"Erfreulich, dass sie eine Europäerin ist"
Annegret Kramp-Karrenbauer steht als neue CDU-Chefin für Kontinuität. Aber was bedeutet das für die Europäische Union - hat "AKK" den richtigen Blick für die Probleme? Darüber haben wir mit der Schriftstellerin Marlene Streeruwitz gesprochen.
Liane von Billerbeck: Nun hat die CDU also eine neue Vorsitzende, und übers Wochenende konnten sich die Unterstützer von Friedrich Merz und Jens Spahn ein wenig Zeit nehmen, sich mit Annegret Kramp-Karrenbauer vielleicht nicht anzufreunden, aber die Tatsache, dass sie es nun geworden ist, sacken lassen. Wir suchen heute den Blick von außen und wollen auch wissen, was die Wahl für Europa und die Europäische Union bedeutet, und haben und deshalb mit der österreichischen Schriftstellerin Marlene Streeruwitz verabredet, linke Feministin, die in ihren Texten auch immer politische Themen behandelt. Ihr bislang letzter Roman heißt "Yseut". Frau Streeruwitz, ich grüße Sie!
Marlene Streeruwitz: Ich grüße Sie, Frau Billerbeck!
von Billerbeck: Vor der Wahl haben Sie gesagt, mir wäre ja eine Frau lieber an der CDU-Spitze. Nun ist es eine Frau geworden, "Wieder ein Mädchen", hat hier in Berlin die "TAZ" getitelt. Freut sich die Feministin Streeruwitz auch nach der Wahl, rückhaltlos über AKK?
Streeruwitz: Feministinnen freuen sich nie rückhaltlos, aber es ist natürlich für die Repräsentation auf jeden Fall ein Vorteil, wenn eine Frau in der Repräsentation sichtbar bleibt und das weiterführt. Ich glaube auch, dass die Versammlung der unglaublich widersprüchlichen Sinneinheiten, die so eine sogenannte Volkspartei in sich vereinigt, da besser aufgehoben ist als bei den anderen. Die Kandidaten haben doch sehr Eindeutigkeiten an den Tag gelegt und es vielleicht auch deshalb versäumt.
Ist sie eine von ihnen in der CDU?
von Billerbeck: Das heißt, es ist genau das, was Sie in ihr als Vorteil sehen, was Frau Kramp-Karrenbauer auch selbst getwittert hat. Die hat nämlich geschrieben: "Als Parteivorsitzende werde ich dafür sorgen, dass wir wirtschaftsliberale, konservative und christlich-soziale Positionen in der Politik der CDU schärfen." Typische Politikerinnensprache, aber das heißt, ich bin eine für euch alle in der CDU, oder?
Streeruwitz: Ja, das können die doch, die Mädeln. Das kann sie sich vornehmen. Das ist ja vorgeführt worden. Das hat auch den Hass ausgelöst, glaube ich, auf Frau Merkel. Und da wird sie ihren Weg finden müssen. Was erfreulich ist, ist, dass sie eine Europäerin ist, dass sie das auch so sagt. Ich fand, dass sie bei ihrer Rede auch gegendert hat, das hat mich sehr gefreut, das haben andere nicht gemacht. Das sind diese Kleinigkeiten, die einfach aufweisen, dass der Weg ein bisschen fortschrittlicher ist, als wenn jetzt nun ein Wirtschaftsfachmann an die Macht gekommen wäre, ein Millionär.
Kramp-Karrenbauer: Keine Feministin im klassischen Sinne
von Billerbeck: Nun sind wir ja gespannt, was aus der CDU wird. Ist denn Frau Kramp-Karrenbauer – Sie haben schon ein paar Positionen, also sagen wir, eine Europäerin haben Sie sie genannt – erwähnt. Aber ist denn eine Frau Kramp-Karrenbauer für Sie auch in anderen Positionen die gute Besetzung? Also ich denke nur mal an Ihre Meinung zur Ehe für Homosexuelle, für gleichgeschlechtliche Paare. Da ist sie ja dagegen.
Streeruwitz: Sagen wir mal, die Frau Kramp-Karrenbauer ist sicher keine Feministin im klassischen Sinn. Sie ist auch keine Queer-Vertreterin. Ich nehme das auch alles gar nicht so ernst, solange die Position insgesamt offen ist. Dann kann nicht so viel passieren, wie das bei uns ja längst geschehen ist, nämlich durch das Zuziehen zum Beispiel der Geschlechterposition, jede Liberalität in Fragen der Geschlechtergerechtigkeit einfach aufzugeben. Das scheint mir hier nicht der Fall. Insofern ist das eine völlig andere Situation als die, die sich in Österreich vorfinden lässt.
von Billerbeck: Da haben Sie die österreichischen Erfahrungen angesprochen, also mit dem Wandel einer konservativen Volkspartei. Ist das auch eine Blaupause? Sollte man sich das in Deutschland sehr genau ansehen?
Die neue Chefin wird einen großen Schirm aufspannen müssen
Streeruwitz: Das fände ich schon sehr gut. Allerdings mit einem kleinen Handbuch der Kultur, weil es ja eine völlig andere Entwicklung ist, ein ganz anderer Weg, nicht vergleichbar. Wir haben eine benevolente Weiterführung des Rassismus in Form des Antisemitismus. Die Duldung des im Antikommunismus aufgegangenen Antisemitismus, das kommt halt jetzt heraus, wo es keinen Antikommunismus mehr braucht. Das ist die Ernte, die wir hier jetzt haben, und es ist die Frage, wie das in Deutschland ausgehen wird mit der AfD und mit dem Versuch, wieder kollektive Identitäten anzubieten.
von Billerbeck: Sie haben die AfD erwähnt, die ist ja nun etwas, worauf andere Parteien sehr genau schauen, manchmal könnte man auch sagen, starren. Welche Rolle wird das Erstarken der AfD für die CDU und ihre Vorsitzende spielen? Was meinen Sie, wie werden die da agieren?
Streeruwitz: Ich finde es sehr altmodisch, in der Politik immer auf die anderen zu schauen. Das ist diese Geschwisterproblematik, die eigentlich noch in die Monarchien gehört, in denen die Audienzen beim Kaiser entschieden haben, ob jetzt wer das Wahlrecht bekommt und wer nicht. Und ich denke, dass es hier eine Emanzipation geben muss. Und die machen ihre eigene Sache. Es ist sowieso schwierig genug, diese Klientel unter einem Schirm zu vereinigen. Ich halte es auch nicht mehr zeitgemäß. Aber wenn es nun sein soll, wird Frau Kramp-Karrenbauer eben diesen Riesenschirm aufspannen müssen. Aber sie muss schauen, dass der groß ist und undurchlässig und nicht, was die AfD für einen Schirm hat. Wir wissen, dass die Medien die Rechten gut mit aufgebaut haben. Aber bei uns zum Beispiel, wo eine ganze Kultur daran beteiligt ist, mit der Aufmerksamkeit auf die Rechten, in einer Art ängstlicher Aufregung denen immer zuzuschauen. Das hat fast was Sexualisiertes gehabt. Ich würde das nicht machen.
von Billerbeck: Eine Person haben wir noch gar nicht erwähnt in unserem Gespräch. Die spielt ja in der CDU jetzt zwar nicht mehr als Vorsitzender eine Rolle, aber sie ist immer noch die starke Frau, nämlich die Bundeskanzlerin, die es ja auch geschafft hat, irgendwie die Männerbünde so einzuhegen, dass eben nach ihr auch wieder eine Frau in dem Spitzenamt ist. Merkel bleibt ja noch bis 2021, wenn es denn so bleibt, Bundeskanzlerin. Werden Sie sie vermissen, wenn sie dann nicht mehr in diesem Amt ist?
Merkels beeindruckende Entwicklung
Streeruwitz: Ich bin erstaunt, wie sich diese Person vor unseren Augen entwickelt hat und wie sie ihr moralisches Zentrum doch immer mehr herausarbeiten konnte, und dass eigentlich 2015 in dieser Bereitschaft der Aufnahme eigentlich gegipfelt hat. Das finde ich natürlich beeindruckend. Ich weiß nicht, ob ich alles richtig finde, aber es ist beeindruckend, dass eine Person das schafft. Ich weiß gar nicht, ob das dicke Haut ist oder Indolenz oder was immer. Jedenfalls kenne ich das so kaum, und Männer machen das auch gar nicht. Obwohl, wir haben ja jetzt diesen jungen Kanzler, der sich vor unseren Augen zum Erwachsenen entwickeln muss. Mal sehen, wie das ausschaut. Aber das war jetzt nicht unähnlich. Und ich glaube schon, dass sie für eine gewisse, ich sag jetzt mal, staatsmännisch halt dasteht, die, glaube ich, Männer nicht mehr liefern können. Und da hat sie eine schöne Mittelposition eingenommen und uns vorgeführt, dass die Verantwortlichkeit auch ein ganz ordentliches, freundliches und spießiges Gesicht haben kann. Das ist schon zu schätzen.
von Billerbeck: Einschätzungen waren das von der österreichischen Schriftstellerin Marlene Streeruwitz, nach der erneuten Wahl einer Frau, Annegret Kramp-Karrenbauer, als Vorsitzende der CDU. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Streeruwitz: Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.