Was ist deutsch an Deutschland?
Sie versteht sich als "Bindestrichdeutsche", als Deutsch-Kroatin. Warum die Leistung der Gastarbeiter oft vergessen wird und sie das Wort Migrationshintergrund nicht mehr hören kann, hat Jagoda Marinić in der Sendung "Im Gespräch" erklärt.
Mit dem Begriff Migrationshintergrund kann die deutsch-kroatische Autorin Jagoda Marinić nicht viel anfangen. Marinić bevorzugt den Begriff "Migrationsgeschichte", denn jeder beginne irgendwo:
"Wenn ich irgendwo anders hinkomme, ist es ein Neubeginn, der aber den alten Beginn nicht auslöschen darf. Und in diesem Spagat muss die Gesellschaft im Moment leben, das heißt, es wird viel komplexer, Menschen kennenzulernen."
Als "Straßenkind" im schwäbischen Waiblingen
Sie wurde 1977 als Tochter kroatischer Gastarbeiter im schwäbischen Waiblingen geboren. Den Kontakt zu Kindern der verschiedensten Nationen habe sie als "Straßenkind" sehr genossen: "Wir waren Europa."
Diese Kindheit sei das Rückenmark ihrer politischen Arbeit. Schon mit Anfang 20 veröffentlicht Marinić Erzählungen bei Suhrkamp, später wird sie für den Bachmann-Preis nominiert. In ihrem neuen Buch "Made in Germany. Was ist deutsch an Deutschland?" erzählt die Schriftstellerin und Mitgründerin des Interkulturellen Zentrums in Heidelberg von einem Einwanderungsland, in dem der "Migrationshintergrund" künftig normal sein dürfte.
Deutschland sei neben den USA zu einem Land geworden, das sehr viele Menschen anziehe: "Wir können noch gar nicht mit unserer eigenen Attraktivität umgehen und fühlen uns bedroht davon."
Hierarchisches Denken blockiert die Integration
Schwierigkeiten der Integration in Deutschland führt sie auf das in Deutschland sehr verbreitete "hierarchische Denken" zurück.
"Es ist eine lange Tradition, das wir gewohnt sind, Adelsgeschlechter zu haben, nach oben zu schauen. Menschen haben Privilegien, erhalten durch Geburt, und das ist in den Köpfen."
Sie wünscht sich hingegen eine Verbesserung der "demokratischen Erziehung", denn "Demokratie ist eigentlich die Gleichwertigkeit dieser Menschen, die Chanchengleichheit. Und mich interessiert, was der Mensch gegenüber kann."
Marinić betont aber auch, wie gerne sie inzwischen in Deutschland lebe, Deutschland werde lebendiger. Geschockt zeigt sie sich von der Brexit Entscheidung, die ihr Angst mache:
"Ich will nicht ewig an Grenzen stehen"
"Ich will eigentlich nicht zurück in dieser Kleinstaaterei, ich will auch nicht wieder an den Grenzen stehen ewig, wie gerade in Jugoslawien damals … Ich habe es im Kopf, wie man wirklich gebibbert hat: Lassen die einen durch? Schmeißen die einem nachher den leckeren Schinken in die Mülltonne? Ich glaube, ganz viele Menschen haben vergessen, was diese Freizügigkeit und Freiheit in den Köpfen bedeutet."