Schriftstellerin Siri Hustvedt

Verkopfte Mahnerin und Brückenbauerin

11:30 Minuten
Die US-Autorin Siri Hustvedt sitzt bei einer Diskussionsveranstaltung in Köln und lacht in die Kamera.
Sie packt wissenschaftliche Themen kompakt in Essays: Die US-Autorin Siri Hustvedt schreibt unter anderem über die Psychoanalyse. © Picture Alliance / dpa / Geisler-Fotopress / Christoph Hardt
Kim Kindermann und Andrea Gerk im Gespräch mit Joachim Scholl |
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Sie ist eine der wichtigsten Intellektuellen der USA: Von Siri Hustvedt sind nun gleich zwei Bücher auf Deutsch erschienen. Zum Teil keine leichte Kost, finden unsere Redakteurinnen Kim Kindermann und Andrea Gerk.
Joachim Scholl: Paul Auster und Siri Hustvedt sind wohl das berühmteste Schriftstellerehepaar der USA. Mit bislang sieben Romanen, mehreren Essaybänden und auch wissenschaftlichen Arbeiten ist Siri Hustvedt längst aus dem Schatten des Gatten herausgetreten und selbst zum Weltstar geworden. Nun gibt es gleich zwei neue Bücher von ihr: den Roman "Damals" und eine Essaysammlung unter dem Titel "Eine Frau schaut auf Männer, die auf Frauen schauen". Eine Frau schaut auf Männer, die auf Frauen schauen, das klingt nach einer Art Spiegelprinzip. Was genau ist das für ein Buch, was macht Siri Hustvedt da?
Kim Kindermann: Sie spannt einen riesigen Bogen in ihren Essays, in zwei Teile ist dieses Buch unterteilt. Im ersten Teil geht es um die Welt der Kunst und wie wir darauf schauen, wie wir wahrnehmen, wie wir vom Ich auf das Wir übertragen und vom Wir auf das Ich – und damit verbunden auf Geschlechterbilder.
Damit dann auch wieder verbunden, wie Frauen wahrgenommen werden in einer Welt, die immer noch vom männlichen Blick dominiert wird. Und Kunst, sagt sie, ist die Bitte, von einem anderen gesehen und verstanden und erkannt zu werden. Damit wickelt sie auch immer sich selbst ein.
Sehr beeindruckend fand ich einen Text über Louise Bourgeois und ihre Arbeiten "Cells". Da vermengt sie wirklich das Biographische der Künstlerin mit dem Blick auf Frauen und zurück zu sich selbst. Wahnsinn, völlig beeindruckend, ich war echt weg.
Im zweiten Teil geht es dann um Neurobiologie. Und das sind Vorträge, die Hustvedt selbst vor Fachpublikum gehalten hat. Sie beschäftigt sich mit ihrer Arbeit mit psychisch Kranken, die sie selbst unterrichtet im Schreiben. Sie schreibt über Depressionen, über die eigene Synästhesie.
Diese Essays, die sind unterschiedlich lang, mal an ein breites Publikum adressiert, dann an ein kleinere, aber diese Vermengung von Geistes- und Naturwissenschaften, die passt perfekt zum Wirken dieser Schriftstellerin. Insofern dieses Spiegelprinzip, das Sie da eben angesprochen haben, das kommt da super zum Wirken. Und das ist so, seitdem sie 2001 das Buch "Die zitternde Frau – eine Geschichte meiner Nerven" geschrieben hat. Da hat sie ihr eigenes Leiden zu erforschen versucht.

Bereit für ein Interview über Poesietherapie

Andrea Gerk: Das fand ich wirklich eines ihrer besten Bücher, weil da auch im Kern zusammenkommt, was sie versucht, mit erzählerischen Mitteln auch wissenschaftliche Selbsterforschung zu betreiben. Und ich habe sie aufgrund dieses Buches auch mal für ein Interview angefragt. Sie gibt immer nur ganz wenige Interviews, wenn sie auf Tour ist, da war sie mit "Sommer ohne Männer" hier.
Dann habe ich aber über die Pressestelle gesagt, ich will nur mit ihr über Freud und Poesietherapie sprechen, weil ich gerade dazu recherchiert habe. Und da hat sie sofort, quasi innerhalb von einer halben Stunde zugesagt. Ich konnte sie eine ganze Stunde dazu befragen, und das war wirklich beeindruckend, weil ich alle Fragen auf Deutsch stellen konnte – sie versteht perfekt Deutsch. Sie ist wirklich eine imposante Erscheinung.
Kindermann: Dieses Doppelgängerprinzip, nach dem sie funktioniert – als Schriftstellerin und auch als Forscherin – das will sie auch explizit. Sie will Brücken zwischen Natur- und Geisteswissenschaftlern bauen, sagt sie immer wieder. Indem sie alles vermengt, fordert sie immer wieder auf, neu hinzugucken, selbst die eigene Perspektive zu ändern. Das ist genial und es geht ihr wirklich explizit darum, zu sagen, es gibt keine Trennung zwischen Geist und Gehirn, zwischen Gen und Umwelt und zwischen Mann und Frau. Das will sie aufheben.
Scholl: Findet sich denn dieses Spiegelprinzip auch in "Damals"?
Gerk: Ja, auf jeden Fall, sogar auf mehreren Ebenen. Und ich habe auch noch mal in ihre ersten Romane reingelesen. Da ist das alles schon angelegt. Das sind Themen, die auch wiederauftauchen, wenn man an "Die Verzauberung der Lily Dahl" oder "Die unsichtbare Frau" denkt, ihren allerersten Roman. Da spielt eine junge Frau, eine Wiedergängerin in "Damals" auch schon mit Geschlechteridentitäten. Und darum geht es auch diesmal, es gibt Kontinuitäten einer Persönlichkeit.
Es geht um Spiegelungen in der Zeit, wie nehme ich mich als älterer Mensch in meiner Jugend wahr, wenn ich zurückblicke. Es geht wieder um den Kern, was macht Identität aus.

Männer schwadronieren über eigene Höhenflüge

Scholl: Und sie schaut auch auf ihr eigenes Ich, auf die jüngere Siri Hustvedt, in diesem Roman.
Gerk: Genau, am Ende des Buches heißt es, sie zeichnet ein Bild der Künstlerin als junge Frau. Und zu Beginn ist sie selbst, sie spielt mit diesem Selbst, über 60 und besucht ihre 94-jährige demente Mutter. Da findet sie ein Notizbuch aus der Zeit, als sie 23 war und 1979 nach Manhattan kam. Sie schiebt ein Jahr ihr Stipendium für das Studium auf, weil sie einen Roman schreiben will. Den lesen wir auch in dem Roman, der geht um eine Detektivgeschichte, die sich ich am wenigsten interessant fand.
Sie haust in einem Apartment, belauscht die Nachbarin, die irgendwelche obskuren Treffen veranstaltet, sie trifft zahlreiche Männer, die sie zum Teil mit Gewalt bedrohen. Und es geht auch wieder darum, wie Männer und Frauen miteinander umgehen, wie sie sich spiegeln.
Zum Beispiel dann wenn sie die Männer mit ihren eigenen intellektuellen Höhenflügen zu schwadronieren. Und wenn sie mal Marx zitiert, sagt der Mann, mit dem sie gerade ausgeht, du bist ein komisches Mädchen. Also diese intellektuelle Herablassung, da spielt sie sehr schön damit.
Kindermann: Ja, vielleicht auch ganz wichtig, diese Ungleichbehandlung von Männern und Frauen. Das ist ihr Lebensthema, wenn man so will. Diese Genese von der Autorin zur Schriftstellerin zur Forscherin. Und das hat angefangen mit dieser eigenen Krankheit.
Das passt wunderbar in die Essays, weil interessanterweise spielt sie darin mit ihren literarischen Figuren. Die tauchen auch auf, die nimmt sie, die zieht sie stellenweise ran als Zitat, um ihre eigene Position zu verstärken. Also dieses Verwischen von Grenzen, diese verschiedenen Positionen einnehmen, gilt für die Essays auch allemal.
Gerk: Und dieses Mal macht sie es auch ganz explizit, weil die Hauptfigur heißt S. H. wie auch Sherlock Holmes, um den es in diesem Detektivroman geht. Das sind diese Typen, die immer auftauchen und über die auch geschrieben wird. Also es geht eben darum, wie ich schon sagte, wie nimmt die andere Erzählerin ihr jüngeres Ich wahr.

Viel Inhalt in die Essays gepackt

Scholl: Das klingt jetzt aber auch so, als ob die Essays eine Art theoretischer Begleittext sind zu der Fiktion.
Kindermann: Unbedingt. Ich finde, die zwei Bände, die ja fast zeitgleich erschienen sind, die kann man auch parallel lesen. Sie schreibt zum Beispiel in dem Buch auch über ihre eigene Werdung: Wer bin ich, wo komme ich her? Und wenn man das Buch zu Ende gelesen hat, dann erfährt man, dass so vieles zurückgeht auf ihre eigene Psychoanalyse.
In ihren Essays schreibt sie zum Beispiel auch über Psychoanalyse, über Freud. Man kann immer wieder schauen, woher kommt ihr Interesse, was motiviert sie. Und insofern legt sie auch immer ein bisschen den Finger in die Wunde, dass sie zum einen sagt: Frauen und Männer werden immer noch ungleich behandelt, da müssen wir weiter hingucken, wie gehen Hirnforscher damit um – und das vermengt sie großartig miteinander.
Scholl: Muss man denn beides kennen, um die Autorin zu verstehen?
Gerk: Muss man nicht. Ich persönlich lese wahnsinnig gerne Essays, weil sie in kurzer Form einen extrem anregen können. Man kann die Romane auch ohne all diese Referenzsysteme verstehen, die sie da anspielt. Ich verstehe sicher auch nicht alles, da steckt Philosophie, Literatur, alles Mögliche drin. Aber sie ist auch einfach eine gute Erzählerin und erzählt packende Geschichten. Man kann das auch ohne diesen Hintergrund lesen.

Literatur die auch fordert, nicht nur unterhält

Scholl: Je intellektueller Autoren sind, desto mehr neigen sie dazu, diese Intellektualität in ihre Romane einzubauen. Das kann toll sein, kann aber auch manchmal ein bisschen an die Grenze gehen oder den Roman überfrachten. Wie funktioniert das bei "Damals"?
Gerk: Also am Anfang fand ich es diesmal auch etwas bemüht und hab mich ein bisschen schwergetan reinzukommen. Ich hatte auch manchmal den Eindruck, sie stellt eine These auf, irgendeinen Gedanken, was während des Erlebens formlos ist. Dann versucht sie das erzählerisch zu veranschaulichen. Aber das löst sich dann irgendwie auf. Ich bin irgendwie sehr gepackt gewesen. Ich habe gemerkt, man muss das lesen, wenn man Zeit hat und auch mal 100 Seiten am Stück lesen kann und auch aufmerksam ist.
In ihren früheren Romanen wie "Sommer ohne Männer" oder "Was ich liebte" ist dieses Interesse und ihre Erkenntnisse an der Wissenschaft nicht ganz so vordergründig. Aber sie sagt auch in "Damals", ich schreibe nicht nur, um zu erzählen, ich schreibe, um zu entdecken. Das finde ich spannend, weil so geht es einem auch als Leser. Das ist nicht eine Art von Literatur, bei der man nur unterhalten wird. Man ist schon sehr gefordert, aber man wird auch reich belohnt.
Kindermann: Ja, fordernd, das passt total gut. Ich finde, der Begriff passt für die Essaybände und für die Sachbücher allemal. Die sind spannend, die sind lehrreich, aber ich muss sagen, man kann das Buch nicht in einem Rutsch durchlesen. Ich habe es probiert, da ist man ganz schnell erschöpft, weil sie sprunghaft ist und argumentiert assoziativ. Sie setzt auch vieles voraus, sie zitiert Forscher, Kunstkritiker, Denkschulen, immer ohne Rückverweise –das macht das Lesen oft ein bisschen mühsam.

Es fand sich kein Rezensent

Scholl: Diese Art von Wissenschaftlichkeit und Literatur ist ein hochinteressantes Konzept, ziemlich einmalig in der Gegenwartsliteratur, das miteinander zu verknüpfen und auf diese Weise zu verbinden. Wobei ich persönlich gestehen muss, dass ich vergeblich versucht habe, ihr Sachbuch "Die Illusion der Gewissheit" zu lesen, wo sie auch diese ganzen neurowissenschaftlichen Erkenntnisse entwirft– es war mir zu hoch.
Kindermann: Ja, wir haben hier zum Beispiel auch Probleme gehabt, tatsächlich Rezensenten zu finden. Wir haben einen sehr klugen Kollegen, der hat das Buch zurückgegeben und gesagt, ich scheitere daran. Ich finde toll, was sie macht, Brücken bauen ist toll. Aber diese Rolle der Mahnerin, die immer dazu auffordert, den Blick zu weiten, Naturwissenschaften zu öffnen, das ist auch letztlich nicht so neu.
Oliver Sacks, der hat es mit seinen Fallgeschichten vorgemacht – und zwar genial. Da hat er schon gezeigt, was in unserem Kopf passiert, das ist nie losgelöst von unseren Biographien, von unserer Herkunft und von unserem Körper zu verstehen.
Da passt Siri Hustvedt rein, aber ich finde Siri Hustvedt ist mir an anderer Stelle doch zu komplex, zu verkopft. Und da hätte ich mir an mancher Stelle ein mutigeres Lektorat gewünscht.
Gerk: Ich finde auch, manches ist sehr, sehr kompliziert. Aber auch das ist bei ihr Programm, sie sagt, man kann heute nicht mehr mit einer wissenschaftlichen oder geisteswissenschaftlichen Disziplin die Komplexität unseres Lebens erfassen. Und sie versucht tatsächlich, so eine Botschafterin für dieses Anliegen zu sein. Sie unterrichtet zum Beispiel auch Mediziner und Wissenschaftler, und ich fühle mich ganz gerne auch mal überfordert.

Siri Hustvedt:

"Damals"

Aus d. Engl. v. Uli Aumüller und Grete Osterwald
Rowohlt Verlag, Reinbek 2019
448 Seiten, 24 EUR

"Eine Frau schaut auf Männer, die auf Frauen schauen"
Aus d. Engl. v. Uli Aumüller und Grete Osterwald
Rowohlt Verlag, Reinbek 2019
528 Seiten, 26 Euro

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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