Schuld und Sünde, Not und Pein

Von Dr. Thomas Kroll |
In der katholischen Kirche wird der fünfte Sonntag der vorösterlichen Bußzeit auch Passionssonntag genannt. An diesem Tag wurden früher Triumphkreuze und all das verhüllt, was vom Gedenken des Leidens Jesu ablenken kann. Ebenso förderlich für Meditation und Konzentration auf die Passion sind die Lieder, die im Gottesdienst gemeinsam gesungen werden. Sie konfrontieren die Gemeinde mal mit spirituellen Betrachtungen, mal mit theologischen Reflexionen.
Musik:
"Ehre sei dir, Christe,
der du littest Not,
an dem Stamm des Kreuzes
für uns bittern Tod,
herrschest mit dem Vater
in der Ewigkeit:
hilf uns armen Sündern
zu der Seligkeit."

"Christus ist nicht das Opfer, sondern der Herr der Passion."

Franz Karl Prassl bringt das Ungewöhnliche dieses mittelalterlichen Passionsliedes auf den Punkt. Es wählt die nachösterliche Perspektive und bekundet: Jesu grausamer Tod am Kreuz ist keine endgültige Niederlage. Er markiert vielmehr den Beginn ewiger Herrschaft mit dem Vater.

Die erste Liedstrophe entsteht in Salzburg um das Jahre 1350. Sie folgt dem lateinischen Refrain "Laus tibi Christi". Der erklang während mittelalterlicher Trauermetten, insbesondere am Ende der frühmorgendlichen Liturgien vom Gründonnerstag, Karfreitag und Karsamstag. Im 16. Jahrhundert fügt der evangelische Reformator Hermann Bonnus dem deutschen Gesang zwei weitere Strophen hinzu.

Das Lied "Ehre sei dir, Christe" nimmt die Einheit von Leiden, Tod und Auferstehung in den Blick. Es atmet in seinen drei Strophen den Geist des Philipperhymnus. Dieses uralte Christuslied, eine Kurzformel des Glaubens, zitiert bereits der Apostel Paulus in seinem Brief an die erste christliche Gemeinde auf europäischem Boden – in Philippi:

"Jesus Christus war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein, sondern ... er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz. Darum hat ihn Gott über alle erhöht ..., damit ... jeder Mund bekennt: Jesus Christus ist der Herr – zur Ehre Gottes des Vaters."

In der sakralen Kunst des 14. Jahrhunderts löst die Darstellung vom Schmerzensmann am Holzbalken den gekrönten Sieger am Kreuz ab. Nunmehr steht der Geschundene und Gequälte im Mittelpunkt der frommen Betrachtung. Das Lied "Ehre sei dir, Christe" hingegen hält eine seinerzeit atypische, gewissermaßen "konservative" Sicht aufrecht – und unterstreicht dies mit dem abschließenden Huldigungsruf:

Musik:
"Kyrie eleison,
Christe eleison,
Kyrie eleison."

Im katholischen Gotteslob findet man von "Ehre sei dir, Christe" nur die erste Strophe. Sie ist als Wechselgesang abgedruckt, als Lied für den Beginn einer Messfeier. Im protestantischen Gesangbuch dagegen eröffnet das dreistrophige Lied mit der mittelalterlichen Melodie die Rubrik der Passionslieder.

Musik:
"Bei stiller Nacht zur ersten Wacht
Ein Stimm begann zu klagen.
Ich nahm in acht, was die dann sagt;
tat hin mit Augen schlagen."

Ein Trauer- und Klagegesang hebt an. Der Text umfasst 14 weitere Strophen und stammt aus der Feder des Jesuitenpaters Friedrich Spee. Die früheste Handschrift des Liedes datiert auf das Jahr 1634. Fünfzehn Jahre später erscheint erstmals ein Abdruck in Spees berühmter Textsammlung Trutz-Nachtigall. Dort ist als Überschrift vermerkt:

"Trawrgesang von der Noth Christi am Oelberg in dem Garten"

"Bei stiller Nacht" ist in katholischen Kreisen das klassische Lied für die Zeit nach der Eucharistiefeier am Abend des Gründonnerstags. Peter Reulein, Kirchenmusiker an der Frankfurter Liebfrauenkirche, erinnert sich:

"Die Orgel war schon längst verstummt, der Pfarrer und die vielen Ministranten waren in der Sakristei verschwunden, das Licht war ein wenig herunter gedimmt, und ein seltsam melancholischer Gesang wechselte zwischen Gemeinde und Chor ab ... Es schien, als ob kein Lied besser in diesem Augenblick erklingen konnte als jenes Lied, das von Friedrich Spee ... gedichtet wurde."

Musik:
"Es war der liebe Gottes Sohn,
sein Haupt er hat in Armen,
viel weiß, und bleicher als der Mon,
Ein Stein es möcht erbarmen."

Betont das mittelalterliche Lied "Ehre sei dir, Christe" die göttliche Dimension, geht Friedrich Spee in seiner barocken Dichtung ganz und gar auf die menschlichen Momente der Passion ein. Angst und Zaudern kommen ebenso ins Wort wie das Gefühl der Gottverlassenheit. Daher kann Friedrich Spees Lyrik auch über den Gründonnerstag hinaus Verwendung finden – als seelsorglicher Text etwa in Phasen der Niedergeschlagenheit und spiritueller Dürre.