Schulberg: Die Ethik in Hollywood ist dieselbe wie vor 70 Jahren

Moderation: Marie Sagenschneider |
Der Drehbuchautor Budd Schulberg war lange Zeit in Hollywood geächtet, weil er in seinem Roman "Was treibt Sammy an" die Filmindustrie als korrupt, verlogen und ausbeuterisch beschrieben hatte. Der Unterschied zu damals sei aber nicht sehr groß: Heute stehe nicht mehr so sehr der einzelne Produzent im Vordergrund, da alles stärker in Firmenhand organisiert sei. Schulberg ist Mitbegründer der Gewerkschaft der Drehbuchautoren.
Marie Sagenschneider: Eines schönen Abends in Mexiko, wir schreiben die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts. Da hätten sich zwei prominente Herren fast geprügelt, der Schauspieler John Wayne und der erfolgreiche Schriftsteller Budd Schulberg. John Wayne nämlich war immer noch stinksauer auf Schulberg, weil der vor immerhin mehr als zwei Jahrzehnten ein Buch veröffentlich hatte, indem er das Filmgeschäft Made in Hollywood als korrupt, ausbeuterisch und verlogen beschrieb. "High Noon" in Mexiko fiel dann allerdings aus, weil beide Kampfhähne zu viel Tequila intus hatten.

Seit seinem Buch "What Makes Sammy Run", "Was treibt Sammy an", galt Budd Schulberg in Hollywood als Verräter, als Drehbuchautor war er sofort gefeuert worden. Drehbücher hat er dennoch weiter verfasst, für "Die Faust im Nacken" zum Beispiel, mit Marlon Brando, erhielt er 1954 sogar einen Oscar.

Budd Schulberg ist mittlerweile 94 Jahre alt und zurzeit Gast auf der Berlinale. Dort wird ein Dokumentarfilm über ihn zu sehen sein, den sein Sohn Ben gedreht hat. Und heute Abend liest Budd Schulberg aus seinem Buch "Was treibt Sammy an", das gerade neu ins Deutsche übersetzt worden ist von Harry Rowohlt. Ich hatte gestern Gelegenheit, mit Budd Schulberg zu sprechen und habe ihn gefragt, wie aktuell ihm eigentlich selbst sein Buch, das ja vor fast sieben Jahrzehnten erschienen ist, wie aktuell es ihm heute noch vorkommt, oder ob er heute noch schärfer über Hollywood urteilt?

Budd Schulberg: Damals habe ich in der Gestalt des Sammy Glick so den Prototypen des Hollywood-Produzenten zusammengetragen, mit dem Unterschied, dass heute nicht mehr so sehr der Einzelne im Mittelpunkt steht, sondern das Ganze ist viel stärker organisiert in Firmenhand. Die Ethik aber als solche ist weitgehend dieselbe geblieben. Der Unterschied liegt eben darin, dass heute die Organisationen mehr das Sagen haben.

Sagenschneider: Sie haben damals eine Menge Ärger bekommen, als das Buch erschien, weil viele, so haben Sie es selbst geschrieben, das als einen Angriff auf das freie Unternehmertum, auf Mutti und auf das Sternenbanner begriffen haben. Wie erging es da eigentlich Ihrem Vater, der ja einer der großen Hollywood-Bosse war, nämlich Chef von Paramount Pictures, für den muss das ja ganz unangenehm gewesen sein?

Schulberg: Nun, ich habe meinem Vater eine Vorabkopie dieses Manuskripts zukommen lassen. Und mein Vater hat sich schon sehr entrüstet gezeigt und war sehr durcheinander. Er sagte mir, wie kannst du so etwas schreiben, das wird mir schaden. Er glaubte, dass es mit ihm noch weiter bergab gehen würde, denn er war schon zu dem Zeitpunkt nicht mehr auf der Höhe des Erfolges. Er fragte mich: Wie willst du je deinen Lebensunterhalt verdienen? Du schadest dir selbst. Ihm war nicht klar und auch mir war nicht klar, dass dieses Buch ein so großer Erfolg werden würde, dass ich nie mehr fortan abhängig sein würde von Hollywood. Und es war für mich eigentlich ein großer Durchbruch zum Erfolg.

Sagenschneider: Es war ein großer Durchbruch zum Erfolg. Auf der anderen Seite, ich habe es gelesen so, vielleicht stimmt es nicht, dass Sie von Goldwyn damals umgehend als Drehbuchautor gefeuert worden sind?

Schulberg: Ich hatte ja für Samuel Goldwyn bereits ein Drehbuch verfasst, und dann hatte ich eben danach dieses Buch geschrieben und mir war gesagt worden, geh mal auf Urlaub. Und ich reiste für drei Monate nach Mexiko, dann kam ich wieder zurück an einem Montag. Ich wartete schon auf den Anruf von Sam Goldwyn. Der kam aber nicht am Montag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag, alles blieb still, auch am Freitag meldete er sich nicht. Erst ganz spät, vor Büroschluss, kam plötzlich der Anruf, und ich wurde zu ihm bestellt. Und sobald er mich sah, fing er an loszubrüllen, und das Besondere an ihm war ja, an Sam, dass sein Gesicht dann purpurrot anlief.

Er schrie mich an: "Wie konntest du so etwas machen? Du bist ein Verräter, du hast Schande über die ganze Branche gebracht, Verräter!" Ich habe erwidert: "Ich hab doch ein Drehbuch für Sie verfasst, das hat Ihnen doch ganz gut gefallen". Er sagte: "Ich rede hier nicht über das Drehbuch, ich rede über dieses fürchterliche Buch, dass du herausgebracht hast und das Schande über uns alle bringt".

Er war außer sich vor Zorn und sein Koproduzent und Partner Alwin Mayer, der mächtige Mann damals bei MGM, der eigentlich das Heft in der Hand hatte, der nahm sich meinen Vater zur Brust und sagte: "Ben, du bist Schuld, dass dein Sohn dieses Buch geschrieben hat". Mein Vater erwiderte: "Ja, aber wir sind doch ein freies Land?" "Dieser Mann muss abgeschoben werden" - er war unerbittlich und meinte tatsächlich, ich sollte ausgewiesen werden.

Sagenschneider: Sie erzählen in Ihrem Buch, ich sag das mal für alle, die das nicht wissen, die Geschichte von Sammy Glick, der rücksichtslos und auf Kosten aller, die ihm über den Weg laufen, Karriere in Hollywood macht und es auch bis ganz nach oben schafft, der Sätze sagt wie: Mit einem gewissen Leben ist wie mit angezogener Handbremse fahren. Er ist natürlich ein Dreckskerl, aber auf der anderen Seite hat er gleichzeitig diese Dynamik, die er an den Tag legt, und die hat auch was sehr Faszinierendes. Ist für Sie jemand wie Sammy Glick ein typisches Produkt Made in Hollywood oder umfassender noch sogar Made in USA?

Schulberg: Ja, ich stimme dem zu, das hat ja auch David Bunyan so gesagt, ich hätte mit diesem Buch so etwas wie den Inbegriff des amerikanischen Jungen gezeichnet, der nichts Wichtigeres kennt als diesen großen Trieb zum Erfolg und insofern typisch sei für unser Land, für die Vereinigten Staaten, wo eben dieser Wille zum Erfolg stärker sei als in jedem anderen Land.

Sagenschneider: Und trotzdem scheint sich ja in der Bewertung des Sammys auch eine Entwicklung abzuzeichnen. Damals, umsonst war ja Hollywood nicht so angesäuert über dieses Buch, muss ja jemand wie Sammy eine Negativfigur gewesen sein. Aber wenn man sich zum Beispiel die Broker der 90er in Erinnerung ruft, da war ja genau dieser Typus fast schon so was wie eine Leitfigur?

Schulberg: Ja, das ist eine sehr interessante Frage, auch irgendwie beunruhigend. Vor einigen Jahren hielt ich einen Vortag in einer Universität, und danach kam dann ein junger Mann, ein Student zu mir und sagte, nach all diesen Zweifeln und Misserfolgen hätte Sammy, die Gestalt meines Buches, ihm endlich so etwas wie dieses Vertrauen, diesen Glauben an den Erfolg verliehen. Das war zum ersten Mal, dass ich bemerkte, dass jemand diese Negativgestalt, dieses antisoziale Verhalten plötzlich als Vorbild nahm. Damals war ich überrascht. Danach habe ich dann gemerkt, dass immer mehr Menschen das ähnlich sehen, und ich hab mich daran gewöhnt, und so scheint es eben heute zu sein.

Sagenschneider: Deutschlandradio Kultur, wir sind im Gespräch mit dem amerikanischen Drehbuchautor und Schriftsteller Budd Schulberg, der auf mehr als 80 Jahre Hollywood-Erfahrung zurückblicken kann. Sie haben, Herr Schulberg, das korrupte, das verlogene, das rücksichtslose Hollywood beschrieben und gleichzeitig aber auch, wie man den Kampf mit dem System ein bisschen aufnehmen kann, denn in "Sammy" geht es auch um die Gründung der Drehbuchautorengewerkschaft. An deren Gründung waren Sie beteiligt, oder?

Schulberg: Das ist richtig. Ich war damals in den 30er Jahren beteiligt an diesen Auseinandersetzungen. Damals hatten es die großen Produzenten geschafft, die bestehenden Gewerkschaften praktisch völlig zurückzudrängen oder aus dem Markt zu drängen, indem sie alle diejenigen bedrohten, die mit der Gewerkschaft zusammenarbeiteten. Es wurde eine richtige Hexenjagd veranstaltet auf solche Schriftsteller, die eben gewerkschaftlich organisiert waren.

Ich gehörte zu den wenigen Drehbuchautoren, die sich heimlich trafen. Wir waren der Meinung, dass wir nicht in der Öffentlichkeit auftreten könnten, sondern wir trafen uns fast wie so eine Art kommunistische Zelle. Wir waren überzeugt, dass wir als Drehbuchverfassergewerkschaft erst stark genug wären, das Licht der Öffentlichkeit zu sehen, wenn wir etwa 500 Mitglieder hätten. Und genauso ist es dann auch geschehen.

Ich muss aber noch sagen, wir hätten wohl nicht diesen Erfolg gehabt, wenn nicht die sozialpolitischen Maßnahmen des New Deal uns geholfen hätten und dieses neue Recht auch, dass man sich dafür entscheiden konnte, einer Gewerkschaft beizutreten.

Sagenschneider: Wir verfolgen ja in diesen Tagen, wie selbstverständlich es fast schon ist, selbstverständlich vielleicht nicht, aber es passiert eben, dass Drehbuchautoren streiken, einen Streik auch sehr lange durchhalten, drei Monate. Es sieht jetzt so aus, als würde man dann doch vor einem erfolgreichen und guten Abschluss und Ende stehen. Wie lang hat das gedauert? Hat das tatsächlich vielleicht auch Jahrzehnte gedauert, bis sich da so was wie ein gewerkschaftliches Selbstbewusstsein bei den Drehbuchautoren durchgesetzt hat, etabliert hat?

Schulberg: Ich würde sagen, dass seit gut 20 Jahren die Drehbuchautorengewerkschaft wirklich eine starke Macht im Lande ist und dass sie eigentlich nicht zu erschüttern ist.

Sagenschneider: Und Sie sind zufrieden, wenn Sie den aktuellen Arbeitskampf verfolgen, der, wie gesagt, offenbar vor einem erfolgreichen Abschluss steht?

Schulberg: Na ja, ob ich nun wirklich zufrieden bin, das ist vielleicht nicht das richtige Wort. Ich würde sagen, das ist der Gang der Ereignisse, eine notwendige Auseinandersetzung. Ich war ja selbst ein Streikposten bei dieser Auseinandersetzung. Jemand hat gesagt, das ist der älteste Streikposten, den wir je gesehen haben.

Sagenschneider: Sie haben, Herr Schulberg, mehr als 90 Jahre Hollywood-Erfahrung. Sie sind mit zwei Jahren dahingekommen, als Ihr Vater dort anfing zu arbeiten. Man weiß da nicht so recht, wo man mit dem Fragen aufhören soll, aber Sie müssen uns eine Geschichte noch unbedingt erzählen, die mit Hollywood eigentlich nicht so viel zu tun hat. Wie kam es dazu, dass Sie 1945 bei der Verhaftung von Leni Riefenstahl dabei waren?

Schulberg: Ja, das ist richtig. Ich war damals bei einer Einheit in der Marine, wo es meine Aufgabe war, Fotobeweise für den ersten Nürnberger Prozess zu sammeln, und da war uns klar, Leni Riefenstahl musste ganz oben auf unser Liste stehen für Menschen, die man dann eben bei diesem Prozess in Nürnberg ins Kreuzverhör nehmen sollte. Denn in dem Film "Triumph des Willens" waren sie ja alle zu sehen. General Donovan hatte sogar gesagt, diese Filme von Riefenstahl sind so viel wert wie zwei Divisionen der Wehrmacht, weil sie eben die Leute vom Nationalsozialismus überzeugen und sie dann zum Kämpfen bringen.

Unser Ziel war es also, Leni Riefenstahl zum Verhör zu schaffen. Ich hatte herausgefunden, dass sie in der Nähe von München wohnte. Ich fuhr dort zu ihrem Haus hin, ich klopfte an die Tür, und dann kam ein Mann heraus und ich sagte: "Ich muss mit Leni Riefenstahl sprechen". Sie kam dann herunter, wir fingen an, miteinander zu sprechen. Sie erzählte wieder ihre üblichen Geschichten, sie sei eben nur Künstlerin gewesen, sie sei nur an Kunst interessiert, und sie wolle jetzt doch bitte in Ruhe gelassen werden.

Ich saß da, ich hatte den Haftbefehl in meiner Tasche, der brannte sozusagen schon ein Loch in meine Jackentasche, und ich sagte dann: "Es tut mir leid, aber ich muss Sie einfach jetzt mitnehmen". Na, da rief Leni Riefenstahl:" Putzi! Putzi, die Leute verhaften mich". Und sie war ganz außer sich vor Zorn und wurde auch hysterisch. Ich war mit meinem Marinefahrer unterwegs, wir hatten da nur so einen Lkw. Mit diesem recht behelfsmäßigen Gefährt brachten wir sie dann nach Nürnberg. Der Hauptzweck war aber im Wesentlichen, die Nazigrößen zu identifizieren, die sie fotografiert hatte.

Sagenschneider: Wie lange waren Sie damals in Deutschland und haben nun diese filmischen und fotografischen Beweise gesucht, für den Nürnberger Prozess?

Schulberg: Nach dem Krieg, glaube ich, waren das acht bis neun Monate.

Sagenschneider: War danach eigentlich Deutschland eine regelmäßigere Besuchsstation für Sie?

Schulberg: Nein, ich bin danach nicht mehr nach Deutschland zurückgekehrt. Ich habe einen Bauernhof in Pennsylvania gekauft und habe dann meine Zeit damit verbracht, Romane und Bücher zu schreiben.

Sagenschneider: Das ist ja wunderbar, dann erleben wir gerade ein historisches Treffen, dass Sie hier in Berlin sind, zur Berlinale. Sie sind da, weil Ihr Sohn Ben einen Dokumentarfilm über Sie gedreht hat. Wie erleben Sie Deutschland jetzt?

Schulberg: Es ist in der Tat ein historisches Ereignis. Es ist wie eine Art Heimkehr für mich. Unmittelbar nach dem Krieg wegen all dieser Nazigeschichten, muss ich sagen, hatte ich doch geradezu antideutsche Gefühle. Ich war der Meinung, irgendetwas Übles stecke im deutschen Geist, das auch über die Jahre hin noch weitergehen würde. Aber im Laufe der Jahre hab ich mich umbesonnen. Ich habe gesehen, wie das neue Deutschland hervorkommt, wie es Fortschritte gemacht hat, sodass meine Sicht auf Deutschland jetzt eine ganz andere ist. Ich sehe Deutschland jetzt als einen demokratischen Verbündeten und manchmal wünsche ich mir, Präsident Bush würde einiges von Deutschland lernen.

Sagenschneider: Der Schriftsteller und Drehbuchautor Budd Schulberg. Budd Schulbergs Buch übrigens, "Was treibt Sammy an", das vor fast 70 Jahren für so viel Furore gesorgt hat, ist jetzt neu ins Deutsche übersetzt worden von Harry Rowohlt, ganz wunderbar übersetzt übrigens, und wird leider erst Anfang April im Handel sein.