"Ich bin froh über die Welle junger Feministinnen"
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Isabel Allende ist eine der beliebtesten Schriftstellerinnen der Welt. Ihre Romane wurden mehr als 50 Millionen Mal verkauft. Ihr neues Buch "Was Frauen wollen" beschäftigt sich mit Feminismus. Ein Thema, das die Autorin ihr ganzes Leben begleitet.
Andrea Gerk: Isabel Allende ist eine der beliebtesten Schriftstellerinnen der Welt. Ihre Romane von "Das Geisterhaus" bis zuletzt "Dieser weite Weg" sind in mehr als 40 Sprachen übersetzt worden und haben sich mehr als 50 Millionen Mal verkauft. Die 78-jährige Chilenin hat sich schon als junge Journalistin für die Rechte der Frauen eingesetzt. Auch in ihren Romanen spielen starke, eigenwillige Frauenfiguren eine wichtige Rolle. Deshalb wundert es nicht, dass sie sich in ihrem neuen Buch mit dem Feminismus auseinandersetzt. "Was wir Frauen wollen" heißt es auf Deutsch.
Sie leben in Kalifornien, wo die Coronakrise besonders heftig wütet. Sie selbst gehören mit 78 Jahren zur Hochrisikogruppe, und Sie leben, wie Sie am Ende des Buches schreiben, mit Ihrem Mann Roger sehr zurückgezogen und äußern da in dem Buch auch die Furcht, dass diese erzwungene Nähe vielleicht auch nicht nur Gutes erzeugen mag. Wie geht es Ihnen zurzeit?
Isabel Allende: Ich lebe sowieso ein sehr ruhiges und zurückgezogenes Leben, nicht nur wegen der Pandemie, auch wegen meiner Arbeit. Das Schreiben mach ich ohnehin allein. Die Pandemie hat mein Schreiben nicht beeinflusst, aber mein Leben schon ein bisschen.
Gerk: Der spanische Titel Ihres Buches ist "Mujeres del alma mía", also Frauen meiner Seele. Es geht um Seelenverwandte wie Ihre Mutter Panchita oder die Agentin Carmen. Holen Sie sich manchmal auch Mut und Zuspruch in dieser Zeit von diesen guten Geistern Ihres Lebens?
Allende: Ja, ich erhalte viel Unterstützung von starken Frauen, die mir in meinem Leben geholfen haben, aber auch von den Frauen meiner Stiftung. Das sind Frauen, die viel gelitten haben, die aber sehr mutig sind und sehr fröhlich und immer wieder auf die Beine kommen. Sie leben ihr Leben, sind ein Vorbild für mich und unterstützen mich damit.
Die fünfjährige Feministin
Gerk: Sie schreiben in Ihrem Buch, dass Ihre Mutter mal gesagt hat, Sie seien schon mit fünf Jahren Feministin gewesen, als in Chile noch niemand gewusst habe, was das eigentlich war. Wie hat sich das gezeigt?
Allende: Damals nannte sich das wirklich noch nicht Feminismus. Das Wort gab es in meiner Familie überhaupt nicht. Aber ich war ein wirklich sehr aufsässiges, rebellisches Kind. Ich war sehr erpicht, auf Gerechtigkeit zu achten. Ich habe auch meine Mutter sehr verteidigt, die in diesem patriarchalischen System sehr verletzlich war.
Gerk: Ihre Mutter war auch eher entsetzt über Ihr feministisches Engagement und sagte mal zu Ihnen, Sie würden noch einen hohen Preis dafür zahlen. Was würden Sie ihr denn heute gern dazu sagen?
Allende: Ich hab noch vor ihrem Tod mit ihr gesprochen. Da hab ich ihr gesagt, dass der Preis, den ich dafür bezahlt habe, eigentlich sehr gering war, und dass ich dadurch so viel bekommen habe. Sie hat auch verstanden, dass das die Wahrheit ist. Sie hat gesagt, dass in ihrer Generation niemand so feministisch gewesen wäre wie ich, aber sie ist eben auch 20 Jahre vor mir geboren worden.
Der gut gelaunte Kampf für Frauenrechte
Gerk: Sie waren schon in den 60er-Jahren als Journalistin in der Frauenbewegung aktiv und haben für die feministische Frauenzeitschrift "Paula" gearbeitet. In Ihrem Buch heißt es, "wir schrieben mit einem Messer zwischen den Zähnen". Wie haben Sie diese Zeit erlebt?
Allende: Es war eine wunderbare Zeit, weil wir alle die ganze Zeit das Gefühl hatten, etwas wirklich Wichtiges zu tun. Wir waren mit Spaß dabei. Über die sechs Jahre, in denen diese Zeitschrift existiert hat, haben wir die chilenische Kultur wirklich verändern können. Das war zwischen 1967 und 1973, als dann der Militärputsch all dem ein Ende bereitet hat. Aber wir haben für die Frauenrechte gekämpft – mit einer guten Stimmung, würde ich sagen.
Gerk: In Chile gab es damals auch schon sehr starke soziale Unterschiede, über die Sie sich schon als Jugendliche empört haben. Ich hatte den Eindruck, es geht bei Ihnen bei der Gleichberechtigung um eine sehr umfassende Gerechtigkeit, also nicht nur die zwischen Mann und Frau.
Allende: Ich war mir immer sehr bewusst über die Ungleichheiten. Gerechtigkeit hat mich sehr bewegt und mir war klar, dass nur sehr wenige sehr viel hatten und die meisten nur sehr wenig. Als Frau war ich mir aber darüber bewusst, dass meine Verantwortung dabei darin liegt, für Frauenrechte zu kämpfen. Ich kann mich nicht für alles gleichzeitig einsetzen und mein Thema waren eben Frauen und Mädchen.
Allende freut sich über die Weiterentwicklung des modernen Feminismus
Gerk: Heute geht es jungen Aktivistinnen offenbar nicht mehr nur darum, die gleichen Rechte und Chancen wie Männer zu bekommen, sondern um Queerness, um die Aufweichung der Geschlechtergrenzen und auch um die Inklusion von Rassismus in den feministischen Diskurs. Wie nehmen Sie das wahr und wie verstehen Sie Ihre jungen Nachfolgerinnen?
Allende: Ich bin so froh über diese Welle junger Feministinnen, die andere Bewegungen einschließen – die Bewegung gegen Rassismus, gegen soziale Ungleichheiten, die LGBTQ-Community und so weiter. Es ist so wichtig, dass alle diese Gruppen in der feministischen Bewegung aufgenommen werden und darin aufgehen können. Sogar junge Männer zum Beispiel.
Gerk: Sie sind auch irgendwie von einem Mann zum Feminismus inspiriert worden, nämlich von Ihrem Großvater, der Sie auch zu dem Welterfolg "Das Geisterhaus" inspiriert hat. Kann das auch sein, dass Männer einen zur Feministin werden lassen?
Allende: Ich habe mit meinem Feminismus gegen meinen Großvater reagiert, gegen seine Autorität, gegen das Patriarchat. Was ist denn der Feminismus wirklich? Er ist ein Aufstand gegen das Patriarchat. Es geht darum, das Weltmanagement so zu ersetzen, dass es vom Patriarchat zu einer Herrschaft wird, die gleiche Rechte aufrechterhält. Wo maskuline und feminine Werte den gleichen Wert haben. Da sind wir noch nicht, aber früher oder später werden wir es schaffen, da hinzukommen.
78, aber immer noch jung
Gerk: Sie erzählen in Ihrem Buch nicht nur von Ihren Gedanken zur Gleichberechtigung, es geht zum Beispiel auch ums Älterwerden. Sie selbst haben sich mit 75 noch einmal verliebt und haben geheiratet. Sie erzählen sehr schön, was Ihnen jetzt mit 78 Jahren an dieser Lebensphase gefällt, aber auch, was Sie nicht mehr so gut können: Zum Beispiel zehn Stunden am Stück schreiben. Oder dass Sie Leute, die langweilig oder nervig sind, nicht mehr ertragen. Wenn man Sie jetzt hört oder auch in Ihrem aktuellen Videos sieht, dann wirken Sie unglaublich jung und vital. Wie machen Sie das?
Allende: Ich bin sehr gesund, ich habe Liebe in meinem Leben und bin neugierig auf das, was das Leben zu bieten hat. Ich habe einen Job, ich habe Ziele, ich stehe in Verbindung mit anderen Menschen und ich habe genügend Mittel, mich um mich selbst zu kümmern und auch noch andere zu unterstützen. Das macht mich glücklich.
Ich werde manchmal gefragt: "Wann wirst du denn deine Fackel übergeben?" Und ich sag: Niemals werde ich das machen. Ich werde mit meiner Fackel andere Fackeln anzünden, das gern, aber ich werde sie nicht abgeben. Ich hoffe, aktiv bleiben zu können, bis ich sterbe.
Sinnlichkeit und Feminismus sind keine Gegensätze
Gerk: Spielt denn für diese Vitalität und Lebensfreude auch die Sinnlichkeit eine wichtige Rolle? Sie haben zum Beispiel das Buch "Aphrodite" geschrieben, in dem es um Sinnesfreuden und Verführung geht. Das fanden viele Frauenrechtlerinnen Ihrer Generation eigentlich gar nicht so passend zum Feminismus, aber für Sie ist das offenbar kein Problem, das zu vereinen.
Allende: Ich glaube nicht, dass die Sinnlichkeit dem Feminismus irgendwie entgegengesetzt ist. Ich kann mich doch für meine Rechte als Frau einsetzen und es trotzdem genießen, dass ich Make-up benutze, Mode mag, gern einen schön gedeckten Tisch mit einem Glas Wein drauf habe und dass ich meinen Mann gerne verführe. Warum denn nicht? All das sind doch schöne Sachen, auf die ich nicht verzichten möchte. Die stehen meiner feministischen Aktivität doch in keiner Weise entgegen. Diesen Teil des Frauseins ist so schön, den möchte ich genießen wie die Mutterschaft auch. Ich liebe es, Mutter zu sein.
Gerk: Ist das auch, was Sie jungen Frauen gern mitgeben würden? Dass man Frau sein kann und trotzdem ganz frei und gleichberechtigt?
Allende: Ich muss das nicht weitergeben an die jungen Frauen, denn die wissen das schon und praktizieren das auch. Der Feminismus ist etwas Lebendiges, er verändert sich und entwickelt sich weiter. Die jungen Frauen heute sind anders als noch die meiner Generation. Für sie muss man nicht das Feminine opfern, um Feministin zu sein, man kann das trotzdem genießen. Heute wissen sie, dass man das beides kombinieren kann.
Neuer Januar, neues Buch
Gerk: Ich habe irgendwo gelesen, dass Sie immer Anfang Januar zu einem bestimmten Tag ein neues Buch anfangen, ist das diesmal auch so, sitzen Sie schon an einem neuen Werk?
Allende: Ja, ich fange alle meine Bücher am 8. Januar an. Vergangenes Jahr habe ich wegen der Pandemie sogar zwei Bücher geschrieben, dieses hier über den Feminismus und einen weiteren Roman, der im Dezember erschienen ist. Dieses Jahr habe ich auch wieder ein neues Buch angefangen. Es ist nur gerade wenig Zeit wegen der Promotion für dieses Buch, aber es ist da und es wartet. Ich habe ja auch noch Zeit.
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