Unterricht in der Wellblechhütte
In Kenia wurde das UN-Millenniumsziel nach Angaben von Unicef erfüllt, neun von zehn Kindern unter elf Jahren besuchen eine Grundschule. Im Jahr 2000 waren es nur 50 Prozent. Doch die Zahlen stimmen nicht mit der Realität überein.
Unterrichtsbeginn in einer Grundschule im kenianischen Kajiado District, zwei Autostunden südlich von Nairobi. 50 Kinder zwischen elf und dreizehn Jahren drängen sich auf den Holzbänken in dem engen Klassenraum, es riecht nach Schweiß und Kreide. Vor den vergitterten Fenstern erstreckt sich die Steppe bis zum Horizont, die Hitze flirrt zwischen den Schirmakazien. In der Region leben hauptsächlich Angehörige der halbnomadischen Volksgruppe Massai. Die meisten Menschen hier leben von umgerechnet etwa einem Euro am Tag. An einem Plakat an der Wand stehen die Stundenpläne für die Kinder zwischen sechs und vierzehn Jahren.
Acht Stunden Unterricht täglich stehen auf dem Plan – doch praktisch sind es oft nur vier oder fünf. Denn für die rund 200 Mädchen und Jungen gibt es nicht genügend Lehrer. Einer Studie der Weltbank zufolge fällt die Hälfte des Unterrichts in Kenia aus. Die Kritik der Experten: die meisten Kinder gehen zwar zur Schule, aber sie lernen dort kaum etwas. David Kemani leitet die Grundschule im Kaijado District. Er will etwas tun – und mehr Personal einstellen.
"Bis jetzt hat die Regierung uns nur vier Lehrer geschickt. Deshalb müssen die Eltern das Gehalt von fünf weiteren Lehrern finanzieren, außerdem bezahlen sie den Koch und den Sicherheitsmann. Das ist sehr hart für die meisten, denn die Familien hier sind sehr arm."
Lebensgrundlage für die Schulbildung verkauft
Offiziell ist in Kenia seit 2003 der Grundschulbesuch kostenlos – der Anstieg der Schulanmeldungen seitdem ist enorm. Doch die Investitionen der Regierung in den Bildungssektor reichen bei weitem nicht aus, beklagen die Schulleiter. Für das Gehalt der zusätzlichen Lehrer werden die Eltern in Kajiado umgerechnet zwei Euro im Monat bezahlen müssen. Hinzu kommen Extra-Kosten für Schulbücher, Schuluniformen und Schreibhefte. Alice Taou wohnt in einem der Lehmhüttendörfer in der Region. Drei ihrer fünf Kinder gehen hier zur Schule.
"Im Moment können wir das Geld für unsere Kinder noch zusammenkratzen. Aber nach der Grundschule ist Schluss. Die weiterführende Schule können wir nicht bezahlen."
Um den Grundschulbesuch ihrer Kinder zu finanzieren, verkaufen manche Familien ihr Vieh, Lebensgrundlage der Massai. Doch Alice Taou ist es wichtig, dass ihre Kinder zur Schule gehen.
"Bildung ist die Zukunft unserer Kinder, außerdem bekommen sie hier in der Schule etwas zu essen und genügend Wasser."
Die Kinder haben sich auf dem Schulhof versammelt und führen einen ihrer traditionellen Tänze auf. Zwei Lehrer überwachen mit strengem Blick ihre Bewegungen, einer hat einen Stock in der Hand – obwohl die Prügelstrafe in Kenia offiziell verboten ist. Die wenigsten Lehrer hier hätten eine pädagogische oder didaktische Ausbildung, sagt Schulleiter David Kemani.
"Wenn wir nur qualifizierte Lehrer beschäftigen würden, dann müssten wir denen auch mehr Gehalt zahlen. Momentan nehmen wir jeden, der an unsere Tür klopft. In der Gegend hier gibt es kaum ausgebildete Lehrer."
Wer in Kenia die schlecht ausgestatteten öffentlichen Schulen meiden will und mehr Geld zur Verfügung hat, schickt seine Kinder auf eine private Schule. Die sind zwar teurer, werben aber mit einer besseren Ausstattung und besser ausgebildeten Lehrern. Doch nicht überall sind Privatschulen wirklich die bessere Alternative.
Lehmhütten als Klassenzimmer in Nairobi
Besuch in Kibera, einem Slum in Nairobi. Etwa 200.000 Menschen leben hier, dicht an dicht gedrängt in Wellblechhütten, zum Teil ohne Strom und fließendes Wasser. Für tausende Kinder gibt es hier nur zwei öffentliche Schulen und die sind hoffnungslos überfüllt. Deshalb sind zahlreiche Privatschulen in den letzten Jahren entstanden. Die Kisumudogo Primary School ist eine davon. Auch hier ist es voll. In drei geduckten Lehmhütten sind die Klassenzimmer untergebracht, rund 100 Kinder verschiedener Altersklassen lernen hier zum Teil gleichzeitig in einem Raum. Ike Alamin unterrichtet hier Englisch und Kisuaheli.
"Wir haben hier nicht genug Gebäude, um jeder Klasse einen eigenen Raum zu geben."
An diesem Tag findet kein Unterricht statt, die Schüler haben Tische und Bänke auf den Hof getragen, um sie zu putzen.
Die Putzaktion sei eine Vorbereitung auf das anstehende Abschluss-Examen, sagt Lehrer Alamin. Wer gut abschneidet, kann sich Hoffnung auf ein Stipendium für die weiterführende Sekundarstufe machen. Eine Chance, der drohenden Arbeitslosigkeit zu entgehen. In Kenia sind 30 Prozent aller unter-25-Jährigen ohne Job. Schon deshalb versuchen die Eltern das Schulgeld von umgerechnet vier Euro im Monat zu bezahlen, um die Kinder zur Schule zu schicken. Doch nicht alle schaffen das auf Dauer. Schulleiter Bernhard Kakai kontrolliert Anfangs des Monat persönlich, ob jeder pünktlich gezahlt hat.
"Sonst muss er gehen. Wir können niemanden gratis unterrichten. Auch die Lehrer haben Familien und müssen ihre Kinder zur Schule schicken, sie brauchen das Geld. Manchmal schicken wir einen Schüler für einen Monat nach Hause, wenn er seine Schulgebühren nicht bezahlt. Einige kommen nie wieder."
Bildung gilt in Kenia als Grundvoraussetzung im Kampf gegen die steigende Armut. In nur fünfzehn Jahren, so sagen Forscher, wird sich die Bevölkerung des Landes von jetzt 45 Millionen Menschen auf 90 Millionen verdoppelt haben.