Schuldlose Schuld

Als "IM Otto Stein" wurde Oskar Pastior, Freund von Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller, von 1961 bis 1968 als Inoffizieller Mitarbeiter des rumänischen Geheimdienstes geführt. Soweit bekannt hat Pastior allerdings so gut wie nichts dazu getan, ein guter IM zu sein.
"Die Akte zeigt wie ein finsteres Gemälde das Rumänien der fünfziger und sechziger Jahre", lesen wir in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG. Die Literaturnobelpreisträgerin und Freundin Oskar Pastiors, Herta Müller, erklärt im Interview mit Felicitas von Lovenberg, wie sie die Nachricht aufnahm, dass Pastior von 1961 bis 1968 als Inoffizieller Mitarbeiter des rumänischen Geheimdienstes Securitate geführt wurde.

"Die Akte zeigt ihn von allen Seiten umzingelt"," sagt Herta Müller und: "Aus dem Lager heimgekehrt wurde er statt frei vogelfrei."

Die Akte, in der Oskar Pastior als "IM Stein Otto" registriert war, hat Ernest Wichner eingesehen. Wichner stammt auch aus dem deutschsprachigen Teil Rumäniens, ist Leiter des Literaturhauses Berlin und Herausgeber der Pastior-Werkausgabe sowie enger Freund von Herta Müller und Oskar Pastior. Er las die Akte und fand darin unter anderem die Verpflichtungserklärung des "IM Stein Otto": "Ich werde alle Anstrengungen unternehmen, um dem Regime feindlich gesonnene Elemente zu entlarven."
Auch das lesen wir in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG. An sich, schreibt dazu Dirk Pilz in der BERLINER ZEITUNG, hatte Ernest Wichner mit seinem Artikel in der FAZ den "Fall Pastior mit Aplomb an die Öffentlichkeit bringen" wollen. Das misslang, weil bereits am Donnerstag ein Artikel in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG erschien, in dem der Direktor des Münchener Instituts für Kultur und Geschichte Südosteuropas, Stefan Sienert, Pastiors Verstrickung mit der Securitate schilderte. Dem wäre nun an sich nichts mehr hinzuzufügen, denn soweit bekannt hat Pastior so gut wie nichts dazu getan, ein guter IM zu sein. Ernest Wichner schreibt in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG:

"Oskar Pastior hat sich am 21. Mai 1968 als Flüchtling bei den deutschen Behörden gemeldet und sich ihnen rückhaltlos offenbart."

In der Sonnabendausgabe der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG weist Lothar Müller darauf hin, dass im Berliner Literaturhaus am Freitag eine Ausstellung zu Leben und Werk der Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller eröffnet wurde. Dort sind auch Pastiors Aufzeichnungen über die Tücken der Erinnerung zu sehen, die dem Aufsatz des Münchner Forschers Sienert den Titel gaben: "Ich habe Angst vor unerfundenen Geschichten." Müller mutmaßt in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG.

"Wie vom Mond muss Pastior auf die Welt zurückgeblickt haben, der er entkommen war. Vielleicht hat er Otto Stein dabei aus den Augen verloren."

In der FRANKFURTER RUNDSCHAU urteilt Hans-Jürgen Linke: "Pastiors Verbindung zum Geheimdienst ist ein klassisch tragischer Fall von schuldloser Schuld." Und Linke weiß, dass Oskar Pastior sehr verletzbar gewesen sei:

"Er habe lieber manches in Kauf genommen, um unbehelligt arbeiten zu können. Diese Eigenschaft hat die Securitate genutzt, ihn in ihren Dienst zu pressen."

Sandra Kegel kommentiert in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG das "Maß der Schuld", das "Oskar Pastior alias 'IM Otto Stein'" auf sich geladen haben könnte. Sie hebt seine Gefangenschaft in einem sowjetischen Arbeitslager hervor und schreibt:
"Wer das erlebt hat, wird alles tun, um dies nicht noch einmal zu erleiden, zumal Pastior in der rumänischen Diktatur durch seine Homosexualität erpressbar war."

Seine enge Freundin Herta Müller sagt im Interview mit der FAZ:

"Wenn Pastior noch leben würde, würde ich jedes Mal, wenn ich zu ihm käme, insistieren, dass er seine Akte lesen und selbst darüber schreiben soll. Aber jedes Mal würde ich ihn dabei in den Arm nehmen."