Schriftstellerin Kathrin Röggla

Kehrt das politische Lehrtheater zurück?

Die österreichische Schriftstellerin Kathrin Röggla ist Vize-Präsidentin der Berliner Akademie der Künste, aufgenommen am 19.10.2016 auf der Buchmesse in Frankfurt/Main.
Die österreichische Schriftstellerin Kathrin Röggla ist Vize-Präsidentin der Berliner Akademie der Künste. © picture alliance / dpa / Erwin Elsner
Kathrin Röggla im Gespräch mit Janis El-Bira |
"Die Frage nach der Zukunft in Europa gehört überall hin", sagt Kathrin Röggla. Das Theater könne einen wichtigen Diskursbeitrag leisten, ist die Schriftstellerin überzeugt: Nicht nur auf, sondern auch hinter der Bühne müsse eine politische Bewusstwerdung stattfinden.
Es ist eine Diskussion, die eher in den Zwischentönen anklingt, aber doch gerade immer lauter wird: Wieviel Politisierung verträgt das Theater noch, bevor es zur moralinsaueren Lehrveranstaltung wird? Wo die einen das Gefühl haben, das Theater ähnele immer mehr einer Ausgabe der Tagesschau, das sagen die anderen: Genau das braucht es auch – nämlich Weltbezug, Weltdeutung, Wertebildung.

Wertebildung auch durch die Bühne?

Aber kann das Theater wirklich auch heute noch zur Wertebildung beitragen? Am Mittwoch hält die Schriftstellerin und Vizepräsidentin der Berliner Akademie der Künste, Kathrin Röggla, den Eröffnungsvortrag mit dem Titel "Europa hören" beim Theaterfestival "The Future of Europe" am Schauspiel Stuttgart. Im Gespräch mit Deutschlandfunk Kultur betont sie:
"Ich glaube, die Frage nach der Zukunft in Europa gehört überall hin. Sowohl aufs Theater als auch in die Parlamente. Und ich glaube, dass das Theater einen wichtigen Diskursbeitrag liefern kann und dass man das nicht unterschätzen soll. Ich habe aber niemals die Erwartung an Kunst, dass sie eine direkte Direktwirkung sozusagen hat. Es gibt ganz wenige Orte, wo das mal stimmen mag, aber es ist nicht die Aufgabe von Kunst, eine spezifisch politische Wirkung zu erzeugen."
Der Schauspieler und Regisseur Herbert Fritsch spricht am 03.05.2016 in Berlin während einer Pressekonferenz zum vom 06. bis 22. Mai stattfindenden 53. Berliner Theatertreffen.
Der Schauspieler und Regisseur Herbert Fritsch© picture alliance / dpa / Soeren Stache

Die traditionellen Orte des Politischen zerbröseln

Angesprochen auf die Kritik des Regisseurs Herbert Fritsch, der im Deutschlandfunk Kultur sagte, die Politisierung des Theaters diene vor allem der Entlastung der eigentlichen Politik, sagt Röggla:
"Zum einen würde ich nicht von Überpolitisierung sprechen, sondern von Übermoralisierung. Das ist etwas anderes. Zum anderen verstehe ich ihn schon ganz gut, weil wir politisch in einer Situation stecken, dass die traditionellen Orte und traditionellen Institutionen, in denen Politik verhandelt wird, zerbröseln beziehungsweise nicht mehr so funktionieren wie noch vor kurzem – und Ersatzdebatten stattfinden. Nichtsdestotrotz denke ich, dass es auch wichtig ist, dass man den Ort der Kunst auch als einen versteht, an dem über die Gesellschaft nachgedacht wird – vor allem am Theater!"

Theater ist oft patriarchalisch-chauvinistisch

Problematisch findet Röggla hingegen jene Formen des vordergründig Politischen, die vor allem auf Einigkeit zwischen Theater und Publikum abzielten:
"Wenn es heißt, sich einig zu sein oder den moralischen Zeigefinger rauszuholen, ist das für mich noch lange kein politisches Theater, sondern es tut nur so oder es spielt Politisch-sein. Aber (...) das Politische besteht ja auch aus antagonistischen Positionen und aus dem Aushandeln. (Am Theater hat man) sehr, sehr viele sinnliche Ebenen, wo man einsteigen kann, und jede ist für sich auf eine andere Weise politisch. Und dadurch kann ja niemals so eine Art Einheit des Gedankens entstehen, wenn man versteht, wie das eigentlich funktioniert."
Der Schauspieler Fabian Hinrichs spricht am 21.5.2018 bei der Kerr-Preis-Verleihung im Haus der Berliner Festspiele.
Der Schauspieler Fabian Hinrichs spricht bei der Kerr-Preis-Verleihung im Haus der Berliner Festspiele.© Berliner Festspiele / Piero Chiussi
Wichtig findet Kathrin Röggla, dass die Politisierung auf der Bühne auch mit der politischen Bewusstwerdung hinter der Bühne korrespondieren muss. Dabei verweist sie auch auf die Alfred-Kerr-Preis-Laudatio des Schauspielers Fabian Hinrichs, der unter anderem die Verhältnisse kritisierte, unter denen Schauspieler heute arbeiten:
"Es ist ja tatsächlich wahnsinnig hierarchisch und es ist patriarchalisch-chauvinistisch oft. (...) Das muss sich verändern, weil so ist es eigentlich nicht mehr tragbar (...), so kann man als Schauspielerin und Schauspieler nicht mehr arbeiten."
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