Wenn der Ferienort zur neuen Heimat wird
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Die Schriftstellerin Angelika Overath zog es von Tübingen in die Schweiz. Sie ist fasziniert von der rätoromanischen Sprache, wie sie in Graubünden gesprochen wird. Der Ferienort ist ihr inzwischen zur Heimat geworden. Ihr jüngstes Buch spielt allerdings in Istanbul.
Sie wollte noch einmal neu anfangen. Mit Anfang fünfzig zog Angelika Overath aus Tübingen in den Ort, in dem sie jahrelang mit ihrer Familie Ferien gemacht hatte: Sent im Unterengadin. Seit 2007 wohnt die Schriftstellerin in dem rätoromanischen Dorf.
Die Familie sei von den Eingesessenen mit offenen Armen aufgenommen worden. So habe ihr Sohn, der damals in die Dorfschule kam, sofort dazu gehört: "Er hat dann auch sofort rätoromanisch gelernt." Mit dem Rätoromanischen habe sie sich schwer getan, obwohl sie von Anfang an sehr fasziniert von der Sprache gewesen sei. "Ich bin vielleicht gerade als Schriftstellerin ein bisschen Sprachen verklemmt. Ich kann nicht einfach drauf los reden, weil ich dieses rätoromanisch so schön finde. Ich wollte immer schöne Sätze sagen. Das ist ein sicherer Weg, eine Sprache nicht zu lernen."
Rätoromanisch als "bildreiche Sprache"
Inzwischen schreibt Angelika Overath Gedichte auf Rätoromanisch. Es sei eine sehr bildreiche Sprache. So gebe es zum Beispiel viele Wörter für "sterben". Am besten gefalle ihr da die Wendung "man geht die Hühner des Herren hüten". Was ihr Schreiben betrifft, habe es sich "mit dem Ort verändert". So habe sie es als befreiend empfunden, einfach los in die Natur laufen zu können, wenn der Text nicht lief. "Dann habe ich mir meine Schuhe angezogen und dieses Licht, diese Reinheit hat mir dann geholfen, mehr Kraft zu haben."
Große Enge im Elternhaus
Das Schreiben habe für sie auch eine therapeutische Funktion gehabt. In ihrem Buch "Nahe Tage. Roman einer Nacht" erzählt sie von ihrer Kindheit mit vom Krieg traumatisierten Eltern. "Sie generierten ein Schweigen. Mein Vater hatte im Krieg gekämpft, meine Mutter sagte immer Viehwagen, das war die Chiffre für die Vertreibung."
Sie erlebte in ihrem Elternhaus eine große Enge. "Man müsste das Wort weltern erfinden, weil ein Kind lebt nicht in der Welt, sondern es lebt in einer Welt, die von den Eltern vermittelt ist und im Idealfall bricht dieses weltern in Welt und Eltern auseinander in der Pubertät."
Sie selbst habe nicht pubertieren können, sagt Overath. Ihre Mutter habe sie stark in Anspruch genommen und sei wie ein "dritter Arm" von ihr gewesen. Ihre Rettung sei das innige Verhältnis zur Großmutter gewesen. Und die Geschichte ihrer Kindheit aufzuschreiben, sei wie eine nachgeholte Pubertät gewesen.
Ihr neues Buch: "Ein Winter in Istanbul"
Mit ihrer eigenen Familie ist sie viel herumgekommen, bevor sie sich im Engadin niederließ. Noch immer ist sie viel auf Reisen. Die Züge dienen ihr als Büro. Zuletzt verbrachte sie zehn Monate in Istanbul. Dort handelt auch ihr jüngster Roman, der demnächst im Luchterhand Verlag erscheint: "Ein Winter in Istanbul". Ein Stipendium führte sie in die Stadt am Bosporus.