Schule schwänzen für eine bessere Welt

22.03.2013
Ein 14-jähriger Junge macht blau und klaut, um mit der Beute den Armen in Afrika zu helfen. Jesus, Robin Hood und Widerstandskämpfer aus dem Dritten Reich sind seine Vorbilder. Als literarische Figur kann dieser Teenager nicht so recht überzeugen, denn er kommt als zwanghafter Gerechtigkeitsfanatiker mit Helfersyndrom daher.
Louis Jensens neuer Jugendroman erzählt eine ebenso existentielle Geschichte wie Janne Tellers "Nichts". Während "in Afrika jeden Tag tausende Kinder an Hunger und Krankheiten sterben", registriert der vierzehnjährige Ich-Erzähler zu Hause: "Jede Menge Gerede. Jede Menge Nichts."

33 Cent reichen, um ein Leben zu retten, liest er irgendwo und entschließt sich, für die Armen zu spenden. Er schwänzt die Schule um im Supermarkt zu arbeiten, beginnt zu stehlen und seinen Vater zu betrügen. Alles Geld geht nach Afrika, aber es ist immer noch zu wenig. Der Roman endet als Road-Movie, da hat der Junge einen Kühl-LKW voller Lebensmittel geklaut und fährt diesen bis nach Marokko. Mit von der Partie ist seine Freundin Anna.

Während Janne Tellers Protagonisten sich auf die Suche nach dem machten, was Bedeutung im Leben haben sollte, hat Jensens Ich-Erzähler eine Menge Bedeutung parat. Robin Hood wird auf jeder zweiten Seite zitiert, der von den Reichen "nahm" und den Armen gab. Jesus und Johannes der Täufer mahnen ihn zu "teilen", Widerstandskämpfer aus dem Dritten Reich sind ihm Vorbilder für erlaubten zivilen Ungehorsam. Sein Helfersyndrom steigert sich zum Zwang und trotz bohrender Fragen und Zweifel geht der Junge seinen radikalen Weg zu Ende. Und scheitert natürlich fürchterlich.

Louis Jensen stellt radikale Fragen. Was ist richtig? Was ist gerecht? Ist das Gesetz gerecht? Wer ist schuldig am Tod von Millionen Kindern auf der Welt? Heiligt der Zweck die Mittel? Und schließlich die alte philosophische Frage: Wie kann Gott das Elend zulassen? Spannende Fragen, in denen es um den Sinn und die Bedeutung des Lebens geht, um Glaubwürdigkeit und Mut. Fragen, auf die auch Eltern und Lehrer keine wirkliche Antwort wissen.

Jahre später erst berichtet der Erzähler von jenen Monaten, in denen aus ihm, einem intelligenten, sensiblen und nachdenklichen Jungen, ein Radikaler wurde. Lakonisch, kurz angebunden, in Kürzestkapiteln schildert er seine Entwicklung zum Dieb und Betrüger. Das kommt nie pathetisch, sondern ähnlich ungerührt und kühl rüber wie bei Janne Teller, nur: Dort erzählt eine Randfigur, hier aber der Protagonist selbst. Seine Wut, seine Traurigkeit, sein Idealismus bleiben blutleer und abstrakt. Nur in den Szenen mit Anna oder seiner Schwester wird spürbar, zu welch intensiven Gefühlen er fähig und zu welch sensiblen Schilderungen von Emotionen der Autor in der Lage ist.

Ein "mutiges und radikales Experiment" kündigt der Verlag das Buch an, "das zum Nachdenken herausfordert: über Recht und Gerechtigkeit, Moral und Zivilcourage". Doch die Radikalität des Jungen erscheint mir weniger moralisch als verrückt, weniger mutig als zwanghaft. Die Radikalität des Autors stellt sich spätestens dann in Frage, wenn am Schluss ein weiß gekleideter Engel wie ein Deus ex machina als Todesbote auftritt. Da ist aus einer sehr guten Idee dann doch ein zu gut gemeintes Buch geworden.

Besprochen von Sylvia Schwab

Louis Jensen: 33 Cent – um ein Leben zu retten
Aus dem Dänischen von Sigrid C. Engeler
Hanser Verlag, München 2013
156 Seiten, 12,90 Euro, ab 12 Jahre