Ausbeutung in Heimarbeit
Das indische Tamil Nadu gehört zu den Zentren der Lederindustrie. Hier lassen Marken wie Zara, Timberland, Esprit, Gabor, Bugatti oder Marco Polo Schuhe produzieren. Viele Näherinnen arbeiten in Heimarbeit - für 14 Cent pro Paar. Eine exklusive Recherche zu ihren miserablen Arbeitsbedingungen und der Ignoranz der Unternehmen.
Die Region Ambur im südindischen Bundesstaat Tamil Nadu. In den Dörfern reihen sich kleine, einfach eingerichtete Bungalows aus Lehm oder Backsteinen mit Strohdach aneinander. Sie sind gelb, grün und türkis gestrichen. Außerhalb der Dörfer mit den farbenfrohen Häusern fallen weiße, mit großen Mauern umgebene Fabrikhallen auf.
Die Gegend um Ambur gilt als Zentrum der Schuh- und Lederindustrie in Indien. Alle großen europäischen Schuhmarken lassen hier produzieren. Und in fast allen Familien in dieser Gegend arbeitet mindestens ein Familienmitglied in der Branche: in einer der Schuhfabriken, Gerbereien oder kleinen Nähereien. Ich bin hierhergekommen, um mir die Arbeitsbedingungen in der Schuhindustrie anzuschauen. NGOs berichten immer wieder über zu geringen Lohn, Zwang zu Überstunden und schlechten Gesundheits- und Sicherheitsstandards in den Fabriken. Was jedoch wenig bekannt ist: ein erheblicher Teil der Produktion von Schuhen stützt sich auf Heimarbeit, und auch diese Näherinnen kämpfen mit Problemen.
Lederstücke für Mokassins mit der Hand zusammengenäht
Viele Hausfrauen arbeiten von zu Hause aus den Fabriken zu. In einem der Dörfer treffe ich drei von ihnen. In farbenfrohen Saris sitzen sie im Schatten ihrer Häuser. Mit der Hand nähen sie Lederstücke zusammen: es sind die Rohlinge eines beigefarbenen Herrenmokassins mit blauer Zierleiste. Solche Schuhe sind in Europa derzeit in Mode. Sie fädeln einen dicken Faden durch die vorgestanzten Löcher der Schuhoberteile und fügen so die Deckseite mit den Seitenteilen zusammen. Die Sohlen werden später in der Fabrik maschinell darunter genäht, sagt Padmavathi, eine ernst wirkende 45-jährige in blauweißem Sari.
"Am Abend bringt jemand die Rohlinge hierher, mit einer Riksha oder einem Transporter. Wir nähen sie, und am nächsten Abend nimmt er die fertigen Teile wieder mit."
Bei einem Rohling wie diesem muss Padmavathi die Obernaht einmal rundherum nähen. Rechts und links vom Spann, wo die Zierleiste angebracht ist, muss sie diese dritte Schicht noch mitpacken. Sie befestigt sie mit Blockstichen, die doppelt durch die Löcher gezogen werden, eine knifflige Angelegenheit. Selbst geübte Hände brauchen eine halbe bis dreiviertel Stunde, um ein Paar fertigzustellen. Bei komplizierten Designs kann es eine Stunde dauern. Ihr Lohn dafür: im Durchschnitt rund 10 Rupien pro Paar, das sind rund 14 Eurocent. Die Spanne richtet sich nach dem Aufwand und Schwierigkeitsgrad der Designs und Materialien. Ob der Kunde in Europa am Ende 30 oder 100 Euro für seine Schuhe bezahlt, hat auf den Lohn der Näherinnen keinerlei Auswirkungen.
Wenn sie acht Stunden am Tag nähen, schaffen sie etwa 10 Paar pro Tag. Daneben müssen die meisten noch die Hausarbeit erledigen und die Kinder versorgen, haben eine Doppelbelastung. Bei zehn Paar verdienen sie also im Durchschnitt rund 100 Rupien am Tag, umgerechnet 1,34 Euro. Das reicht bei weitem nicht aus für die täglichen Ausgaben; der Mindestlohn in der Schuhbranche in Tamil Nadu liegt bei etwa 2,33 Euro pro Tag. Diese Arbeiten übernehmen daher nur Frauen, die keine andere Möglichkeit haben Geld zu verdienen, aber dringend darauf angewiesen sind. Padmavathi ist früh verwitwet. Sie musste ihre Kinder allein durchbringen, erzählt sie.
"Mein Mann war Schweißer, er hat als Tagelöhner gearbeitet. Vor acht Jahren starb er an einem Herzinfarkt. Das war sehr hart für uns, ich musste meinen ganzen Schmuck verkaufen. Danach habe ich mit dem Nähen von Schuhen angefangen. Ich habe von meinen Nachbarinnen gelernt, wie das geht. Am Morgen, nachdem wir unsere Hausarbeit erledigt und die Kinder zur Schule geschickt hatten, setzten wir uns draußen vors Haus zusammen und nähten. Von morgens um neun bis abends um sechs oder sieben. Wenn meine Töchter aus der Schule kamen, halfen sie mir."
Schwielen an den Händen und Augenprobleme
Manchmal ist das Leder sehr hart. Dann gebe es Schwielen an den Händen und die Arbeit gehe nur langsam voran, sagt Padmavathi. Und das ist nicht das einzige Problem. Das Nähen ist sehr monoton, die Frauen sitzen auf dem Boden, vornübergebeugt. Die meisten klagen über Rückenschmerzen. Padmavathi hat wie viele andere Augenprobleme bekommen, weil sie sich stets lange Zeit am Stück bei schlechtem Licht auf die kleinen vorgestanzten Einstichlöcher konzentrieren musste.
"Ich musste mit dem Schuhe nähen aufhören, weil meine Augen tränten und meine Sicht schlecht wurde."
Ihre inzwischen erwachsenen Töchter, die in der Großstadt Chennai leben und arbeiten, versorgen sie nun mit. Sie übernimmt nur noch hin und wieder Näharbeiten, um etwas dazuzuverdienen. Ihre Nachbarin Regina hat ganz damit aufgehört – wegen der schlechten Bezahlung. Ihr inzwischen erwachsener Sohn hat eine Anstellung in einer der Fabriken gefunden. Zusammen mit dem, was ihr Mann verdient, kommt die Familie zurecht.
"Ich habe beschlossen diese Arbeit nicht mehr zu machen. Meine Hüfte tut weh davon, meine Arme und Beine auch. Die Bezahlung ist so gering. Warum sollte ich mir dafür meine Augen ruinieren und am Ende noch Geld für die Behandlung draufzahlen? Es gibt einige hier, die das Geld dringend brauchen. Sie machen das noch für 10 Rupien pro Paar. Wenn sie 25 oder 50 Rupien bezahlen würden, dann wäre das o.k. für mich, aber so nicht. Ich habe diese Arbeit acht Jahre lang gemacht. Davon ist mir nur der Stücklohn geblieben. Hätte ich in einer Fabrik gearbeitet, hätte ich für diese Zeit zusätzlich noch 200 bis 300.000 Rupien an Bonus bekommen."
Die Nichtregierungsorganisation Cividep mit Sitz im südindischen Bangalore kennt die Probleme der Heimarbeiterinnen. Sie versucht, ihre Situation durch Frauengruppen und soziale Projekte zu verbessern. Sie arbeitet mit internationalen Watchdog-Organisationen zusammen, wie der europaweiten Kampagne "Change your shoes". Gemeinsam mit ihr und anderen hat Cividep kürzlich die Situation der Heimarbeiterinnen in der Region Ambur in einer Studie untersucht. Gesundheitsprobleme wie Augenleiden, Rücken- und Gelenk-schmerzen, Arthritis in den Finger, Verletzungen von den scharfen Fäden und Nadeln oder allergische Reaktionen auf die Chemikalien im Leder: All diese Leiden treten häufig auf, sagt der Leiter von Cividep, Gopinath Parakuni. Das weitaus größte Problem sieht er je-doch in der schlechten Bezahlung.
Nicht mal ein Viertel des gesetzlichen Mindestlohns
"Heimarbeit ist eigentlich keine schlechte Sache. Viele Frauen wollen nicht in einer Fabrik arbeiten, weil sie Kinder oder ältere Angehörige zu versorgen haben. Wir würden die Heimarbeit gern fördern, aber sie muss offiziell anerkannt und gewürdigt werden. Sie muss so entlohnt werden, dass sie nicht unter dem gesetzlichen Mindestlohn von etwa 7000 Rupien im Monat liegt. Aber die Frauen kommen nicht einmal auf ein Viertel davon. Dabei wird ein großer Teil der Produktion in Heimarbeit erledigt. Teilweise macht sie ein Drittel der Produktion aus. Man sieht es ja auch in den Dörfern rund um die Fabriken, wie viele Frauen dort von zu Hause aus arbeiten."
Natürlich könnten die Fabriken auch Leute fest anstellen, um die notwendigen Handarbeiten zu erledigen. Doch für sie lohnt es sich, Teile der Produktion an Heimarbeiterinnen auszulagern; denn das senkt ihre Kosten und erlaubt ihnen mehr Flexibilität. Wie viel sie ihnen zu nähen geben, können die Firmen je nach Bedarf regeln, denn die Heimarbeit läuft völlig informell ab. Die Firmen müssen für die Frauen keine Sozialabgaben und keine Krankenversicherung zahlen. Sie erhalten nur eine Pauschale pro fertigem Paar. Einer fest angestellten Näherin müsste eine Schuhfabrik hingegen, auch wenn nichts zu tun ist, den Lohn und die Sozialabgaben weiterzahlen.
Das Risiko von Auftragsflauten lassen sie also von den Heimarbeiterinnen mittragen. Und diese verdienen auch deshalb so wenig, weil auf dem Weg zwischen ihnen und der Schuhfabrik mehrere weitere Personen mitverdienen. Die Schuhrohlinge werden nämlich nicht direkt von den Fabriken, sondern über Mittelsleute an die einzelnen Näherinnen verteilt. Sie gehen über zwei, drei, oder gar mehr Zwischenstationen, bevor sie bei den Näherinnen ankommen.
Chinamma, eine 50-jährige mit hartem Gesicht und rauem Ton in der Stimme, ist eine von ihnen. Sie sitzt in der Einfahrt ihres Hauses auf dem Boden. Um sie herum Säcke mit Schuhrohlingen. Neben ihr ein Mann mit graumeliertem Haar und Schnäuzer, ebenfalls ein Mittler. Er scheint auf Chinamma's Lieferung zu warten. Eine Frau bringt gerade einige fertige Paare zurück. Chinamma überprüft die Nähte, schreibt ihr Kürzel darauf und wirft sie in eine große blaue Tonne zu den anderen fertigen Oberteilen. Mir gegenüber ist sie misstrauisch. Die Leute, die im Schuhgeschäft involviert sind, wissen, dass Ausländer sich für Bezahlung, Arbeitsbedingungen und Einhaltung der Gesetze interessieren. In knappen Sätzen antwortet Chinamma auf meine Fragen nach ihrem Geschäft.
"Sie haben den Rikshafahrer eben gesehen, oder? Der bringt mir die Rohlinge und ich verteile sie weiter. Ich kontrolliere die Nähte und schreibe meine Initialen auf die Rohlinge. Wenn Fehler drin sind, schickt die Fabrik sie zurück. Ich nehme 1 Rupie Kommission für das Verteilen und den Qualitätscheck. Wenn ich 16 Rupien für ein Paar Oberteile bekomme, dann gebe ich also 15 weiter an die Näherinnen. Ich liefere etwa 5000 Paare im Monat. Das hier kam gestern Abend, um 14 Uhr heute wird es wieder abgeholt."
"Wir wissen nicht, wohin die Schuhe gehen"
Der Mann neben ihr hat gehört, dass ich aus Deutschland komme.
"Diese Schuhe hier gehen in Ihr Land, das ist eine Order aus Deutschland."
Chinamma fährt ihm ins Wort. Sie beeilt sich klarzustellen, dass sie nichts Genaues darüber weiß.
"Hier in der Gegend gibt es 120 Firmen. Wir wissen nicht, wohin die Schuhe gehen."
Ob das stimmt, ist fraglich. Denn anders als die Näherinnen wissen die Mittler oft sehr genau, an welche Fabriken ihre Order geliefert wird. Sie behalten dies jedoch für sich, weil sie Konkurrenz und die staatlichen Kontrolleure fürchten. Denn auch sie arbeiten meist informell und zahlen keine Steuern.
Bezüglich ihrer Kommission scheint Chinamma zumindest nicht die Wahrheit gesagt zu haben. Sie hatte angegeben, dass sie 16 Rupien für die Rohlinge bekommt und 15 davon an die Näherinnen bezahlt. Ich treffe einige Frauen, die von ihr Aufträge bekommen. Sie sprechen von einem viel geringeren Lohn. So die 42-jährige Muniyamma, eine mütterliche Frau in gelbem Sari.
"Die Bezahlung hängt vom Design ab. Manchmal sind es 4 oder 5 Rupien, für die aufwändigeren bekommen wir 7 oder acht Rupien, das Maximum sind 10 Rupien. Ich schaffe 5 bis acht Paare am Tag. Momentan verdiene ich etwa 1000 Rupien im Monat dazu. Die Mittelsleute nehmen ja auch eine Kommission. Wir wissen nicht, was die Fabrik ihnen eigentlich zahlt."
Der Lohn für die Näherinnen ist also noch geringer, als in dem ersten Dorf, das ich besucht habe. Die spärlichen Finanzen so zu organisieren, dass es zum Überleben reicht, liegt hier bei den Frauen, erzählt Muniyamma. Die Männer arbeiten als Tagelöhner und Wanderarbeiter. Viele trinken, anders hielten sie ihre harte Arbeit nicht aus. Um einigermaßen über die Runden zu kommen, sind die Frauen auf die Heimarbeit dringend angewiesen.
Einen höheren Lohn verlangen? Zwecklos.
Muniyamma teilt sich mit ihrem Mann und ihren zwei fast erwachsenen Kindern einen kleinen Raum, der als Schlafzimmer, Wohnzimmer und Küche gleichzeitig dient. Wenn das Geld nicht reicht, spart sie an Kleidung oder an Extras für die Kinder, oder sie muss sich Geld leihen. So geht es fast allen Näherinnen hier. Viele finanzieren ihre Ausgaben nebst Rückzahlung der Kredite mit immer neuen Schulden. Muniyamma's Tochter musste nach der achten Klasse die Schule abbrechen, um mitzuverdienen.
Ihre Nachbarin Lata, eine schmächtige 30-Jährige in lilafarbenem Hauskleid, sagt nach einem höheren Lohn zu verlangen sei zwecklos.
"Die Mittler schieben die Schuld auf die Firma. Sie sagen, sie bekommen nur eine Rupie an Provision, deshalb könnten sie uns nicht mehr bezahlen. Die Firma sage angeblich den Mittlern, dass es andere gebe, die ihnen die Rohlinge zu einem geringeren Preis nähen ließen. Nur wenn alle Mittler gemeinsam mehr verlangen würden, könnten sie vielleicht etwas erreichen. Aber ich denke, auch das würde nichts bringen. Für uns wäre es schon hilfreich, wenn sie nur zwei oder drei Rupien mehr zahlen könnten."
Bei Schuhen, die später für 30 bis mehr als 100 Euro in Europa im Regal stehen, wirken die Beträge, die die Frauen hier als gerechten Lohn ansehen, aber nicht bekommen, regelrecht lächerlich. Wie viel Profit die ausländischen Firmen an den Schuhen machen, davon haben Näherinnen wie Muniyamma und Lata keine Vorstellung.
In Ambur lassen fast alle großen internationalen Marken herstellen. In der Stadt reiht sich ein Schuhgeschäft ans nächste. Diese Läden dienen vor allem als Showroom für die Einkäufer der großen Handelsketten. Die Inhaber dieser Schuhläden arbeiten als Agenten oder Geschäftspartner für die umliegenden Fabriken. In den Läden finden sich Exemplare von bekannten Marken wie Zara, Timberland, Esprit, Gabor, Bugatti, oder Marco Polo. Sie alle lassen in Ambur produzieren. Viele dieser Schuhe haben Anteile von Handarbeit. Die Nähte, die mit der Hand gefertigt werden, sind unverkennbar. Sie sind größer und gröber als die maschinellen; oft wenden die Näherinnen spezielle Stiche an, die ein besonderes Design ergeben, wie Kreuzstiche oder Blockstiche. Ich möchte mehr darüber erfahren, wie die Fabriken arbeiten und höre mich um.
Ein Zertifikat ist kein Persilschein
Bei einem der Schuhhändler gebe ich mich als Kaufinteressentin aus – gebe vor, in Deutschland einige Boutiquen eröffnen zu wollen und nach Zulieferern für Schuhe Ausschau zu halten. Er bringt mich zu einer Fabrik, mit der er zusammenarbeitet. Das Mikrofon läuft heimlich mit.
Die Firma heißt Riva Shoes und liegt etwa fünf Kilometer außerhalb von Ambur im Vorort Thutipet; mehrere weitere Schuhfabriken haben hier ihren Sitz. Der Händler und sein Geschäftspartner zeigen mir die Produktion. Im Showroom, wo die Firma ihre aktuellen Modelle ausstellt, entdecke ich auch Exemplare der Firmen Redwood und Rover & Lakes. Das sind Eigenmarken von Galeria Kaufhof. Auch diese Herrenmokassins tragen eindeutig Nähte, die in Handarbeit gefertigt wurden.
Der Fabrikbesitzer druckst ein wenig herum sagt dann, diese Arbeiten würden außerhalb der Fabrik erledigt. Damit ist klar, auch hier wird an Heimarbeiterinnen ausgelagert. Mit der Materie konfrontiert, antwortet eine Sprecherin der Galeria Kaufhof Zitat:
"Das Bekenntnis zu fairen Arbeitsbedingungen ist grundlegender Bestandteil der Einkaufsbedingungen der Eigenmarken von Galeria Kaufhof, also auch von Redwood und Rover & Lakes. Zu unseren Anforderungen an unsere Eigenmarkenlieferanten gehört beispielsweise die Zahlung der gesetzlichen oder tariflichen Mindestlöhne. Das Unternehmen gehört zu den Gründungsmitgliedern der Business Social Compliance Initiative: ein Zusammenschluss europäischer Handelsunternehmen und Markenhersteller mit dem Ziel, entlang der gesamten Produktionskette gute Arbeitsbedingungen sicherzustellen."
Sie schreibt, die Firmen, bei denen die Kaufhof-Eigenmarken produzieren lassen, seien nach einem hohen Standard zertifiziert und dies würde Heimarbeit ausschließen. Internationale Watchdog-Organisationen wie die Kampagne für saubere Kleidung bezeichnen die Business Social Compliance Initiative hingegen als wenig glaubwürdig, weil es sich um eine reine Herstellervereinigung mit selbst auferlegten Standards handelt. Auch ein Zertifikat sei kein Persilschein.
Bezüglich der Firma Riva Shoes, bei der ich Schuhe der Kaufhof-Eigenmarken gesehen habe, verspricht die Kaufhof Sprecherin, sich zu erkundigen. Sie teilt in einer weiteren E-Mail mit:
"…dass Galeria Kaufhof weder eine vertragliche Bindung mit der Firma Riva Shoes, noch Aufträge dort platziert hat. Außerdem hat keiner der von uns beauftragten Eigenmarkenlieferanten unserem Unternehmen die Firma Riva Shoes als Produktionsstätte angezeigt. Keinem der zuständigen Einkäufer ist die Fabrik bekannt."
Niemand will die Firma also kennen? Kann es sein, dass Galeria Kaufhof doch keinen so guten Überblick über ihre Lieferkette hat, wie die Sprecherin angibt? Es ist jedenfalls übliche Praxis, dass Schuhfabrikanten Aufträge an Subunternehmer weitergeben und auch dass diese ebenfalls Produktionsteile weitergeben. So entsteht eine oftmals lange und unübersichtliche Kette von Sub-Sub-Subunternehmern. Und ganz unten finden sich die Heimarbeiterinnen. Aber die tauchen in keinem Dokument der übergeordneten Firmen auf, eben weil sie völlig informell arbeiten.
Organisationen wie die Kampagne für saubere Kleidung mahnen immer wieder, dass selbst auferlegte Standards und Zertifikate wenig bringen, um eben die gesamte Lieferkette zu kontrollieren. Sie fordern bei der Entwicklung und Kontrolle solcher Standards auch lokale Akteure mit einzubeziehen wie Gewerkschaften oder Nichtregierungsorganisationen.
"Vereinbarungen zum Verhaltenskodex existieren nur auf dem Papier"
Das meint auch Gopinath Parakuni von der lokalen NGO Cividep.
"Unser Eindruck ist, dass die Bemühungen bisher nicht sehr weit gehen. Die Vereinbarungen mit den Zulieferern zum Verhaltenskodex existieren nur auf dem Papier. Uns liegen einige Dokumente vor. Das sieht alles sehr oberflächlich aus und scheint nicht wirklich umgesetzt zu werden. Die Prüfer müssten auch in die Dörfer gehen und die Leute dort befragen, denn wenn sie das nur innerhalb der Fabrik machen, trauen sich die Arbeiter nicht etwas zu sagen.
Es ist unglaublich für uns, diese großen Firmen, die sehr viel Profit machen: wir würden doch denken, dass sie ein vernünftiges System haben, um ihre Lieferketten nachzuverfolgen, um zu sehen, wer denn eigentlich alles für sie arbeitet. Wenn sie nicht wissen, wie genau ihre Waren hergestellt werden, wie können sie dann Vertrauen in ihre Qualität haben? Und wie können sie sicher sein, dass internationale Arbeitsstandards eingehalten werden? Die Heimarbeiterinnen arbeiten auch für diese Markenhersteller. Es liegt also ganz klar in deren Verantwortung zu schauen: welche Auswirkungen haben ihre Geschäfte auf diese Frauen, die in armen Verhältnissen leben und sich nicht wehren können."