"Simbabwe in verschiedenen Farben zeigen"
Die in Simbabwe aufgewachsene Juristin Petina Gappah hat sich vorgenommen, mindestens zehn Bücher in ihrem Leben zu schreiben. Ihr viertes Werk "Die Schuldigen von Rotten Row" zeigt, wie vielfältig und komplex die Gesellschaft in dem afrikanischen Land ist. Eine große Rolle spielt darin die Magie.
Andrea Gerk: Simbabwe hat in letzter Zeit immer wieder für Schlagzeilen gesorgt. Nach dem Rücktritt des 93-jährigen Staatschefs Robert Mugabe verspricht sein Nachfolger nun eine neue Ära für das Land. Petina Gappah ist in Simbabwe aufgewachsen, sie hat Jura in Cambridge und Graz studiert und bis letztes Jahr bei der WTO als Anwältin für internationales Handelsrecht in Genf gearbeitet. Und 2009 erschien ihr erster Erzählungsband, für den sie gleich mit dem Guardian First Book Award ausgezeichnet wurde. Jetzt ist ihr drittes Buch, die Kurzgeschichtensammlung "Die Schuldigen von Rotton Row" auf Deutsch erschienen und hat begeisterte Kritiken bekommen. Zurzeit ist Petina Gappah Stipendiatin des Deutschen Akademischen Austauschdienstes und lebt in Berlin, und jetzt ist sie bei mir im Studio. Guten Tag, Petina Gappah, herzlich willkommen!
Petina Gappah: Danke schön, Andrea!
Gerk: Wie kommt es eigentlich, dass wir dieses Interview auf Deutsch führen können? Kommt das durch die Studienzeit in Graz? Haben Sie da so gut Deutsch gelernt?
Gappah: Ja, ich habe in Graz studiert, aber das war lange, lange her und inzwischen ist mein Deutsch eingerostet. Und dann bin ich wieder in der Lage, Deutsch zu sprechen, weil ich seit März in Berlin wohne, und es kommt langsam wieder. Aber sehr langsam.
Gerk: Ihr Buch jetzt, über das wir sprechen wollen, spielt rund um eine Straße in Harare, die viel mit der Rechtsprechung – denn Sie sind ja eigentlich Juristin – zu tun hat. Und dort, in dieser Rotton Row, ist die Strafkammer beheimatet. Was ist das für eine Gegend, was ist das für eine Straße?
Gappah: Ja, es ist eine der bedeutendsten und wichtigsten Straßen in Harare, es ist eine sehr alte Straße. Und sie heißt Rotton Row, weil es schon eine Rotton Row in London gibt, in Hyde Park. Und wie Sie wissen, war Simbabwe eine Kolonie Großbritanniens. Und die Kolonisten haben diesen Namen gegeben, der sie auch an England erinnerte. Rotton Row ist eine sehr große Straße von sehr historischer Bedeutung für Simbabwe, und es ist auch die Straße, wo das Strafgericht zu finden ist.
"Ich wollte ein ganz großes Bild malen"
Gerk: Jetzt treten in diesen Kurzgeschichten ganz unterschiedliche Leute auf, am Anfang ein Henker, der darüber nachdenkt, wie er das gelernt hat, die Leute baumeln zu lassen, dann nehmen Sie uns mit in einen Frisiersalon, wo Picco Pie sich die Haare flechten lässt, bevor sie nach Europa zurückfliegt, und die Frauen erzählen, dass eine ihrer Kolleginnen ermordet wurde von ihrem Liebhaber. Woher kennen Sie solche Menschen, was hat Sie da inspiriert?
Gappah: Ja, ich wollte wirklich ein großes Spektrum abdecken, ein großes Spektrum von Simbabwe, weil normalerweise die Geschichten, die aus Afrika kommen, immer über die Armut und vielleicht die Tiere sind, "Sissle the Lion" und so weiter. Und ich wollte wirklich ein ganz großes Bild malen, das Simbabwe und Harare in all den verschiedenen Farben zeigt und "complexities", wie man auf Englisch sagt. Und deswegen habe ich versucht, verschiedene Leute zusammenzubringen in eine Sammlung.
Gerk: Eine ganz große Rolle in diesem Buch spielt Glaube und Aberglaube, vor jedem Kapitel findet man ein Bibelzitat, das sowohl auf Deutsch jetzt in der Übersetzung, aber auch in der einheimischen Sprache, in Shona da steht. Und überhaupt geht es ganz viel um Zauberei, da spukt ein Ermordeter so lange herum, weil sein Fall nicht aufgeklärt wird. Was für eine Rolle spielt das tatsächlich im Alltag in Simbabwe?
Gappah: Ich glaube, dass vielleicht 99 Prozent der Leute in Simbabwe irgendeinen Glauben haben. Für die meisten ist es dieser christliche Glaube. Simbabwe ist eine "Christian Nation", sagt man. Aber es gibt auch uralten Glauben und vielleicht ist Aberglaube nicht wirklich die richtige Wortwahl. Diese Glauben sind älter als das Christentum in Simbabwe. Und ich wollte wirklich ein bisschen über diese Glauben schreiben und nachdenken, weil es so wichtig ist in unserem täglichen Verhalten. Ich bin selbst Atheistin, aber ich habe gefunden, dass, wenn ich wirklich über Simbabwe schreiben will, ich auch über diese Glauben schreiben muss, auch wenn die nicht meine sind.
Gerk: Und diese verschiedenen Glaubensrichtungen stehen ja auch in Ihrem Buch da alle nebeneinander.
Gappah: Genau.
Gerk: Und zum Teil glauben die Leute gleichzeitig an verschiedene Sachen.
Gappah: Das ist es, genau. Weil, zum Beispiel wenn man krank ist, betet man und geht auch ins Krankenhaus, aber man geht auch zu einem Prophet oder zu einem Nanga, wie dieser traditionelle Heiler. Und man versucht immer alle Möglichkeiten, um eine Lösung zu finden. Und das ist für mich eine ganz normale Sache, wenn so viele Leute glauben, dass irgendwas funktionieren wird.
"Mein Zuhause ist Harare"
Gerk: Wie sind denn überhaupt Ihre Verbindungen nach Simbabwe? Sie haben vorher erzählt, dass Sie nächste Woche hinfliegen. Sind Sie häufig in Harare?
Gappah: Ja, ich habe ein Haus in Simbabwe und ich bin eine Art "Expatriot". Normalerweise denkt man nicht an "Expatriots" aus Entwicklungsländern, aber das bin ich. Ich arbeite nur in Europa, aber ich habe nur den einen Pass, meinen simbabwischen Pass, ich habe nur das eine Zuhause und das ist Harare. Und für mich ist Simbabwe mein Zuhause.
Gerk: Wie fahren Sie da jetzt hin, nach dem Umsturz und wo jetzt eine neue Ära angekündigt wird? Glauben Sie, dass tatsächlich jetzt eine neue Ära für das Land anbrechen kann?
Gappah: Das glaube ich, weil wirklich … Wir hatten 37 Jahre mit einem Herren, es war wirklich eine Herrschaft, es war kein "Government", sondern eine Herrschaft. Und ich glaube, dass, was immer uns passiert, es sicher besser sein wird als das, was wir erlebt haben.
Gerk: Sie haben ja Ihren Beruf als Juristin jetzt mal zwischendrin aufgegeben, für dieses Stipendium und um zu schreiben. Das ist schon Ihr drittes Buch. Was hat Sie da so gepackt, an der Literatur? Was kann denn die Literatur, was das Recht, was die Juristerei nicht kann?
Gappah: Huh, das ist schwierig zu sagen, denn ich sehe mich nicht nur als Juristin oder nur als Schriftstellerin, sondern ich habe beide Füße in einer von diesen … Ich bin Schriftstellerin und auch Juristin. Und momentan bin ich nur Schriftstellerin. Ich habe mein viertes Buch geschrieben, als ich hier in Berlin war, aber vielleicht gehe ich in der Zukunft wieder in den Bereich Jura.
Gerk: Und dieses vierte Buch, was Sie jetzt geschrieben haben, hier in der Zeit beim DAAD in Berlin, worum geht es da? Wird das auch wieder so ein humorvoll-geheimnisvolles Buch?
Gappah: Es ist ein historischer Roman und es geht um den schottischen "Explorer" David Livingstone. Und ich schreibe über seinen afrikanischen Begleiter. Die haben seinen Körper über neun Monate getragen, dass sie ihn in England begraben konnten. Und ich habe mich immer für diese Reise interessiert und jetzt habe ich es als Roman geschrieben.
Gerk: Sie haben irgendwo gesagt, dass Sie zehn Bücher schreiben wollen!
Gappah: Das stimmt! Jetzt habe ich vier Bücher geschrieben und, ja, ich habe sechs weitere, die ich schreiben will! Mindestens sechs weitere!
"Jede Sprache ist eine Perspektive auf die Welt"
Gerk: Und Sie schreiben ja auf Englisch.
Gappah: Ja, ich schreibe auf Englisch, weil für mich Englisch eine Art afrikanische Sprache geworden ist. Wir sind von Briten kolonisiert worden und sie haben uns diese Sprache gegeben, aber es ist nicht Englisch von Großbritannien, es ist ein Englisch, das vermischt ist mit unserer eigenen Sprache. Es ist eine Art Simglisch, so nenne ich das. Und ich schreibe sehr gerne auf Shona, aber nur Dialoge. Zum Beispiel habe ich jetzt ein Theaterstück auf Shona geschrieben. Für mich ist diese Mischung wichtig, ich kann auf Englisch schreiben und auch auf Shona schreiben.
Gerk: Sie haben in dem Buch eine sehr schöne Stelle, da geht es um einen Shegwambo, das ist so ein Gnom, sage ich mal. Und dann schreiben Sie aber, dass man gar nicht so richtig ins Englische oder Deutsche übersetzen kann, was das ist, weil – und das Zitat finde ich sehr schön – das Shona von geradezu krankhaft wucherndem Einfallsreichtum sei. Was kann denn diese Sprache?
Gappah: Oh my goodness! Ich liebe Sprache, denn jede Sprache ist eine Perspektive auf die Welt. Und die Franzosen zum Beispiel sind sehr "polite", sehr …
Gerk: Höflich.
Gappah: … höflich und, ja … Und die Deutschen, glaube ich, stehen sehr auf Logisches. Und das sieht man auch in der Sprache. Und Shona, oh my goodness. Wir haben so viele Konzepte, die nicht ganz gut übersetzbar sind, zum Beispiel all diese magischen Figuren. Es ist wie J. K. Rowling, die das ganze Bild gemalt hat, so viele Shegwambos und Shibobobos und so viel von diesen verschiedenen Arten von Magie.
Gerk: Also spielt ja diese afrikanische Tradition da doch auch in Ihrer Literatur eine große Rolle. Aber ich habe irgendwo gelesen, Sie möchten nicht als afrikanische Autorin bezeichnet werden. Warum nicht?"Humor ist ein Geschenk meiner Eltern"
Gappah: Nein, ich bin keine afrikanische Autorin, ich bin eine simbabwische Autorin. Afrika ist so weit und es ist so breit und es gibt 54 Länder in Afrika. Und ich will über mein eigenes Land schreiben und deswegen sehe ich mich lieber als simbabwische Autorin oder einfach Autorin aus Simbabwe. Oder auch Autorin aus Afrika, aber … Ich bin keine afrikanische Juristin, ja? Das bedeutet überhaupt nichts, ich bin eine Juristin, die aus Afrika kommt.
Gerk: Ihre Geschichten sind nicht nur wortgewaltig und wirklich toll zu lesen, sondern auch voller Humor. Selbst wenn Sie so gruselige Mordgeschichten erzählen, schwingt immer noch etwas Leichtes mit. Haben Sie da auch eine Tradition, auf die Sie sich beziehen, oder gibt es auch in europäischer Literatur etwas, wo Sie sagen würden, das finde ich ganz toll, das ist so vorbildlich für mich?
Gappah: Das ist so nett, danke! Ich glaube, ich schreibe in der Tradition der Familie Gappah, das sind meine Eltern. Beide meine Eltern sind sehr, sehr lustig und für uns ist Humor sehr wichtig, auch wenn böse Dinge passieren, auch wenn nicht so gute Dinge passieren. Und wir sehen immer, auf Englisch sagt man: "the funny side of things".
Gerk: Die lustige Seite.
Gappah: Die lustige Seite, genau. Und für mich ist es ein Reflex, fast ein Reflex, mit Humor zu schreiben, denn das ist ein Familiengeschenk, das ich von meinen Eltern bekommen habe.
Gerk: Petina Gappah, vielen Dank für dieses Gespräch!
Gappah: Danke schön, Andrea!
Gerk: Die Storys "Die Schuldigen von Rotton Row" wurden von Patricia Klobusiczky aus dem Englischen übersetzt, erschienen ist das Buch beim Arche Verlag, 352 Seiten kosten 22 Euro.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.