„Carguero“, so heißt das Gefährt, auf dessen Ladefläche ich sitze und mich durschütteln lasse. Es ist ein Motordreirad mit einer Plane als Dach, drei dicken Reifen mit tiefem Profil und ein paar Eisenstangen als Geländer.
Hier im peruanischen Amazonasgebiet wird es benutzt, um durch den Regenwald in die Goldminen zu fahren. Genau dahin geht unser Weg. Wir: Das sind Hugo Quispe, der Besitzer der Goldmine Linda Dos und ich, die deutsche Journalistin.
Hugo Quispe ist 46 Jahre alt, hat dichtes schwarzes Haar und gehört zu einigen wenigen kleinen Minenbesitzern in Peru, die sogenanntes „faires Gold“ fördern. Ursprünglich kommt er aus den Hochanden.
"Ich blieb, der Amazonas gefiel mir": Hugo Quispe am Eingang seines Minengeländes.© Hildegard Willer
„Ich lebe seit über 20 Jahren hier“, erzählt er. „Ich kam, um einen Bruder zu besuchen. Ich blieb, der Amazonas gefiel mir, der Reichtum hier in Madre de Dios. Ich habe als Landwirt gearbeitet, später dann in der Holzbranche und vieles andere. Seit sechs Jahren betreibe ich eine Goldmine, seit über zwei Jahren ganz legal.“
Illegale Goldsucher verwüsten die Landschaft
„Ganz legal“, das bedeutet, dass sich Quispe an alle Regeln hält, die ihm der peruanische Staat auferlegt. Bald will er sich für ein Zertifikat bewerben, das ihm bescheinigt, dass sein Gold keine Umweltschäden verursacht.
Er gehört zu einem Pilotprojekt der Alliance for Responsible Mining – einer Organisation zur Förderung des kleinen Bergbaus. Hugo Quispe und seine Mitstreiter wollen beweisen, dass es möglich ist, umweltfreundlich Gold zu schürfen. Quispe hat eine Konzession für seine Mine. Das ist keineswegs selbstverständlich, wie sich auf dem langen Weg durch den Dschungel zeigen wird.
Claudia Brück von Fairtrade e. V. spricht sich im Interview in der Weltzeit nicht grundsätzlich gegen Goldabbau aus. „Es geht darum, wie und wo genau abgebaut wird“, sagt sie. „In Schutzgebieten ist es unter keinen Umständen möglich. In anderen Waldgebieten muss aufgeforstet werden. Faires Gold ist möglich, aber der Markt dafür ist noch klein.“
Die Amazonasregion Madre de Dios, in der wir unterwegs sind, liegt im äußersten Südwesten Perus, dort wo Brasilien, Bolivien und Peru aneinander grenzen. Madre de Dios ist bekannt für die Vielfalt seiner Fauna und Flora im Regenwald und seine Nationalparks. Aber nicht nur das: In den letzten 20 Jahren haben illegale Goldsucher Teile der Region regelrecht verwüstet.
Vom Goldschürfen zerstörtes Gelände: Immer mehr Bauern und Tagelöhner aus anderen Landesteilen kamen nach Madre de Dios.© Hildegard Willer
Bilder von mondartigen Landschaften kamen an die Öffentlichkeit, aber trotz Verboten und Kontrollen machten sich immer mehr Bauern und Tagelöhner aus anderen Landesteilen auf den Weg nach Madre de Dios. Denn der Goldpreis stieg in den letzten Jahren zuverlässig. Und mit dem Goldpreis und den illegalen Schürfern nahm auch die Korruption zu.
Razzia mit kurzfristigem Erfolg
Vor meiner Reise in den Regenwald machte ich Station in Puerto Maldonado, wo ich Guimo Loaiza traf. Er ist Ombudsmann für soziale Konflikte in der Region und hat die Entwicklung genau verfolgt.
„Es ist schwierig, eine genaue Zahl zu sagen. Vor vier bis fünf Jahren hieß es, 30 bis 40.000 Menschen seien wegen des Goldgeschäfts nach Madre de Dios gekommen“, erzählt er.
La Pampa heißt das berüchtigtste Schürfergebiet in Madre de Dios, in direkter Nachbarschaft zu einem Naturschutzgebiet. Ein Terrain ohne Gesetz, in dem Arbeitsunfälle, Zwangsprostitution und Totschlag an der Tagesordnung sind.
Im Februar 2019 hat die peruanische Polizei in einer Großrazzia das Gebiet von La Pampa besetzt, die Maschinen der Goldschürfer zerstört und diese vertrieben. Seitdem halten Militärposten Fremde davon ab, die Zone zu betreten. Doch der Erfolg der Razzia war von kurzer Dauer, berichtet Guimo Loaiza.
Die Razzia mit dem Namen ‚Operation Quecksilber‘ hat es geschafft, den Druck auf die Pufferzone des Naturschutzgebietes wegzunehmen, und die illegalen Goldschürfer vertrieben. Aber mit der Zeit wurden es weniger Polizisten und die illegalen Goldschürfer sind zurückgekommen. Jetzt sind sie wieder in La Pampa.
Der Balloneffekt ist eingetreten: Die Goldschürfer sind einfach in andere Zonen gegangen. Sie haben auch legale Konzessionen von anderen Schürfern besetzt, oder erloschene Konzessionen.
Guimo Loaiza
Mit Gold lässt sich gut verdienen
Der Grund, warum dem illegalen Goldabbau nicht beizukommen ist, liegt für Guimo Loaiza auf der Hand. „Der illegale Goldabbau ist hier in der Gegend ohne Konkurrenz“, erklärt er.
„Ein Bauer muss drei Monate oder sogar noch länger warten, bis er ernten kann. Ein Goldschürfer braucht nur ein oder zwei Tage, um seine Investition wieder reinzuholen. In der Landwirtschaft verdient man umgerechnet 15 Euro pro Tag, beim Goldsuchen sind es mindestens 50 Euro.“
Mit diesem Einkommen kann man auch die Polizisten schmieren, damit die still halten. Während der Corona-Pandemie haben sich die illegalen Goldschürfer dann noch weiter ausgebreitet, denn staatliche Kontrollen gab es kaum noch. Das war verlockend, auch für Neueinsteiger.
Parallel dazu suchte die Organisation Alliance for Responsible Mining, mit der Hugo Quispe zusammenarbeitet, nach Mitteln um dem Wildwuchs etwas entgegenzusetzen. Goldminen von Kleinschürfern in den Anden sind bereits für den fairen Handel oder sogar ökologisch zertifiziert worden, wenn sie bestimmte Bedingungen erfüllen. Aber Goldschürfer im Regenwald, die jahrhundertealte Bäume fällen, damit sie an ihr Gold kommen?
"Wir haben bereits sieben Baumarten": Hugo Quispe hat die Bäume mithilfe einer NGO aus den USA als Pilotprojekt angepflanzt.© Hildegard Willer
Weißer Wüstensand soweit das Auge reicht
Unser „Carguero“ fährt zuerst auf einem Holperweg durch wunderbaren Primärwald. Rechts und links erheben sich Bäume, Lianen, Büsche, Sträucher, die Hunderte von Metern in den Himmel ragen. Hier ist der Wald noch ursprünglich – oder fast. Die wertvollen Edelhölzer sind auch hier bereits ausgebeutet worden.
Gut eine halbe Stunde rattern wir durch diesen Zauberwald, bis sich das Panorama brüsk ändert. Da steht kein Baum mehr, sondern nur noch weißer Wüstensand, soweit das Auge reicht. An manchen Stellen haben Büsche sich ihr Terrain wieder erobert, da ein Papaya-Baum, dort eine müde Palme. Aber am erschreckenden Gesamteindruck ändert das nichts.
Die Wüstenlandschaft ist nur unterbrochen von immer wiederkehrenden kleinen oder größeren Wasserlöchern. Hier hat der Mensch Bäume gefällt und die Erde hektarweise umgegraben, um an den wertvollen Goldstaub zu gelangen.
Nach eineinhalb Stunden Fahrt durch die zerstörte Landschaft stoßen wir auf ein Gatter mit einem Schild: „Bienvenido al Proyecto Minero Linda Dos“ steht dort. Willkommen im Minenprojekt Linda die Zweite. Darunter die Nummer der amtlichen Erlaubnis zum Schürfen. Und darunter: „Por una mineria responsable y limpia.“ Für einen verantwortungsbewussten und sauberen Bergbau.
Nur 318 Goldschürfer erfüllen alle Auflagen
Das ist die Mine von Hugo Quispe. Er ist einer von 318 Goldschürfern in Madre de Dios, die alle Auflagen erfüllen und legal schürfen dürfen. Hugo Quispe gehört also zu einer absolut kleinen Minderheit der Goldschürfer. Er will alles richtig machen.
Wir sind hier schon seit mehr als zwei Jahren, ganz legal. Seit 2010 änderte sich das Gesetz und wir durften nur Gold fördern, wenn wir alle Normen beachten: den Wassergebrauch, den Gebrauch der Chemikalien. 2019, haben wir uns endlich formalisieren können und arbeiten nach dem Gesetz. Das war ein langer und schwieriger Weg, der Jahre dauerte. Die Norm war nicht eindeutig.
Hugo Quispe
Nach weiteren zehn Minuten im „Carguero“ gelangen wir zur Stelle, an der Hugo Quispe sein Gold aus dem Boden holt. Es ist eine „Playa“, ein Strand – ein Euphemismus für die Wüstenlandschaft, die uns umgibt, nur durchbrochen von einigen Sträuchern und Wasserlöchern. Es gibt keinen Schatten, die Mittagssonne brennt erbarmlos und die Hitze des Sandes spüre ich sogar durch meine Gummistiefel.
Alle paar Minuten erreicht eine neue Ladung von Geröll und Wasser das obere Ende der Rutsche am Wasserloch.© Hildegard Willer
Auf dem Wasserloch vor uns, einem kleinen Teich ähnlich, steht auf einem überdachten Holzfloß ein Motor, an dem ein langer Schlauch angebracht ist. Der Baggerführer saugt damit die Erde am Ufer ab und pumpt sie durch ein Plastikrohr hoch. Das Rohr führt über Holzgestelle zu einer rund vier Meter hohen Rutsche. Die Holzrutsche ist mit einem schwarzen Vlies belegt.
Alle paar Minuten erreicht eine neue Ladung von Geröll und Wasser das obere Ende der Rutsche und poltert mit voller Wucht nach unten.
Der schlimmste Feind ist das Quecksilber
Der Sand rund um die Rutsche ist zu Schlamm geworden. Im Vlies bleiben die kleinen Steinchen und auch die Goldsplitter hängen. Am Ende des Tages wird das abgenommen und ausgewaschen. Zurück bleibt die „Arenilla“, feiner schwarzer Sand mit fast unsichtbaren Goldkörnchen drin.
Fast alle Minenbetreiber binden das Gold mit Quecksilber aus dem Sand. Mit fatalen Folgen für die Umwelt, denn das Quecksilber reichert sich in der Nahrungskette der Fische an und gelangt dadurch in den menschlichen Körper. Eine jüngste Studie hat ergeben, dass sogar die Bäume des Regenwaldes in Madre de Dios Quecksilber aufnehmen.
Die Holzrutsche ist mit einem schwarzen Vlies belegt, in dem die kleinen Steinchen und auch die Goldsplitter hängen bleiben.© Hildegard Willer
Doch Hugo Quispe verzichtet auf Quecksilber und erklärt, wie er das Gold ohne das gefährliche Gift bindet. „Für die Gewinnung des Goldes haben wir eine eigene Anlage. Wir filtern das Gold mit einem Schütteltisch. Damit holen wir 95 Prozent des Goldstaubs heraus“, erzählt er.
„Wir haben gute Erfahrungen mit den Schütteltischen gemacht, bei denen die schwereren Goldsplitter in Rillen am Boden haften bleiben. Früher brauchten die 40 Minuten, um den Goldstaub zu filtern, heute brauchen sie nur noch eine halbe Stunde.“
Rund zwölf Gramm Gold produziert Hugo Quispe jeden Tag, mit zwei Saugbaggern und sechs Arbeitern gehört er zu den kleinen Produzenten. Bei momentan circa 30 Euro pro Gramm erwirtschaftet er brutto damit rund 400 Euro pro Tag. Davon gehen die Betriebskosten ab.
Der Preis ist nicht gerecht, findet Hugo Quispe, und möchte sich deswegen als Fairmined-Produzent zertifizieren lassen.
„Mit dem Fairmined-Siegel erzielen wir im Schnitt 15 Soles (rund zwölf Euro) mehr. Außerdem bekommen wir eine Prämie von 4000 US-Dollar pro Kilogramm. Mit dieser Prämie können wir in die Verbesserung der Anlagen, in Schulung des Personals oder im nächsten Dorf investieren“, sagt er.
Kann das Abholzen von Wald fair sein?
Auch wenn Hugo Quispe kein Quecksilber verwendet: Um den Sand abzusaugen oder umzugraben, musste Wald zerstört werden. Eine Fairmined-Zertifizierung kann er nur erhalten, wenn er den Wald wieder aufforstet. Doch wird auf dieser Wüstenlandschaft jemals wieder ein Wald wachsen?
Hugo Quispe zeigt auf einem etwa 80 Zentimeter hohen Baum. Im Abstand von drei Metern ragen weitere Bäumchen recht zaghaft aus dem weißen Sand. Hugo Quispe hat sie mithilfe einer NGO aus den USA als Pilotprojekt angepflanzt.
Dies sind zwei Hektar Land, die wir in Zusammenarbeit mit der NGO Pure Earth wieder aufforsten. Wir haben bereits sieben Baumarten, die sowohl langsam wie auch schnell wachsen. Da ist der Achiote, die Lupune, der Pashaco, aber auch Bäume für Sägeholz wie der Shihuahuaco oder der Tabari. Der hier ist schon über ein Jahr alt und schon 80 Zentimeter hoch.
Wir setzen auf einen verantwortlichen Goldabbau. Wir wollen den Wald so zurücklassen, wie wir ihn angetroffen haben, so wie es das Gesetz vorsieht. Im achten Jahr müssen wir die Mine schließen. Dafür braucht es einen Ausstiegsplan.
Hugo Quispe
Er macht auch klar, dass er keine neuen Bäume fällen wird, sondern nur dort umgraben wird, wo bereits keine Bäume mehr stehen.
Ob man das Gold von Hugo Quispe bald als Fairmined-Gold auf dem internationalen Markt kaufen kann, hängt vom Ergebnis des Pilotprojektes ab und auch davon, ob sich Käufer dafür finden.
Goldschürfen lässt sich nicht verbieten
Auf dem Rückweg in Puerto Maldonado treffe ich den Biologen Cesar Ascorra. Er hat als einer der ersten in Puerto Maldonado auf die Zerstörung des Waldes durch die Goldschürfer aufmerksam gemacht. Heute leitet er das Zentrum für innovative Forschung des Amazonasgebietes, das die Auswirkungen des Goldabbaus in Madre de Dios erforscht.
Auch er kennt die Marktgesetze: „Der Markt will alles billig haben. Es ist ihm egal, wo das Gold herkommt. Er sagt, da könne man nichts machen. Aber warum bemühen wir uns dann um eine ökologische Zertifizierung? Weil wir daran glauben, dass wir ein wenig Einfluss haben und etwas verändern können.“
Zu meinem Erstaunen plädiert er keineswegs für ein Verbot des Goldschürfens.
Die Nachfrage nach Gold sei letztlich schuld am ökologischen Desaster in Madre de Dios, so Cesar Ascorra.© Hildegard Willer
Wenn wir die besten Technologien einsetzen, die oberste Vegetationsschicht abtragen und aufbewahren, wenn wir das Gold ohne Quecksilber binden: Dann kann ich das Loch wieder zumachen und den aufbewahrten Boden wieder draufsetzen. Das wäre ein geplanter Bergbau. Aber klar, damit würde der Goldpreis ums Doppelte steigen.
Cesar Ascorra
Cesar Ascorra ist Pragmatiker. Er meint: Ein abgeholzter Primärwald wird nie zu ersetzen sein. Auch fairer Goldabbau schadet der Umwelt. Aber den Goldabbau selber könne man nicht aufhalten.
„Aber es ist blind zu sagen, wir stellen den Goldabbau einfach ein. Das wäre eine Lüge“, meint er. „Dass ihr kein Gold mehr schürfen dürft, nur noch Copoazu (eine Kakaopflanze) anbauen oder Touristen herumführen. Es wäre eine Lüge, weil die Leute denn Gold schürfen würden, auch wenn du es ihnen verbietest. Weil sie unter wirtschaftlichem Druck stehen und weil es eine Nachfrage nach Gold gibt.“
Goldbarren für den Banktresor
Die Nachfrage, so Cesar Ascorra, sei schlussendlich schuld am ökologischen Desaster in Madre de Dios. „Es gibt einen Markt für Gold. Den Gold-Boom gibt es nicht wegen der großen Nachfrage nach Schmuck, sondern um das Gold in Banken zu horten. Es ist ein perverser Markt“, kritisiert er.
„Den Chinesen, den Indern, ist es egal, woher das Gold kommt. Deswegen ist es ein Kurzschluss zu behaupten, dass man den Goldabbau einfach verbieten kann. Das Problem geht alle an, auch im anderen Teil der Welt, denn dort beginnt die Nachfrage.“