„Ich wusste immer, was ich nicht will“
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Vor 30 Jahren starb ihr schlimmster Quälgeist, vor zehn Jahren bekam sie den Literatur-Nobelpreis. Mit Herta Müller sprechen wir über poetisches Schreiben angesichts des Grauens, stalinistische Machos und die Gefahren einer müde werdenden Demokratie.
Als der Diktator tot war, weinte Herta Müller. Vor 30 Jahren, am 25. Dezember 1989, wurde Rumäniens Gewaltherrscher Nicolae Ceausescu hingerichtet. Die rumäniendeutsche Schriftstellerin Herta Müller war in Berlin, als sie vom Ende jenes Mannes erfuhr, dessen Schergen sie fast ihr ganzes bisheriges Leben lang drangsaliert hatten. "Ich hatte einen unglaublichen Weinkampf", beschreibt sie ihre erste Reaktion. "Eigentlich habe ich es mir gewünscht. Andererseits wusste ich, ich bin gegen die Todesstrafe. Und das muss man dann mal im Kopf zusammen aushalten".
Zwei Jahre zuvor war Müller aus der damaligen Volksrepublik Rumänien in die Bundesrepublik ausgereist. "Rumänien war ja das finsterste Land in Osteuropa, auch von der Verelendung ausgehend, der Verwahrlosung der Bevölkerung durch diese Armut." Doch schlimmer als die Armut war die Unterdrückung durch den allgegenwärtigen Staatssicherheitsdienst Securitate: "Alle hatten Angst im ganzen Land. Diktaturen funktionieren über die Angst, und alle Leute haben eine eingebaute Angst. Die ist im Körper eingeschlichen und mit der muss man umgehen."
"Einsamkeit und Angst machen große Augen"
Für Herta Müller kam hinzu, dass sie der deutschen Minderheit in Rumänien angehörte. "Wir waren immer die kleinen Nazis", erinnert sich die Literatur-Nobelpreisträgerin. "Rumänien hat seine wirkliche Geschichte geklittert", denn bis kurz vor Kriegsende war das Land ein enger Verbündeter Hitler-Deutschlands gewesen. Herta Müllers Familie war von dieser Geschichte geprägt: "Meine Eltern waren beide kaputt". Ihr Vater ein ehemaliger SS-Mann, Alkoholiker, die Mutter war nach Kriegsende als 17jährige in ein sowjetisches Arbeitslager gekommen. Und Herta, das Einzelkind, das dauernd häuslicher Gewalt ausgesetzt war: "Ich war einsam und ich musste immer viel arbeiten. Und Einsamkeit und Angst machen große Augen."
Ihre Kindheit auf dem Dorf war hart. Doch im einfachen Denken der Menschen, selbst in ihrem Aberglauben, sieht Herta Müller rückblickend eine "ahnungslose Poesie". "Das Schöne ist ja diese Unschuld an der Poesie, weil sie es nicht weiß. Sie hat von sich selbst keine Ahnung." Ihre Einsamkeit endete mit dem Studium in der Stadt, doch damit geriet sie auch ins Visier der Staatssicherheit. "Ich war da mit den falschen Leuten befreundet", das reichte, um sich verdächtig zu machen. Leute, die anders dachten, die Bücher aus dem Westen lasen, "unter denen habe ich mich gut gefühlt. Das war eine Insel im Land."
Doch die Securitate ließ ihr keine Ruhe. Erst versuchte man, Herta Müller als Spitzel anzuwerben, doch sie lehnte ab. "Mein Vater war in der SS, ein Nazi, und ich habe gesagt, mit einer Diktatur darf man sich nicht einlassen." Denn "ich war so angeekelt von diesem Regime und von diesen Funktionären. Man sagt immer ‚Regime‘, aber das sind Personen." Und die Funktionäre der Securitate gingen mit ihr als Frau besonders schäbig um, verbreiteten das Gerücht, sie sei eine Prostituierte: "Das waren stalinistische Machos. Eine Frau war halt nichts wert, eine Frau war Dreck. Und das haben sie mich immer spüren lassen."
Und als Herta Müller immer noch nicht kooperieren wollte, kamen Morddrohungen: "Ich habe auch an Suizid gedacht damals. Als dann die Todesdrohung vom Geheimdienst kam, war ich davon geheilt. Ich wusste, Suizid – niemals!"
"Ich habe auf der Treppe angefangen zu schreiben"
Es blieben die Repressalien im Beruf. Eines Tages war ihr Schreibtisch in dem Betrieb, der sie als Deutsch-Übersetzerin beschäftigte, einfach weg. "Dann habe ich mich halt ins Treppenhaus gesetzt, ich musste arbeiten, um zu zeigen, ich bin auch da." Und dort fing es mit der Schriftstellerei an: "Ich habe auf der Treppe zwischen den Etagen angefangen zu schreiben."
Schließlich stellte sie einen Ausreiseantrag. Das brachte erst neuen Ärger mit den Behörden, doch "dann wollten sie uns loswerden." 1987 übersiedelte Herta Müller in die Bundesrepublik – ein Kulturschock: "Ich kam aus einem grauen, einbetonierten, stillstehenden Land, und mir haben die Augen geschmerzt von den vielen Farben, von der Beweglichkeit dieser Welt, von dem Flirren. Ich empfand das alles als Freiheit." Und beim Gang in ein Restaurant "habe ich geweint, wenn ich gesehen habe, was auf der Speisekarte steht. Ich habe damals begriffen, wie sehr man uns das Leben stiehlt." "Stiehlt" im Präsens, denn Herta Müller hatte Rumänien nicht wirklich hinter sich gelassen:
"Ich habe es im Kopf mitgeschleppt, und es blieb mir gar nichts anderes übrig, als darüber zu schreiben. Über diese Diktatur zu reden und zu zeigen in einem freien Land, was in einer Diktatur mit Menschen passiert. Ich hätte auch gar nichts anderes machen können, ich hatte den Kopf nicht frei, etwas anderes zu machen. Das war nicht Beruf als Schriftsteller, sondern es war einfach mein Zustand, es war meine Selbstverständlichkeit."
"Ich gehe nicht Kartoffeln kaufen als Nobelpreisträgerin"
Vielleicht ist Herta Müller gerade deswegen als Schriftstellerin so erfolgreich; 2009 erhielt sie den Nobelpreis für Literatur. Eine Anerkennung, ja, aber keine Wende in ihrem Leben, sagt sie: "Ich empfinde mich als dieselbe Person, die ich vorher auch war. Ich bin nicht ständig Nobelpreisträgerin, ich gehe nicht Kartoffeln kaufen als Nobelpreisträgerin." Kritikern, die ihr vorwerfen, bei der Schilderung der Schrecken der Diktatur zu sehr auf sprachliche Ästhetik zu achten, entgegnet sie: "Die Zartheit und Poesie machen ja nicht das Grausame, das Gruselige ungeschehen, sondern sie verstärken es."
Der Aufstieg des Rechtspopulismus in Deutschland und anderswo beschäftigt Herta Müller sehr: "Vor 20 Jahren hätte ich nicht gedacht, das man jetzt über Nazis sprechen muss, Faschisten als Faschisten bezeichnet werden dürfen, dass solche Leute im Parlament sitzen." Das gehe ihr vielleicht auf andere Art nahe als Leuten, die keine Diktatur erlebt hätten.
"Wenn die Demokratie müde wird, dann wird es gefährlich"
"Ich wusste immer, was ich nicht will. In menschenfeindlichen Situationen muss man immer wissen, was man nicht will, was man nicht werden will, was man nicht tut, was sich nicht gehört. Man muss auch wissen, was nicht sein darf."
Darum warnt Literatur-Nobelpreisträgerin Herta Müller: "Wenn die Demokratie müde wird, dann wird es gefährlich. Das sehen wir ja jetzt."
(pag)