regel oder werden die Ausnahmen mittlerweile zur Regel? Die deutsche Gegenwarts-Belletristik wirke, sagt der Schriftsteller Rolf Schneider, als wolle sie zurück ins 19. Jahrhundert.
Bis vor kurzem standen die schöngeistigen Autoren in Deutschland politisch überwiegend links. Wir benutzen dieses ungefähre Qualitativ, das gerne als Gesäßgeographie verhöhnt wird und dessen Ursprung die Sitzordnung europäischer Parlamente im Umfeld der Französischen Revolution ist. Da kein besserer Begriff existiert, stehe er weiterhin für die Strömungen von radikalliberal bis hin zu Bolschewismus und Anarchismus. Genau unter solche Kategorien fiel in jüngerer Zeit das politische Credo der meisten deutschen Literaten.
Wir reden hier über einen Zeitraum von knapp hundert Jahren. Der literarische Linksruck geht zurück auf das Ende der Ersten Weltkriegs, in den die Dichter vier Jahre zuvor begeistert und freiwillig gezogen waren, um seelisch oder körperlich beschädigt daraus zurückzukehren. Fortan erwiesen sie sich als entschiedene Gegners jenes Kriegs und seiner Verursacher. Engagiert waren sie in linken Strömungen aller Couleur.
Die politische Wandlung der Belletristen
Es bedeutete dies auch ein Art Epochenwechsel. Zuvor waren Deutschlands Schriftsteller konservativ, nicht durchweg, doch in überwältigender Mehrheit. Gelegentliche Ausflüge ins Linksrevolutionäre endeten meist im Gesinnungswechsel, was für Friedrich Schiller gilt wie für Heinrich von Kleist, für Friedrich Schlegel, Joseph Görres, Ferdinand Freiligrath, Richard Wagner, Theodor Fontane und Gerhart Hauptmann. Jemanden wie Georg Büchner bewahrte womöglich bloß sein sehr früher Tod davor, sich an solchen Vorgängen zu beteiligen.
Für die Zäsur von 1918 gibt es das prominente Beispiel Thomas Mann. Eben noch Verfasser der stockkonservativen "Betrachtungen eines Unpolitischen", machte er bald darauf schon Reklame für die deutsche Sozialdemokratie. Als er nach 1933 vor Hitler ins Ausland floh, war er einer von vielen. Sie alle teilten das Schicksal und die politische Überzeugung.
Die bestimmte dann das Klima nach 1945. Die Zielrichtung der schönen Literatur in der DDR war vorgegeben von Staats wegen. In der Bundesrepublik dominierte die Gruppe 47, eine Gründung von Linkssozialisten. Sicher gab es daneben auch ein paar konservative Autoren, aber die galten als ästhetisch nachrangig. So ging es fort bis in die neunziger Jahre.
Und jetzt? Zurück ins 19. Jahrhundert?
Heute nun? Das Linksengagement deutscher Belletristen ist erlahmt. Ein Großteil der von ihnen verfassten Bücher ist privatistischen Inhalts, politische Haltungen werden gerne verweigert, und wo es sie gibt, häufen sich konservative Ideen. Der Kriegsbewunderer und Antisemit Ernst Jünger, jahrzehntelang ein ideologischer Nischenbewohner, erfährt eine immer größeres Anhängerschaft, auch unter Literaten. Von ästhetischer Zweitrangigkeit der Neokonservativen kann nicht die Rede sein: Botho Strauss und Martin Mosebach sind bravouröse Talente. Strauss begann einmal als Linkssozialist, ebenso wie Wolf Biermann, der sich heute irgendwo nahe der CSU bewegt. Bei Hans Magnus Enzensberger und Martin Walser ist der Gesinnungswandel nicht ganz so extrem, aber er geht in die nämliche Richtung.
Vor fünfzig Jahren gab es eine massive Wahlunterstützung deutscher Autoren für die SPD. Heute ist dergleichen undenkbar. Unsere Belletristik wirkt, als wolle sie zurück ins 19. Jahrhundert. Man darf bezweifeln, dass ihr das gut bekäme. Belletristisch war das 19. Jahrhundert für die Deutschen keine glückliche Zeit, und politisch auch nicht.