Schule des Hörens und Staunens
Zu Eröffnung einer neuen Ära an der Deutschen Oper Berlin wählte der neue Intendant Dieter Schwarz einen Klassiker: Helmut Lachenmanns "Das Mädchen mit den Schwefelhölzern". Im Mittelpunkt steht dabei die Musik, das Orchester. Fazit: Ein großes kulinarisches Opernvergnügen und ein herausragendes vergnügliches Opernerlebnis.
Helmut Lachenmanns Oper "Das Mädchen mit dem Schwefelhölzern” gehört zu jenen Werken der Moderne, vor denen ehrfurchtsvoller Respekt eingefordert wird: Als überwältigendes "opus summum”, als ein das Musiktheater durch neue Klangerfahrungen revolutionierendes bisher unerreichtes Meisterwerk wird es angepriesen. In der Tat fasst Lachenmanns vor 15 Jahren in Hamburg uraufgeführte Oper viele Tendenzen zusammen, die zeitgenössische Musik und zeitgenössisches Musiktheater kennzeichnen: das Experimentieren mit Klängen einerseits, der Verzicht auf ein Drama als Libretto, ja sogar der bewusste Verzicht auf Wortverständlichkeit.
Und ein außergewöhnliches und einzigartige Werk ist es nicht nur, weil "Das Mädchen mit den Schwefelhölzern” die einzige Oper des Komponisten ist, sondern vor allem wegen seiner Dimensionen, insbesondere wegen des großen Orchesterapparats, der einen gewaltigen Klangkosmos erzeugt. Für die Eröffnung einer neuen Ära an der Deutschen Oper Berlin war es eine kluge Wahl des neuen Intendant Dieter Schwarz.
Das Orchester steht bei Lachenmanns Oper im Zentrum. Nicht nur im Orchestergraben, sondern auch in den Logen und in den Rängen sind in der Deutschen Oper die Musiker verteilt, so dass man von allen Plätzen die Klangexperimente Lachenmanns sehr genau verfolgen kann, etwa das Herstellen von Geräuschen und Klängen mit den Instrumenten, wie sie in der Musizierpraxis verpönt oder unüblich sind: Kratzen über den Steg bei den Geigern, Einblasen des Blechs...
Manchmal reiben sich Musiker die Hände oder klopfen sich auf die Oberarme. Meist sehr leise und nur kurz angerissen sind die einzelnen Klänge und Geräusche zu hören, doch sind sie spannungsreich strukturiert. Vor allem schlägt die Genauigkeit, mit der Dirigent Lothar Zagrosek, der auch schon die Uraufführung dirigierte, das Geräusch- und Klangerlebnis organisiert und exerziert, den Zuhörer atemlos in Bann. Manchmal weiß man freilich für einen kurze Moment nicht, ob das Husten eines Zuschauers nicht auch mitkomponiert ist; es geht ja vor allem um Kälte. Trotz aller sehr leisen Geräusche gönnt Lachenmann dem Publikum aber nicht einen einzigen Moment der Pause oder der Stille. Es stimmt, was der Komponist selbst erläuterte, seine Oper ist eine Schule des Hörens und Staunens.
Auch wenn man sehr selten nur wörtlich Texte verstehen kann, Lachenmanns Oper basiert auf einem Märchen von Hans Christian Andersen "Das Mädchen mit den Schwefelhölzern”: ein Kind, das in der Silvesternacht Streichhölzer verkauft, sie anzündet und schließlich erfriert und stirbt. Dazu kommt noch ein Brief der RAF-Terroristin Gudrun Ensslin, die gegen die gefrierenden Verhältnisse ein Kaufhaus anzündete und ein kunsttheoretischer Text Leonardo da Vincis über Furcht und Verlangen. Eine Anti-Oper mit dem Orchester als eigentlichem Hauptakteur?
"Musik mit Bildern” nennt Lachenmann sein Werk, und in der Inszenierung von David Hermann und auf der Bühne von Christof Hetzer ist auch sehr viel zu sehen. Mutig hat die Inszenierung eine eigenen Kosmos gegenüber der Klangwelt aufgebaut und sich insofern von Lachenmanns summum opus nicht einschüchtern lassen. Zwar ist der eiserne Vorhang zu, aber davor, aus dem Orchestergraben wachsend hat der Zuschauer Einblick in ein einstöckiges Haus plus Keller und Dachboden mit Holzverschlag. Es geht ein wenig zu wie in Christoph-Marthaler-Inszenierungen.
Im Erdgeschoss musizieren zwei Mädchen mit einem Klavier oder lesen an einem Lesepult. Einmal kommt zu ihnen ein schlaksiger, schlanker Mann: "der nasse OnkeI” heißt es im Programmheft und holt aus zwei Taschen mehrere leere Sektflaschen, in die er Feuerwerkskörper - für Silvester? - steckt. Im ersten Stock wiederum liegt zunächst in einem Regal im Badeanzug ein Mädchen, davor sitzt in einem Lehnstuhl ein trauriger Mann: "der Cineast”. Man denkt an Andersens "Meerjungfrau”. Und sollen die Männer an den Dichter Andersen denken lassen und seine Projektionen in leidende Mädchen? Am unheimlichsten der Lichtschacht, in der eine asiatische Frau zwischen den Stockwerken hoch turnt und sich dann am Dachboden zu schaffen macht. Gudrun Ensslin taucht auch einmal im Erdgeschoss auf, aber auch sie erscheint mit ihren langen roten Haaren wie eine Andersen-Märchenfigur. Auf einmal ist eine Kohlenhalde in der Wohnung.
Sieht man zu sehr auf die Musiker und wie sie Geräusche erzeugen, kann es leicht passieren, dass man die Vorhänge im Haus aus den Augen verliert - und umgekehrt. Aber gerade die Überfülle der Sinneneindrücke, aus denen man wählen kann, das gleichberechtigte Nebeneinander von Bild und Klang, macht aus Lachemanns Werk große beeindruckende Oper und relativiert den ein wenig naiven politischen Anspruch der Komponisten.
Noch vor der Berliner Premiere hatte Lachenmann eine Kontroverse aus den 80er-Jahren aufgegriffen, in der er gegen den Komponistenkollegen Hans Werner Henze polemisiert hatte, unter anderem weil dieser sich beim Komponieren "happy” fühle. Ihn, Lachenmann, störe dieses Wort, ihm gehe es um mehr, um Ernst und wenn schon um Heiterkeit. Und doch ist - bei allem Appell gegen gesellschaftliche Kälte - "Das Mädchen mit den Schwefelhölzern" ein großes kulinarisches Opernvergnügen und insofern ein herausragendes vergnügliches Opernerlebnis.
Und ein außergewöhnliches und einzigartige Werk ist es nicht nur, weil "Das Mädchen mit den Schwefelhölzern” die einzige Oper des Komponisten ist, sondern vor allem wegen seiner Dimensionen, insbesondere wegen des großen Orchesterapparats, der einen gewaltigen Klangkosmos erzeugt. Für die Eröffnung einer neuen Ära an der Deutschen Oper Berlin war es eine kluge Wahl des neuen Intendant Dieter Schwarz.
Das Orchester steht bei Lachenmanns Oper im Zentrum. Nicht nur im Orchestergraben, sondern auch in den Logen und in den Rängen sind in der Deutschen Oper die Musiker verteilt, so dass man von allen Plätzen die Klangexperimente Lachenmanns sehr genau verfolgen kann, etwa das Herstellen von Geräuschen und Klängen mit den Instrumenten, wie sie in der Musizierpraxis verpönt oder unüblich sind: Kratzen über den Steg bei den Geigern, Einblasen des Blechs...
Manchmal reiben sich Musiker die Hände oder klopfen sich auf die Oberarme. Meist sehr leise und nur kurz angerissen sind die einzelnen Klänge und Geräusche zu hören, doch sind sie spannungsreich strukturiert. Vor allem schlägt die Genauigkeit, mit der Dirigent Lothar Zagrosek, der auch schon die Uraufführung dirigierte, das Geräusch- und Klangerlebnis organisiert und exerziert, den Zuhörer atemlos in Bann. Manchmal weiß man freilich für einen kurze Moment nicht, ob das Husten eines Zuschauers nicht auch mitkomponiert ist; es geht ja vor allem um Kälte. Trotz aller sehr leisen Geräusche gönnt Lachenmann dem Publikum aber nicht einen einzigen Moment der Pause oder der Stille. Es stimmt, was der Komponist selbst erläuterte, seine Oper ist eine Schule des Hörens und Staunens.
Auch wenn man sehr selten nur wörtlich Texte verstehen kann, Lachenmanns Oper basiert auf einem Märchen von Hans Christian Andersen "Das Mädchen mit den Schwefelhölzern”: ein Kind, das in der Silvesternacht Streichhölzer verkauft, sie anzündet und schließlich erfriert und stirbt. Dazu kommt noch ein Brief der RAF-Terroristin Gudrun Ensslin, die gegen die gefrierenden Verhältnisse ein Kaufhaus anzündete und ein kunsttheoretischer Text Leonardo da Vincis über Furcht und Verlangen. Eine Anti-Oper mit dem Orchester als eigentlichem Hauptakteur?
"Musik mit Bildern” nennt Lachenmann sein Werk, und in der Inszenierung von David Hermann und auf der Bühne von Christof Hetzer ist auch sehr viel zu sehen. Mutig hat die Inszenierung eine eigenen Kosmos gegenüber der Klangwelt aufgebaut und sich insofern von Lachenmanns summum opus nicht einschüchtern lassen. Zwar ist der eiserne Vorhang zu, aber davor, aus dem Orchestergraben wachsend hat der Zuschauer Einblick in ein einstöckiges Haus plus Keller und Dachboden mit Holzverschlag. Es geht ein wenig zu wie in Christoph-Marthaler-Inszenierungen.
Im Erdgeschoss musizieren zwei Mädchen mit einem Klavier oder lesen an einem Lesepult. Einmal kommt zu ihnen ein schlaksiger, schlanker Mann: "der nasse OnkeI” heißt es im Programmheft und holt aus zwei Taschen mehrere leere Sektflaschen, in die er Feuerwerkskörper - für Silvester? - steckt. Im ersten Stock wiederum liegt zunächst in einem Regal im Badeanzug ein Mädchen, davor sitzt in einem Lehnstuhl ein trauriger Mann: "der Cineast”. Man denkt an Andersens "Meerjungfrau”. Und sollen die Männer an den Dichter Andersen denken lassen und seine Projektionen in leidende Mädchen? Am unheimlichsten der Lichtschacht, in der eine asiatische Frau zwischen den Stockwerken hoch turnt und sich dann am Dachboden zu schaffen macht. Gudrun Ensslin taucht auch einmal im Erdgeschoss auf, aber auch sie erscheint mit ihren langen roten Haaren wie eine Andersen-Märchenfigur. Auf einmal ist eine Kohlenhalde in der Wohnung.
Sieht man zu sehr auf die Musiker und wie sie Geräusche erzeugen, kann es leicht passieren, dass man die Vorhänge im Haus aus den Augen verliert - und umgekehrt. Aber gerade die Überfülle der Sinneneindrücke, aus denen man wählen kann, das gleichberechtigte Nebeneinander von Bild und Klang, macht aus Lachemanns Werk große beeindruckende Oper und relativiert den ein wenig naiven politischen Anspruch der Komponisten.
Noch vor der Berliner Premiere hatte Lachenmann eine Kontroverse aus den 80er-Jahren aufgegriffen, in der er gegen den Komponistenkollegen Hans Werner Henze polemisiert hatte, unter anderem weil dieser sich beim Komponieren "happy” fühle. Ihn, Lachenmann, störe dieses Wort, ihm gehe es um mehr, um Ernst und wenn schon um Heiterkeit. Und doch ist - bei allem Appell gegen gesellschaftliche Kälte - "Das Mädchen mit den Schwefelhölzern" ein großes kulinarisches Opernvergnügen und insofern ein herausragendes vergnügliches Opernerlebnis.