Wenn Eltern zum Problemfall werden
Sie pöbeln Lehrer an, verklagen Schulen, beschweren sich beim Ministerium: Einige Eltern sind der Albtraum für Lehrer. Dabei wollen sie meist nur das Beste für ihre Kinder.
„Renitente oder desinteressierte Eltern gefährden die Gesundheit der Lehrer“, warnte im August 2024 der Deutsche Lehrerverband (DL). Einige Eltern würden Schule und Lehrkräfte eher als Gegner wahrnehmen. Umfragen unter Lehrern bestätigen den Befund: Viele betrachten Eltern inzwischen als die größte Herausforderung in ihrem Beruf. Warum ist das Verhältnis von Eltern und Lehrern in vielen Fällen so schwierig geworden? Was lässt sich tun, um die Situation zu verbessern?
Inhalt
Wie groß ist das Problem?
Für jede sechste Lehrkraft (18 Prozent) sind die Erziehungsberechtigten die größte Herausforderung im Job. Das zeigt das Deutsche Schulbarometer 2024, eine Umfrage der Robert Bosch Stiftung. Entweder die Eltern kümmern sich kaum oder gar nicht um den schulischen Alltag ihrer Kinder, sind nur schwer erreichbar und bleiben Elternabenden fern. Oder sie haben besonders hohe Erwartungen an Schule und Lehrer.
Die Folge: Konflikte um das Verhalten oder die Noten der Kinder, die regelrecht eskalieren können. Eltern drohen mit dem Anwalt, richten wegen jeder Kleinigkeit eine Beschwerde an die Schulaufsicht. Im Extremfall werden Lehrkräfte verbal oder sogar tätlich angegriffen. Ein Elternpaar im niedersächsischen Vechta etwa wurde im August 2023 wegen Bedrohen, Bespucken und Beleidigen einer Lehrkraft verurteilt.
Manche Pädagogen berichten von regelrechtem „Psychoterror“ durch Eltern. Erst kürzlich erstattete der Bayerische Lehrerverband Strafanzeige gegen einen Elternteil, der eine Lehrkraft bedrohte, damit die Kinder den gewünschten Schulübertritt schaffen. Laut dem Verband beobachteten die Eltern mit einem Teleskop die Lehrkraft in ihrem Haus. Sie erhielt Drohungen und wurde mit Verleumdungen konfrontiert.
Umfrage: Konflikte haben zugenommen
Das Phänomen ist nicht neu. Schon 2020 ergab eine Umfrage unter 700 bayerischen Lehrern, dass die Zusammenarbeit mit den Eltern schwieriger geworden sei. 75 Prozent der Befragten gab an, dass es mehr Konflikte gebe. Ebenso viele meinten, dass sich Eltern vermehrt gegen schlechte Noten wehren würden. 86 Prozent fanden, dass Erwartungen der Erziehungsberechtigten gestiegen seien. Und 66 Prozent belastete laut der Umfrage die Erwartung der Eltern nach permanenter Erreichbarkeit. Die Umfrage ist nicht repräsentativ, zeigt aber ein Stimmungsbild.
Es gebe die Tendenz, dass Eltern Schule gegenüber kritischer und anspruchsvoller seien, berichtet auch der Schulpsychologe Stephan Deiner. Dahinter stehe das Bemühen, dass das Kind den bestmöglichen Bildungsabschluss bekommt – und dass es gerecht und fair behandelt werde.
Streitpunkt Nummer eins: die Noten
Größtes Konfliktthema zwischen Schule und Elternhaus sind laut Lehrkräften die Noten. Ein besonders kritischer Zeitpunkt ist daher das Ende der Grundschulzeit, weiß Simone Fleischmann, Präsidentin des Bayerischen Lehrerverbands. Dann würden Schulleitungen vermehrt Anwaltsschreiben und Dienstaufsichtsbeschwerden von den Eltern erhalten.
Um direkt auf ein Gymnasium zu kommen, ist in dem Bundesland ein Notendurchschnitt von 2,33 in Deutsch, Mathematik und Heimat- und Sachunterricht nötig. Schlechte Zensuren wollen einige Eltern daher nicht hinnehmen. Wenn der Lehrer dann nicht einlenkt, wenden sich Väter und Mütter an die Schulleitung oder drohen mit dem Anwalt, berichtet Fleischmann.
Offenbar halten nicht alle Pädagogen dem Druck stand. Eine Gymnasiallehrerin, die namentlich nicht genannt werden möchte, berichtet, dass Kollegen schon mal die gewünschte Note geben würden, um sich die psychische Belastung zu ersparen.
Was sind die Gründe für die Zunahme?
Dass die Konflikte zwischen Eltern und Lehrer zugenommen haben, hat nach Ansicht von Experten eine Reihe von Ursachen.
Überwindung des autoritären Denkens: Erziehung in Schule oder Elternhaus war im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts von Disziplin, Gehorsam und dem Respekt gegenüber Autoritäten geprägt. Einer Respektsperson wie einem Lehrer zu widersprechen, war nahezu undenkbar. Das änderte sich mit der 68er-Bewegung. Eltern begannen, Autoritäten und Hierarchien infrage zu stellen und legten den Fokus auf die Autonomie und die freie Entfaltung ihrer Kinder.
Heute machen eher „Helikoptereltern“ von sich reden. Gemeint sind damit Väter und Mütter, die ihre Kinder ständig behüten, nicht loslassen können und im Extremfall den Nachwuchs regelrecht überwachen. Lehrer-Coach Lydia Clahes spricht von Eltern, die es aushalten müssen, dass sie einen Großteil des Tages ihr Kind in einer Schule nicht begleiten können und dann nur informiert würden, wenn was schiefgehe. Diese Eltern würden dann auch mal unbequem, wenn sie gewisse Dinge nicht verstünden.
Besser informierte Eltern: Eine Rolle bei Konflikten dürfte auch spielen, dass Eltern heute wesentlich besser informiert sind. Viele beschäftigen sich mit Bildung und Erziehung, lesen Ratgeber und folgen Bildungsinfluencern. Sie begegnen Lehrern aus einer ganz anderen Position als früher.
Kleinere Familien: Dass Väter und Mütter heute stärker und öfter in den Schulalltag eingreifen, hat nach Ansicht von Experten auch mit der Größe der Familien zu tun. Eltern mit einem oder zwei Kindern ist es eher möglich, mitzubekommen, was in der Schule passiert. Als Eltern noch viele Kinder hatten, konnte man sich nicht so intensiv um die schulischen Belange kümmern.
Anforderungen des Schulsystems: Hinzu kommt: Ob ein Kind in der Schule erfolgreich ist, hängt durchaus mit dem Einsatz der Erziehungsberechtigten zusammen. Das deutsche Schulsystem erwartet in dieser Hinsicht sehr viel von den Eltern, meint die Bildungswissenschaftlerin Anne Sliwka. Mütter und Väter stünden unter dem Druck, ihre Kinder unterstützen zu müssen.
Allgemeiner Leistungsdruck: Ein weiterer Grund für Konflikte ist nach Ansicht von Pädagogen, dass der allgemeine Leistungsdruck gestiegen ist. 71 Prozent sehen laut der bayerischen Lehrerbefragung darin einen Auslöser für Probleme mit den Eltern. Lehrer würden den gestressten Eltern als eine Art Ventil dienen, meint Simone Fleischmann, Präsidentin des Bayerischen Lehrerverbands.
Hinzu kommt ihrer Erfahrung nach eine hohe Erwartungshaltung des sozialen Umfelds: Das Kind müsse unbedingt aufs Gymnasium. Wenn der Nachwuchs die gewünschten Leistungen nicht erbringt, suchen Eltern oft einen Schuldigen außerhalb der Familie.
Was können Lehrer und Eltern tun?
Um Konflikte zu verringern, kann ein anderes „Mindset“ helfen, sagen Experten. Gemeint ist die Vorstellung einer Erziehungs-Partnerschaft zwischen Elternhaus und Schule. Eltern und Lehrkräfte sollten ein Arbeitsbündnis, eine Partnerschaft für das Kind eingehen, meint etwa Bildungswissenschaftlerin Anne Sliwka. Sie sollten sich als ein Team begreifen, dass das gleiche Interesse hat.
Lehrercoach Lydia Clahes rät Lehrern, früh eine persönliche Beziehung zu den Eltern aufzubauen – und nicht erst zum Hörer greifen, wenn es Probleme gibt. Viele Lehrer würden diese privaten Verbindungen nicht zulassen, meint Clahes. Doch sie ist überzeugt, dass es diese Form der Nähe brauche, um „Seite an Seite“ arbeiten zu können. Eine gute Beziehung zu den Eltern erspart nach Ansicht der Expertin Lehrkräften viel Stress und hilft, Konflikten vorzubeugen.
Ob es allein am Willen liegt, ist allerdings fraglich. Laut der Umfrage unter bayerischen Pädagogen wenden Lehrer zwar nur zwei Stunden und 21 Minuten pro Woche für die sogenannte Elternarbeit auf. Doch 90 Prozent wünschen sich mehr Zeit, um die Eltern einbinden zu können. Das Problem dabei: Mehr Zeit für die Eltern würde den Bedarf an Lehrkräften steigen lassen – und der Lehrermangel verschärfen.
Charlotte Bernstorff/tmk