Wie das Internet das platte Land belebt
Digitale Informationstechnik soll der Abwanderung aus ländlichen Regionen entgegenwirken − durch verbesserte ärztliche Versorgung und Mobilität sowie neue Arbeitsmodelle. Vom "Landleben 2.0" profitiert auch Instrumentenbauer Jens Ritter in einer pfälzischen Kleinstadt.
Seine Kunden kommen aus Nashville, Los Angeles, Seoul oder Tokio, die Büroarbeiten lässt er in Antwerpen erledigen, aber seine Werkstatt hat der Instrumentenbauer Jens Ritter in Deidesheim, einem idyllischen Kleinstädtchen in der Pfalz. Kostbare Ahornplatten aus dem äußersten Nordwesten der USA lehnen an der mit Sägespänen gepuderten Werkbank. Einige Dutzend E- und Bassgitarren bauen Jens Ritter und ein Kollege jedes Jahr. Es sind viele Tausend Euro teure Einzelanfertigungen, manche sogar mit Diamanten besetzt. Prince und George Benson haben sie gekauft, auch Musiker von Madonna oder Christina Aguilera.
"Ohne das Internet hätte ich natürlich hier auf’m Dorf überhaupt keine Chance auf dem Weltmarkt. Wir haben so ne Standard-Website und die Links haben im Prinzip die Firma bekannt gemacht. Wenn das Instrument rausgeht in die Welt und dann verlinkt der Kunde unsere Firma mit seinem Instrument und dann fragt ein Zuschauer: Wo gibt’s das? Vor 20 Jahren hätte er sagen können: Hier, kauf Dir nen Flugticket und flieg nach Deutschland, fahr an die Weinstraße und das hätte natürlich keiner gemacht. Aber auf die Website kann jeder gehen."
Auf der Website ist jedes Instrument mit Foto, Video und Sound verewigt. Musiker, die sich in eine dieser Gitarren verlieben, kommen dann tatsächlich in die Werkstatt. Und das oft nicht nur einmal.
"Wir hatten schon diverse Promis hier in Deidesheim (lacht). Das erste Mal kommen sie eigentlich ausschließlich wegen der Instrumente. Man kennt ja als Fremder die Gegend nicht so. Und wenn man aber hier ist, dann wird man so ein bisschen vom Flair einfach gekescht. Wir haben jetzt mittlerweile Kunden, die aus aller Welt hierher fliegen und sich dann nen schönen Deidesheimer Saumagen gönnen und ein Instrument bestellen. Aber ohne das Internet hätte ich das hier nicht überlebt."
Landleben 2.0
Jens Ritters Erfolg ist ein Fall ganz nach dem Geschmack von Fachleuten, die auf eine Wiederbelebung schrumpfender Regionen durch Informationstechnik setzen. Schon ist vom "Landleben 2.0" die Rede oder von "smart rural areas". So heißt auch ein millionenschwerer Forschungsschwerpunkt des Fraunhofer-Instituts für experimentelles Software-Engineering in Kaiserslautern. Peter Liggesmeyer ist dort der Chef. In Laborexperimenten und zwei rheinland-pfälzischen Testregionen will er die Chancen ausloten, die der IT-Einsatz für die ärztliche Versorgung, für neue Arbeitsmodelle und Mobilität im ländlichen Raum hat.
Zum Beispiel mit einem sogenannten Linienfrachtbus.
"Das ist das alte System Postkutsche und die Motivation dahinter ist im Grund genommen die gleiche, nämlich dass sich in dünn besiedelten Bereichen Personenbeförderung allein und Paketbeförderung allein auf der anderen Seite oft nicht rechnen, es also Sinn macht, die beiden zusammen zu führen und gegebenenfalls auch noch weitere effizienzsteigernde Maßnahmen hinzuzufügen."
Die letzten Kilometer ins entlegene Dorf sollen dann Privatleute mit ihren Autos übernehmen – quasi nebenbei auf dem Rückweg vom Einkauf oder von der Arbeit und gegen geringe Bezahlung.
Angebot und Nachfrage bündeln
Die Idee ist alt, ihre Gestalt aber sehr modern: Eine Smartphone-App soll Angebot und Nachfrage bündeln. Auch regional erzeugte Lebensmittel könnten so einen direkten Weg vom Erzeuger zu Endkunden in benachbarten Dörfern finden. Voraussetzung für all diese Ideen ist ein zuverlässiger und schneller Internetzugang – per Kabel und auch mobil. So etwas hat noch längst nicht jedes Dorf, im rheinland-pfälzischen Hinterland liegt die Versorgungsrate unter 20 Prozent.
Das idyllische Deidesheim hat es da leichter. Auch wenn der Ort klein ist, zum Frankfurter Flughafen sind es nur hundert Autobahnkilometer und für den Internetzugang gibt es immerhin schon DSL-Anschlüsse. Jens Ritter ist damit zufrieden, mehr Technik braucht der Instrumentenbauer nicht für seine globalen Kontakte. Und für die Holzbearbeitung in der Werkstatt erst recht nicht.
"Wir haben keine CNC-Maschinen, wir machen auch keine richtige Produktion hier, wir fertigen eigentlich nur Einzelstücke. Der Klang kommt zu 95 Prozent vom Holz. Viele denken ja, E-Gitarren, das ist Plastik und Elektronik und Lärm, aber wir können eigentlich als E-Gitarren-Bauer den Klang genauer steuern als der Akustiker. Denn der Akustiker muss zusätzlich zum Klang noch Lautstärke erzeugen, und das machen wir mit nem Drehknopf und Verstärker. Die Hightech verbirgt sich eigentlich bei uns in den Händen und im Gehirn. Diese Verbindung ist das, was uns ausmacht."