Das Buch "Brüder" von Jackie Thomae ist im Verlag Hanser Berlin erschienen und kostet 23 Euro.
Bestimmt die Hautfarbe alles?
05:38 Minuten
Jackie Thomae ist mit ihrem Roman "Brüder" für den Buchpreis nominiert. Es ist die Geschichte zweier Halbbrüder, die nur die Hautfarbe verbindet. Die Autorin ist, wie ihre Figuren, als Kind einer weißen Mutter und eines schwarzen Vaters aufgewachsen.
Jackie Thomae präsentiert ihr neues Buch in der Kantine des Berghain, ein Club, der wie kein anderer für die 90er-Jahre Party-Euphorie im frischvereinigten Berlin steht. In einem solchen Club spielt auch das Buch.
"Das ist der Anfang, das war so ein exzessives Ausgehen, dass man zwei, drei Tage unterwegs war."
Das kurze Aufatmen in den 90ern
Ihre Hauptfigur Mick ist einer der 90er-Jahre Partygänger, ein Lebenskünstler, der sich nicht um ein Morgen schert. Seine dunkle Hautfarbe macht ihn nur noch attraktiver. Ihr seht aus wie aus einer Benetton-Werbung, heißt es einmal im Text über ihn und seine Freunde.
"Es hieß: ich nehme Geld aus der Kasse, zahl es später zurück, es hieß, wir sollten Geld für richtig geile Flyer ausgeben."
Im Publikum sitzen viele Freunde, die mit der Autorin diese Zeit erlebt haben. Für einen kurzen Zeitraum gab es die Vorstellung, so Thomae, dass Kategorien wie Hautfarbe, Nationalität oder sexuelle Orientierung immer unwichtiger werden könnten.
"Wir liefen ja nicht mit einem Manifest herum, dachten aber so – zum Beispiel mischte sich viel mehr die Schwulen und Hetero-Szene, war total egal, ob man schwul war oder hetero."
Erst "Herzblatt"-Autorin, dann Schriftstellerin
Jackie Thomae wuchs mit ihrer Mutter in den 70er-Jahren in Leipzig auf, an den abwesenden Vater erinnerte jeden Tag ihre dunkle Hautfarbe. Sie habe wenig Diskriminierung erlebt, sagt sie, im Gegenteil habe das Gefühl, eingesperrt zu sein, sie und ihre Freunde zusammengeschweißt.
"Unterschiede nicht so groß, nur schon früh klar, ich werde hier auf gar keinen Fall bleiben."
Nach der Wende schreibt die junge Jackie Thomae Musikkritiken für Berliner Zeitschriften und arbeitet eine Weile fürs Fernsehen - "und zwar bei der sehr süßen Sendung Herzblatt."
Sie veröffentlicht erfolgreich Sachbücher übers Frau-Sein und übers Älterwerden. Doch sie sucht weiter nach einer beruflichen Leidenschaft.
"Ich denke mir jetzt Figuren aus"
"Ich wollte fiktional schreiben, ich denke mir jetzt Figuren aus, die mir meine Fragen beantworten – oder auch nicht."
Die Figuren in ihrem Roman müssen die Frage beantworten, ob die Hautfarbe alles bestimmt. Micks unbekannter Halbbruder Gabriel, zieht als erfolgreicher Architekt nach London. Er glaubt, ähnlich wie Mick, dass seine dunkle Hautfarbe keine Rolle spielt.
"Er entkommt dem zunächst, dann holt es ihn wieder ein. Gutes Motiv für eine Geschichte, weil die Dinge einen immer wieder einholen."
Sie selbst habe sich mal mehr, mal weniger mit ihren dunklen Hautfarbe auseinandergesetzt, sagt Jackie Thomae. Als Kind und Jugendliche nervten sie die immer gleichen Fragen. Später in Berlin scheint es in ihrem Umfeld keine Rolle mehr zu spielen. Als sie 42 ist, meldet sich der Vater bei ihr, ein Tierarzt, der in Aachen lebt.
"Jetzt hat sich das Verhältnis, ich sag mal, normalisiert."
Sogar eine Halbschwester existiert, sie war auch auf der Lesung am Vortag. Sie beide seien aber nicht wie die Brüder in ihrem Roman, sagt Jackie Thomae, das ist ihr wichtig zu betonen.
"Keine versteckte Biografie."
Plötzlich bestimmt die Hautfarbe wieder das Leben
Ihre Romanfiguren Mick und Gabriel nehmen für sich Anspruch, was für einen Weißen in einer europäischen Gesellschaft selbstverständlich ist. Sie wollen nicht über ihre Hautfarbe definiert werden und trotzdem bestimmt es immer wieder ihr Leben.
Es ist das Dilemma, das auch in unserem Gespräch mitschwingt - ihre berechtigte Haltung, die Hautfarbe nicht in den Focus zu stellen, meine Scheu, daraufhin weiter nachzufragen, obwohl es eine Rolle spielt – in ihrem Leben wie in ihrem Roman.
"Ich benutzte Gefühle, die ich kenne, ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn man in einem weißen Land wie Deutschland lebt und einen schwarzen Elternteil hat. Das ist, was ich weiß, aber ich leg trotzdem Wert drauf, dass es fiktional ist ..."