Anlässlich der Europawahl 2019 haben wir Schriftstellerinnen in der Reihe "Stimmen für Europa" gefragt: Was bedeutet Ihnen Europa? Was gilt es zu schützen und was zu kritisieren? Dabei sind literarische Texte entstanden, die verschiedene kulturelle und sprachliche Hintergründe haben.
Felicitas Hoppe wurde 1960 in Hameln geboren und lebt seit 1996 als freie Schriftstellerin in Berlin. Für ihr Werk, das neben Romanen wie "Pigafetta" auch Erzählungen und Kinder- und Jugendbücher umfasst, erhielt sie 2012 den Georg-Büchner-Preis.
Europa bedeutet Reiselust
03:10 Minuten
Es ist viel leichter, über die Europäische Gemeinschaft zu meckern, als sich mit ihr zu beschäftigen, findet die Schriftstellerin Felicitas Hoppe. Ohne die literarische, kulturelle und religiöse Tradition des Kontinents sei ihre Arbeit nicht denkbar.
Europa. Ja, mein geliebtes Europa. Ich glaube, wenn ich mich recht entsinne, dass ich bereits im Jahre 2003 eine literarische Hommage auf die Europäische Union oder Gemeinschaft verfasst hab'. Mein Roman "Paradiese Übersee" ist nämlich ein Ritterroman, der in Luxemburg spielt. In dem gibt es tatsächlich einen Ardennengaul mit dem schönen Namen "Schengen".
Und damit bin ich eigentlich am Kern der Sache, denn ich als Schriftstellerin, die ich bin, kann mir meine gesamte Arbeit natürlich in gar keiner Weise ohne Europa vorstellen, ohne die literarische, die kulturelle, die religiöse Tradition dieses Kontinents mit allen Licht- und Schattenseiten, mit seiner Entdeckerfreude, mit seiner Tyrannei, mit seiner Reiselust. Das alles ist Teil meines Schaffens. Das sind die Texte, auf die ich mich beziehe, seit jeher. Also, die mittelalterlichen Ritterromane, die aus dem Englischen und Französischen kommen, die Märchen, die Sagen.
Aber dasselbe betrifft die Gegenwartsliteratur. Das sind ja Texte, die wie alle Literatur überhaupt keine Grenzen kennen und dann diese Grenzen quasi überwinden und dann alle möglichen Metamorphosen annehmen. Am Märchen sieht man das. Es ist die europäische Gattung schlechthin. Und manchmal verlassen wir ja sogar diesen Kontinent und gehen dann nach Übersee.
Im Jahr 2000 gab's den legendären Literatur-Express Europa. Das war meine erste literarische Unionsschule: Sechs Wochen mit über 100 Schriftstellern aus sämtlichen Mitgliedstaaten von Lissabon nach Moskau. Das war sehr strapaziös, sehr lehrreich. Ein Crashkurs, der einem klar gemacht hat, dass das vielleicht dann doch alles nicht so romantisch und einfach sein wird, nie war und auch nie sein würde mit der Europäischen Gemeinschaft.
Damals herrschte allerdings noch richtige Euphorie. Das hat sich geändert. Das hat sehr viel mit dem Ost-West-Gefälle zu tun. Und das alles ist natürlich anstrengend zu erleben, anstrengend zu beschreiben und anstrengend politisch zu verhandeln. Denn natürlich hat die Europäische Gemeinschaft selber als Wirtschaftsraum, als Währungsraum wenig mit meinen literarischen Fantasien zu tun. Das versteht sich von selber.
Allerdings ist es natürlich viel leichter und wesentlich zeitsparender, über die Europäische Gemeinschaft zu meckern, anstatt sich mit ihr zu befassen. Das macht tatsächlich sehr viel, sehr viel Mühe, würde ich sagen.
Und, ja, wie es weitergehen wird? Ich bin keine Prognostikerin. Aber, wenn ich, wie Untersuchungen und Befragungen angeblich ergeben haben, höre, dass neun von zehn Befragten auf die Frage, was die Union ihnen bringe, antworten: Free Roaming, finde ich das als Ergebnis gar nicht mal so schlecht.