Schriftstellerin Donna Leon

"Ich werde Brunetti immer treu sein"

Die Autorin Donna Leon
Die Autorin Donna Leon © Tilmann Kleinjung / ARD
Donna Leon im Gespräch mit Christine Watty |
Seit über 25 Jahren löst Commissario Brunetti in Donna Leons Romanen Kriminalfälle. Stets reibt er sich dabei an den Ungerechtigkeiten der Welt auf. Doch er werde immer getröstet von den Absurdität des Leben, so die Autorin, die auf weitere Romane mit Brunetti hoffen lässt.
Christine Watty: Donna Leon ist die Erfinderin der Romanfigur Commissario Brunetti. Über ihn schreibt Donna Leon, die aus den USA kommt, aber seit den 80er-Jahren zwischen Venedig und der Schweiz hin und her pendelt, seit über einem Vierteljahrhundert, seit über 25 Jahren. Ganz genau sind es inzwischen 26 Fälle, die Brunetti zu lösen hatte, der aktuelle heißt "Stille Wasser". Die Krimis werden in viele Sprachen übersetzt und verfilmt, also Brunetti und Donna Leon, das ist eine Riesenerfolgsgeschichte. Am Wochenende war Donna Leon beim Literaturfestival LIT:potsdam, und wir konnten vorher mit ihr sprechen. Und ich habe Donna Leon zunächst gefragt – in Bezug auf das G20-Treffen in Hamburg –, ob denn ihr Commissario Brunetti, der sich stets an den ungerechten Systemen in der Welt aufreibt, zu den Demonstranten in Hamburg gehören würde.
Donna Leon: Nein, als öffentlicher Beamter hätte er ein Teilnahmeverbot an solchen Aktionen, und auf der anderen Seite wäre er auch ausreichend unpolitisch, um daran nicht teilzunehmen.
Watty: Dennoch scheint es so, als würde dieses Weltbild und auch das, was Brunetti so erfährt im Lauf seiner Karriere, als würde das ihm auch eine etwas dunklere Sicht auf die Welt verpassen und ihn auch zunehmend erschöpfen. Geht Ihnen selbst es auch so, dass Ihr Blick dunkler, trüber geworden ist, wenn Sie sich anschauen, wie die Welt sich entwickelt?

"Ich bin in gewisser Hinsicht schizophren"

Leon: Dazu muss ich erklären, dass ich in gewisser Hinsicht schizophren bin. Also ich bin von Natur aus eine ganz fröhliche Person, und ich war das auch schon immer. Das liegt daran, dass ich aus einem fröhlichen, glücklichen Familienhintergrund komme, und ich kann gar nicht anders sein, als guter Dinge sein. Aber intellektuell bin ich absolut pessimistisch, und das wird auch mehr und mehr so. Das liegt jetzt nicht daran, dass die aktuelle politische Situation so schlimm wäre oder im Nahen Osten oder was auch immer da umgeht, also es liegt nicht an all diesen Problemen, die uns von dem einzigen und wirklichen Problem ablenken, das wir haben, nämlich der Umweltzerstörung. Also da kann die G8 oder G20 oder 7, 47 oder wie auch immer diese Gipfel heißen, noch so viel veranstalten, dieses Problem der Umwelt wird nicht entsprechend angegangen. Niemand an der Macht will sich wirklich damit auseinandersetzen oder dieses Problem so angehen, wie man es angehen müsste. Deswegen gebe ich mich mit all diesen anderen Themen gar nicht erst ab, das ist für mich Zeitverschwendung. Sie können mich auch Cassandra nennen, wenn Sie wollen.
Ich würde sagen, es ist einfach ein inhärentes Ergebnis des Kapitalismus, dieses Streben, von allem immer mehr haben zu müssen. Und meine Meinung dazu, von dem, was ich gelesen habe, ist, dass das der Grund ist, warum es so schwer ist, die Menschen dazu zu bringen, zu handeln, entsprechend der Umweltproblematik aktiv zu werden. Das zeigt uns nämlich, wenn man diese Thematik richtig angehen möchte, dass man eigentlich immer weniger haben müsste, dass man von allem, wovon man jetzt immer mehr haben will, eigentlich weniger haben müsste, und das lässt sich den Menschen sehr schwer vermitteln. Das können Politiker schwer erklären. Die haben dann Angst, Stimmen zu verlieren, und deswegen keinen Mut, diese unbequeme Wahrheit auszusprechen.
Watty: Man kann das natürlich den Politikern in die Schuhe schieben, dass die nicht die Wahrheit sagen, Sie haben aber auch selber mal gesagt, Sie mögen nicht, wie passiv die Menschen angesichts so vieler Ungerechtigkeiten und auch speziell der Umweltzerstörung in der Welt sind. Was bedeutet das genau, was wünschen Sie sich von den Menschen?

"Atomkrieg wäre weniger verheerend als die Umweltzerstörung"

Leon: Ich hab da keine Antwort drauf, ehrlich, keine Antwort. Aber wie gesagt, es ist schwer zu erklären, es ist schwer, den Leuten zu erklären, dass sie ihr Leben ändern müssen, dass man ihnen sagt, eure Kinder werden mal weniger haben als ihr. Sie werden vielleicht schlechtere Jobs haben, sie werden weniger besitzen, in schlechteren Häusern wohnen. Ich weiß nicht, ob die Leute das akzeptieren würden. Vielleicht ist es also richtig, dass die Politiker ihnen das so nicht sagen, aber ich hab keine Lösung. Mein Hirn reicht nicht aus, um da eine Lösung zu finden, aber es reicht aus, um das Problem aufzuzeigen. Und es ist ja ein Problem, was die ganze Welt betrifft, und ich denke, dass selbst ein Atomkrieg weniger verheerend wäre als die Umweltauswirkungen, die wir jetzt zurzeit produzieren.
Deshalb ist die Zurückhaltung der Menschen oder die Weigerung, diese Tatsachen zu sehen, auch so schwer zu verstehen für mich, und ich nehme mich da auch selber nicht raus. Es ist ja nicht so, dass wenn man mir sagt, Donna, flieg da jetzt nicht hin, das schadet der Umwelt, dass ich das dann nicht mache. Also ich denke einfach, wenn es nicht jeder macht, dann macht es keinen Unterschied. So argumentieren auch viele Leute. Ich bin aber die Letzte, die sagt, dass sie da drübersteht, aber ich werde das, was ich tue, sozusagen im Wissen der Konsequenzen meiner Weigerung, mich entsprechend zu verhalten, tun.
Lassen Sie mich noch kurz was sagen, um den Glauben der Hörer an meine Gesundheit ein bisschen zu erhalten: Der Grund, dass ich diesen Wahnsinnsvergleich anstelle mit dem Atomkrieg, das liegt daran, dass ich immer wieder gelesen habe, dass wenn die Eisdecke von Island, die vielleicht ungefähr eine Größe von England hat und drei bis vier Meilen tief geht, wenn die abrutschen würde und in den Ozean rutschen würde, das dafür sorgen würde, dass dieser sich um 30 oder 50 Zentimeter anhebt, was zur Folge hätte, dass die meisten Küstenstädte der Welt überschwemmt werden würden und wahrscheinlich unbewohnbar werden würden. Deshalb bringe ich diesen extremen Vergleich vom Atomkrieg, den man sich ja heutzutage nur als den größten Horror überhaupt vorstellen kann. Aber diese unbekannte Horror ist möglicherweise noch schlimmer.
Watty: Lassen Sie uns von den großen globalen Themen noch mal in das relativ kleine Leben des Commissario Brunetti zurückkommen, weil ich dachte, das ist eigentlich unfair: Sie schreiben dem armen Brunetti kontinuierlich Geschichten auf den Leib, die ihn eigentlich unweigerlich in eine Art des Burnout hineinführen müssen. Dann darf er selbst im aktuellen Krimi nur mal ganz kurz so showmäßig umkippen, das ist alles nur Fake, und muss dann aber weiterermitteln. Haben Sie manchmal ein schlechtes Gewissen ihm gegenüber, was er so alles zu ertragen hat, oder lernen Sie umgekehrt von Ihrer Romanfigur, wie man eigentlich dieses Leben so aushalten kann?

"Am meisten Spaß machen mir die witzigen Teile"

Leon: Ich muss eine Antwort geben, die bei einem kleinen Teil der Frage ansetzt. Wenn ich an meinen Büchern arbeite, dann ist das, was mir am meisten Spaß macht, die Teile zu schreiben, die lustig sind, die witzigen Teile davon. Und wenn ich jetzt zum Beispiel an das Buch vom nächsten Jahr denke, da gibt es eine Szene, die sich auf den echten Bürgermeister von Venedig bezieht, und da heißt es: Venedig ist doch eine Stadt mit nur 50.000 Einwohnern, es muss doch ganz einfach sein, die zu regieren, es muss doch ganz leicht sein, hier Bürgermeister zu sein, das könnte doch ein Schimpanse machen. Und dann lass ich den Erzähler sagen, Brunetti sagt: In der Tat!
Darüber muss ich immer noch lachen. Also das ist so was, das ich an diesem Buch erinnere, also diese Teile bleiben mir im Gedächtnis, wenn ich alles andere vergesse. Und das heißt einfach, dass inmitten all dieser Tragik des Lebens, des Niedergangs der Städte und so weiter dieses Element der Komik immer bleibt, und das drängt sich mir auch immer wieder auf. Also wenn jetzt zum Beispiel Vianello oder Signorina Elettra irgendwas sagen und das komisch wird oder so, das ist immer Teil meiner Art zu schreiben. Und ich kann das nicht lassen, das rutscht mir aus den Fingern einfach ins Manuskript, und es macht mir einfach Spaß. Und Brunetti wird immer getröstet werden von der Absurdität des Lebens, und das wird auch mir immer Freude machen. Aber es sind Krimis.
Watty: Das heißt aber schon, wenn Sie so weitermachen, feiern wir nicht irgendwann nur Ihren 100. Geburtstag, sondern auch den wahrscheinlich 50. Brunetti-Roman. Bleiben Sie ihm also treu?
Leon: Ich werde Brunetti immer treu sein, aber ich weiß nicht, ob er mich noch will, wenn ich 100 Jahre alt bin.
Watty: Nicht so bescheiden, Donna Leon! Vielen Dank für das Gespräch, das Mareile Amir übersetzt hat. Der aktuelle Roman von Donna Leon heißt "Stille Wasser", der 26. Fall des in Venedig ermittelnden Commissario Brunetti.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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