"Schulklima gegen Rechts"
Jedes sechste Mitglied der rechtsextremen NPD ist Sachse. Im Freistaat ist die braune Partei inzwischen flächendeckend vertreten. Vor allem hat sie die Jugend fest im Blick. Die Schule wird zum Rekrutierungsfeld von rechtsextremen Jugendgruppierungen. Wichtigstes Werbemittel ist die Musik. Doch so mancher Lehrer schaut dem nicht mehr tatenlos zu.
"Ich hab gesagt, ich höre mir das erst mal an, und dann entscheide ich, und hab mit dem Schüler erstmal darüber gesprochen, warum und weshalb das nicht im Unterricht vorgespielt wird. Und darüber wissen die Schüler eigentlich Bescheid."
"Ich hab einen Schüler gehabt, der also vor einem halben Jahr mit dem Cover einer Landser-CD kam, ich hatte das entdeckt, das ist nun ein Name, den man kennt und auch weiß, wie man den einzuordnen hat, habe dann mit ihm gesprochen und auch gesagt, das hat also in der Schule nichts verloren, und ähnliches. Und hatte im Anschluss daran bei einer 10. Klasse Unterricht, die diese Diskussion mitbekam, natürlich mit mir weiterdiskutiert haben, und wo ich dann erst mal mit Erschrecken festgestellt habe, dass wohl 80 Prozent der Klasse ähnliche Musik hören."
"Also man kann Musik mitbringen, aber ich möchte dann auch wirklich Original-CDs, möchte wissen, wo die herkommen, und es sollen auch Hintergrund-Informationen. Und das ist das, wovor die meisten schon mal zurückschrecken, wenn das mit Arbeit in Zusammenhang zu bringen ist, das dann gar nicht mehr so interessant ist, man möchte das einfach mal nur vorspielen."
Lehrer-Beobachtungen aus der Praxis – Schulalltag in Sachsen. Der Rechtsextremismus ist zu einer Herausforderung für Schule und Unterricht geworden, doch das Spektrum der Auseinandersetzung mit dieser politischen Strömung bei Jugendlichen ist weit. Es reicht von Bagatellisierung bis zur Skandalisierung. Es erfordert von den Lehrerinnen und Lehrern neues und vor allem fundiertes Engagement, um dem unangenehmen Phänomen wirksam begegnen zu können. Der in der Vergangenheit proklamierte "Aufstand der Anständigen" reicht nicht mehr aus, zu weit – so warnen Experten - hat sich der Rechtsextremismus bereits in die Gesellschaft hineingearbeitet:
Dr. Klaus-Peter Hufer, Universität Essen: "Der Rechtsextremismus kommt aus der Mitte der Gesellschaft, das ist ein geflügeltes Wort in der Wissenschaft mittlerweile geworden. Man schätzt, dass das rechtspopulistische Potenzial der Menschen hier in der Bundesrepublik ungefähr bei 29 Prozent liegt. Das ist sehr viel, und nicht jeder Rechtspopulist ist gleichzeitig auch ein Rechtsextremer, nämlich auch hier ist immer auch noch die Bereitschaft zur Gewalt mit im Spiel. Das ist auch noch eine gängige Definition von Rechtsextremismus."
Klaus-Peter Hufer ist Extremismusforscher an der Universität Essen. Im Auftrag der sächsischen Diakonie betreut er unter dem Titel "Nix Rechtes" eine Reihe von Fortbildungsveranstaltungen für Jugendhilfe-Mitarbeiter. Im ersten Teil des Seminars geht es um ein Gesprächstraining gegen rechtsextreme Stammtischparolen.
"Hinter diesen Parolen steckt ja auch der Frust über eine Lebenssituation, die nicht mehr klar und nicht mehr überschaubar ist und immer komplizierter ist. Und auch Jugendliche erfahren das und suchen Zuflucht in einfach erscheinenden Welterklärungen, das sind diese Parolen."
Mit Rollenspielen lässt Trainer Hufer seine Seminarteilnehmer den Stoff erarbeiten. Die Parole, der es an diesem Tag argumentativ zu begegnen gilt, lautet, dass "Politiker ohnehin nur das tun, was sie wollen". Eine gängige Stammtischparole, die nicht nur in rechtsextremen Kreisen Konjunktur hat:
"Also es geht natürlich darum , die Hilflosigkeit zu überwinden, und es geht auch darum auch mal den Spaß- und Spielverderber abgeben zu können. Und es geht eben darum zu erkennen, dass es eben schon für einen selbst ein ganz gutes Gefühl ist, etwas gesagt zu haben, und nicht beklommen von dannen geschlichen zu sein –‚Meine Güte, warum habe ich denn hier nicht reagiert?’ Dass ich überhaupt etwas getan habe, ich brauche keine perfekte Antwort zu geben, aber fast jede Antwort ist immer noch besser, als keine Antwort."
Intensives Training brauchen auch die sächsischen Lehrer. Schließlich sind sie neben den Eltern die Ersten, die mit rechtsextremistischen Umtrieben von Schülern konfrontiert werden. Schule wird somit zwangsläufig mit den Erscheinungsformen des Rechtsextremismus konfrontiert. Sie ist die einzige Einrichtung, die über einen längeren Zeitraum Zugang zu jungen Menschen hat und dadurch helfen kann, bestimmte Muster sozialen und demokratischen Denkens und Handelns zu entwickeln.
Schule wird zum wichtigsten Stützpunkt im Kampf gegen Rechtsextremismus. Doch sind die Lehrer gut genug vorbereitet? Sind die Lehrpläne so ausgerichtet, dass sie den Schülern den Wert der Demokratie und die Verfassungsfeindlichkeit braunen Gedankengutes analytisch und überzeugend vermitteln können? Rainer Fromm ist freischaffender Journalist und Experte auf diesem Gebiet. Er sieht schwere Defizite in der aktuellen Ausrichtung der Schulen:
"Dieses Verbannen des Rechtsextremismus in den Geschichtsunterricht ist eine der zentralen Fehleinschätzungen, die im Moment passieren. Das heißt, man zeigt den Jugendlichen, so schlimm war es mal, nur das sind Belehrungen. Die Erfahrungen der Jugendlichen sind große und schlimme Erfahrungen, mit Perspektivlosigkeit, Arbeitslosigkeit, man sieht den Zerfall der eigenen Familie, weil die Eltern arbeitslos sind und mit dem Verweis auf den Nationalsozialismus komme ich dem nicht bei. Belehrungen kommen gegen Erfahrungen überhaupt nicht an. Das heißt Pädagogik im Jahr 2006 muss den Rechtsextremismus interdisziplinär erfassen, ruhig mal im Biologieunterricht über den ‚Wirrsinn einer weißen Rasse’ reden, im Erdkundeunterricht, Völkerwanderungen thematisieren, auf jeden Fall auch mal Texte durchnehmen im Englisch-Unterricht, wie viel Haß daraus spricht. Das heißt Schule ist interdisziplinär gefordert, und dieses Verbannen in den Geschichtsunterricht ist letztendlich ‚Extremistenschutz.’"
Das Reproduzieren von Klischees vom Anfang der 90er Jahre reiche nicht mehr aus, warnt Fromm, Neo-Nazis haben ihr Erscheinungsbild und ihre Agitationsformen grundlegend geändert. Rechtsradikalismus heiße heute längst nicht mehr SS, stattdessen vielmehr Umweltschutz und Anti-Globalisierung. Die Verpackung für den alten Geist sei viel moderner geworden und die subkulturelle Vielfalt breiter. Das heißt: Den Rechtsextremen ist es gelungen, in Jugendkulturen anzudocken, die früher für sie tabu waren, wie etwa die Hip-Hop-Bewegung, Dark-Wave- und Hardcore-Bewegung. In anderen Worten: Die Musik ist der Schlüssel zur Auseinandersetzung mit dem Thema:
Fromm: "Es gibt keine rechte Musik, aber es gibt viel viel Musik mit rechtsextremen Inhalten. Meistens okkupieren ja Rechtsextremisten unterschiedliche Spiele für ihre Ideologie. Hierzu kommt, dass wir heute rechtsextremen Hip-Hop haben, rechtsextremen Techno, rechtsextremen Dark Wave mit ganz starker rechtsextremer Black-Metal-Szene und ganz ganz starker rechtsextremer Skinhead-Szene. Also der Rechtsextremismus hat es geschafft, bedeutende Jugendkulturen zu okkupieren, für die eigene Ideologie. Und da ist natürlich Alarmstufe rot angesagt, weil das viel viel intensiver ist, als ein kurzfristiger Wahlerfolg. Hier werden Jugendkulturen geöffnet für menschenverachtendes Gedankengut, und es wird uns noch Jahrzehnte beschäftigen."
Meissen Anfang November: In der landeseigenen Lehrerfortbildungseinrichtung "Schloß Siebeneichen" haben sich 130 Musiklehrer aus ganz Sachsen eingefunden, um dem Phänomen rechtsextremistischer Musik nachzugehen. Über Hörproben erschließen sich die Pädagogen die musikalische Ebene der braunen Agitation:
Zwei Lehrer im Gespräch: "Was willst Du Dir anhören? … So wir hören uns mal an die … Zillertaler Türkenjäger … Zillertaler Türkenjäger? Das ist der dritte Beitrag, … Welche Art von Musik ist das? An der Nordseeküste. Das Originallied? Ja genau! Nur mit anderem Text? Hmm!"
Seit dem Einzug der NPD in den sächsischen Landtag, im September 2004, bemüht sich das Kultusministerium verstärkt um die Schulung der Lehrkräfte im Umgang mit rechtsextremen Parolen im Klassenzimmer. Spätestens seit dem aggressiven Bundestagswahlkampf der NPD in Sachsen, als die so genannte "Schulhof-CD" mit Rechts-Rock an Jugendliche kostenlos verteilt wurde, gehört die Musik zum Fortbildungsprogramm dazu:
Zwei Lehrer im Gespräch: "Das ist gängig, das kennt man! Gemütlich! Genau, das kennt man, alles freut sich, …"
Was macht diese Musik so reizvoll für Jugendliche? Sie kommen immer früher mit der Musik und dem darin transportierten Gedankengut in Kontakt. Mit kostenlos verteilten, so genannten Schulhof CDs versucht die NPD, zunehmend jüngere Anhänger zu ködern.
Fridolin Wimmer, Lehrer an einem Gymnasium im bayerischen Vilshofen, will dieser Entwicklung nicht länger tatenlos zusehen. Er hat sich dazu entschlossen, aktiv mit dem Thema umzugehen und thematisiert indizierte rechtsextremistische Musik im Unterricht.
"Ja, ich versuche das Thema Musik aus der Subjektivität des Einzelnen herauszunehmen und verwende dazu musikpsychologische Methoden, mit deren Hilfe man die affektive Wirkung von Musik aufzeigen kann. Und die Schüler hören diese Musikstücke, ich zeige da Stücke der Musikband Landser auf – das ist die Kultband im braunen Bereich, obwohl sie mittlerweile als kriminelle Vereinigung verurteilt worden ist. Also man kann sogar sehen, dass der Text Gefühle hinterlässt."
Wimmer macht keinen Hehl daraus, dass er diese Art von Musik für schleichendes Gift hält. Je öfter man die Musik höre – so seine Analyse - um so eher kämen die ideologischen Inhalte über die Emotionen rein. Die Refrains könnten sehr schnell mitgesungen werden, und man könne deutlich aufzeigen, welche Mobilisierungsfunktion die rechte Musik habe.
Sein Engagement gegen diese Musik und das ständige Bemühen um die Enttarnung ihrer Inhalte, wird von der Szene sorgfältig beobachtet. Auch Drohanrufe hat der mehrfache Vater Fridolin Wimmer bekommen. Ein Held sei er nicht, sagt er – dennoch will er nicht locker lassen. Nur durch Information und Aufklärung, so sein Credo – könne man dieser Entwicklung im Jugendbereich wirksam begegnen:
"Es ist mittlerweile so, dass alle Musikrichtungen von rechtsradikalen Bands vereinnahmt wurden, Hip-Hop-Bereich, Liedermacher, Country und Western, Mittlerweile ist alles usurpiert. Also jeder findet eigentlich seinen Musikgeschmack, aber unterlegt mit rechtsradikalen Texten. Und wenn mir die Musik gefällt, dann sind die Kumpels dabei, dann spielt ein bissel Alkohol eine Rolle, dann kommt ein gewisser Gruppenzwang dazu, und schon ist eigentlich die Mobilisierungsfunktion wieder gegeben, und auch über die Musik die Politisierungsfunktion. Und das heißt, die Ideologie kommt automatisch über die Musik herein, denn Musik spricht schlicht und einfach die Emotionen des Menschen an."
Um rechtsextremen Strömungen im Klassenzimmer wirksam zu begegnen, müssten Lehrkräfte auch die kleinen Symbole und Abzeichen erkennen können, die die Szene als unauffällige Erkennungszeichen sichtbar nach außen trägt. Wer diese Zeichen nicht deuten kann, der hat schon verloren. Erschwerend kommt hinzu, dass sich die rechtsextreme Szene ständig wandelt, wie die Mittelschullehrerin Toni Walder aus dem Vogtland beobachtet:
"Das Problem für uns ist, wir kriegen es 90 Prozent nicht mit, wenn Schüler dieses Gedankengut haben, oder in diese Richtung tendieren. Und wir kriegen es auch bei vielen der Logos nicht mit, weil wir auch nicht so bis ins letzte Detail informiert sind, was es alles in dieser Szene gibt, die sich ja nun wirklich auch mit der entgegen gesetzten Szene vermischt – langsam.
Für mich zu Beispiel wirklich das Problem, ich müsste ja ständig auf dem Laufenden sein, das bin ich nicht. Ich müsste im Grunde alle 14 Tage, alle drei Wochen wahrscheinlich in meinem Kopf ein neues Update haben, was ist nun gerade aktuell, was hören die sich gerade an, das kann ich nicht."
Nur noch jeder Dritte im Osten Deutschlands hat Vertrauen in die Demokratie, sagen jüngste Umfragen. Besonders unter Jugendlichen ist die Demokratieverdrossenheit weit verbreitet. Für die Lehrerinnen und Lehrer an sächsischen Schulen ein schwieriges Umfeld, dennoch glauben die Teilnehmer des Fortbildungskurses an der sächsischen Lehrerakademie, dass der Ansatz – offensiv mit braunen Parolen und rechtsextremer Musik an Schulen umzugehen - der Richtige ist. Der Pädagoge Axel Redder, der an einer Mittelschule in Chemnitz unterrichtet, meint:
"Dass man mal die Texte auseinanderklamüsert und anderen Schülern, die vielleicht dort eher bloß mitlaufen, eher begreiflich macht, dass eigentlich manchmal gar nichts dahinter ist, und dass die Ziele eigentlich sehr aufgesetzt sind, also man kann da eine ganze Menge machen - vielleicht ein kleines Augenöffnen, bei einigen zumindest."
"Ich hab einen Schüler gehabt, der also vor einem halben Jahr mit dem Cover einer Landser-CD kam, ich hatte das entdeckt, das ist nun ein Name, den man kennt und auch weiß, wie man den einzuordnen hat, habe dann mit ihm gesprochen und auch gesagt, das hat also in der Schule nichts verloren, und ähnliches. Und hatte im Anschluss daran bei einer 10. Klasse Unterricht, die diese Diskussion mitbekam, natürlich mit mir weiterdiskutiert haben, und wo ich dann erst mal mit Erschrecken festgestellt habe, dass wohl 80 Prozent der Klasse ähnliche Musik hören."
"Also man kann Musik mitbringen, aber ich möchte dann auch wirklich Original-CDs, möchte wissen, wo die herkommen, und es sollen auch Hintergrund-Informationen. Und das ist das, wovor die meisten schon mal zurückschrecken, wenn das mit Arbeit in Zusammenhang zu bringen ist, das dann gar nicht mehr so interessant ist, man möchte das einfach mal nur vorspielen."
Lehrer-Beobachtungen aus der Praxis – Schulalltag in Sachsen. Der Rechtsextremismus ist zu einer Herausforderung für Schule und Unterricht geworden, doch das Spektrum der Auseinandersetzung mit dieser politischen Strömung bei Jugendlichen ist weit. Es reicht von Bagatellisierung bis zur Skandalisierung. Es erfordert von den Lehrerinnen und Lehrern neues und vor allem fundiertes Engagement, um dem unangenehmen Phänomen wirksam begegnen zu können. Der in der Vergangenheit proklamierte "Aufstand der Anständigen" reicht nicht mehr aus, zu weit – so warnen Experten - hat sich der Rechtsextremismus bereits in die Gesellschaft hineingearbeitet:
Dr. Klaus-Peter Hufer, Universität Essen: "Der Rechtsextremismus kommt aus der Mitte der Gesellschaft, das ist ein geflügeltes Wort in der Wissenschaft mittlerweile geworden. Man schätzt, dass das rechtspopulistische Potenzial der Menschen hier in der Bundesrepublik ungefähr bei 29 Prozent liegt. Das ist sehr viel, und nicht jeder Rechtspopulist ist gleichzeitig auch ein Rechtsextremer, nämlich auch hier ist immer auch noch die Bereitschaft zur Gewalt mit im Spiel. Das ist auch noch eine gängige Definition von Rechtsextremismus."
Klaus-Peter Hufer ist Extremismusforscher an der Universität Essen. Im Auftrag der sächsischen Diakonie betreut er unter dem Titel "Nix Rechtes" eine Reihe von Fortbildungsveranstaltungen für Jugendhilfe-Mitarbeiter. Im ersten Teil des Seminars geht es um ein Gesprächstraining gegen rechtsextreme Stammtischparolen.
"Hinter diesen Parolen steckt ja auch der Frust über eine Lebenssituation, die nicht mehr klar und nicht mehr überschaubar ist und immer komplizierter ist. Und auch Jugendliche erfahren das und suchen Zuflucht in einfach erscheinenden Welterklärungen, das sind diese Parolen."
Mit Rollenspielen lässt Trainer Hufer seine Seminarteilnehmer den Stoff erarbeiten. Die Parole, der es an diesem Tag argumentativ zu begegnen gilt, lautet, dass "Politiker ohnehin nur das tun, was sie wollen". Eine gängige Stammtischparole, die nicht nur in rechtsextremen Kreisen Konjunktur hat:
"Also es geht natürlich darum , die Hilflosigkeit zu überwinden, und es geht auch darum auch mal den Spaß- und Spielverderber abgeben zu können. Und es geht eben darum zu erkennen, dass es eben schon für einen selbst ein ganz gutes Gefühl ist, etwas gesagt zu haben, und nicht beklommen von dannen geschlichen zu sein –‚Meine Güte, warum habe ich denn hier nicht reagiert?’ Dass ich überhaupt etwas getan habe, ich brauche keine perfekte Antwort zu geben, aber fast jede Antwort ist immer noch besser, als keine Antwort."
Intensives Training brauchen auch die sächsischen Lehrer. Schließlich sind sie neben den Eltern die Ersten, die mit rechtsextremistischen Umtrieben von Schülern konfrontiert werden. Schule wird somit zwangsläufig mit den Erscheinungsformen des Rechtsextremismus konfrontiert. Sie ist die einzige Einrichtung, die über einen längeren Zeitraum Zugang zu jungen Menschen hat und dadurch helfen kann, bestimmte Muster sozialen und demokratischen Denkens und Handelns zu entwickeln.
Schule wird zum wichtigsten Stützpunkt im Kampf gegen Rechtsextremismus. Doch sind die Lehrer gut genug vorbereitet? Sind die Lehrpläne so ausgerichtet, dass sie den Schülern den Wert der Demokratie und die Verfassungsfeindlichkeit braunen Gedankengutes analytisch und überzeugend vermitteln können? Rainer Fromm ist freischaffender Journalist und Experte auf diesem Gebiet. Er sieht schwere Defizite in der aktuellen Ausrichtung der Schulen:
"Dieses Verbannen des Rechtsextremismus in den Geschichtsunterricht ist eine der zentralen Fehleinschätzungen, die im Moment passieren. Das heißt, man zeigt den Jugendlichen, so schlimm war es mal, nur das sind Belehrungen. Die Erfahrungen der Jugendlichen sind große und schlimme Erfahrungen, mit Perspektivlosigkeit, Arbeitslosigkeit, man sieht den Zerfall der eigenen Familie, weil die Eltern arbeitslos sind und mit dem Verweis auf den Nationalsozialismus komme ich dem nicht bei. Belehrungen kommen gegen Erfahrungen überhaupt nicht an. Das heißt Pädagogik im Jahr 2006 muss den Rechtsextremismus interdisziplinär erfassen, ruhig mal im Biologieunterricht über den ‚Wirrsinn einer weißen Rasse’ reden, im Erdkundeunterricht, Völkerwanderungen thematisieren, auf jeden Fall auch mal Texte durchnehmen im Englisch-Unterricht, wie viel Haß daraus spricht. Das heißt Schule ist interdisziplinär gefordert, und dieses Verbannen in den Geschichtsunterricht ist letztendlich ‚Extremistenschutz.’"
Das Reproduzieren von Klischees vom Anfang der 90er Jahre reiche nicht mehr aus, warnt Fromm, Neo-Nazis haben ihr Erscheinungsbild und ihre Agitationsformen grundlegend geändert. Rechtsradikalismus heiße heute längst nicht mehr SS, stattdessen vielmehr Umweltschutz und Anti-Globalisierung. Die Verpackung für den alten Geist sei viel moderner geworden und die subkulturelle Vielfalt breiter. Das heißt: Den Rechtsextremen ist es gelungen, in Jugendkulturen anzudocken, die früher für sie tabu waren, wie etwa die Hip-Hop-Bewegung, Dark-Wave- und Hardcore-Bewegung. In anderen Worten: Die Musik ist der Schlüssel zur Auseinandersetzung mit dem Thema:
Fromm: "Es gibt keine rechte Musik, aber es gibt viel viel Musik mit rechtsextremen Inhalten. Meistens okkupieren ja Rechtsextremisten unterschiedliche Spiele für ihre Ideologie. Hierzu kommt, dass wir heute rechtsextremen Hip-Hop haben, rechtsextremen Techno, rechtsextremen Dark Wave mit ganz starker rechtsextremer Black-Metal-Szene und ganz ganz starker rechtsextremer Skinhead-Szene. Also der Rechtsextremismus hat es geschafft, bedeutende Jugendkulturen zu okkupieren, für die eigene Ideologie. Und da ist natürlich Alarmstufe rot angesagt, weil das viel viel intensiver ist, als ein kurzfristiger Wahlerfolg. Hier werden Jugendkulturen geöffnet für menschenverachtendes Gedankengut, und es wird uns noch Jahrzehnte beschäftigen."
Meissen Anfang November: In der landeseigenen Lehrerfortbildungseinrichtung "Schloß Siebeneichen" haben sich 130 Musiklehrer aus ganz Sachsen eingefunden, um dem Phänomen rechtsextremistischer Musik nachzugehen. Über Hörproben erschließen sich die Pädagogen die musikalische Ebene der braunen Agitation:
Zwei Lehrer im Gespräch: "Was willst Du Dir anhören? … So wir hören uns mal an die … Zillertaler Türkenjäger … Zillertaler Türkenjäger? Das ist der dritte Beitrag, … Welche Art von Musik ist das? An der Nordseeküste. Das Originallied? Ja genau! Nur mit anderem Text? Hmm!"
Seit dem Einzug der NPD in den sächsischen Landtag, im September 2004, bemüht sich das Kultusministerium verstärkt um die Schulung der Lehrkräfte im Umgang mit rechtsextremen Parolen im Klassenzimmer. Spätestens seit dem aggressiven Bundestagswahlkampf der NPD in Sachsen, als die so genannte "Schulhof-CD" mit Rechts-Rock an Jugendliche kostenlos verteilt wurde, gehört die Musik zum Fortbildungsprogramm dazu:
Zwei Lehrer im Gespräch: "Das ist gängig, das kennt man! Gemütlich! Genau, das kennt man, alles freut sich, …"
Was macht diese Musik so reizvoll für Jugendliche? Sie kommen immer früher mit der Musik und dem darin transportierten Gedankengut in Kontakt. Mit kostenlos verteilten, so genannten Schulhof CDs versucht die NPD, zunehmend jüngere Anhänger zu ködern.
Fridolin Wimmer, Lehrer an einem Gymnasium im bayerischen Vilshofen, will dieser Entwicklung nicht länger tatenlos zusehen. Er hat sich dazu entschlossen, aktiv mit dem Thema umzugehen und thematisiert indizierte rechtsextremistische Musik im Unterricht.
"Ja, ich versuche das Thema Musik aus der Subjektivität des Einzelnen herauszunehmen und verwende dazu musikpsychologische Methoden, mit deren Hilfe man die affektive Wirkung von Musik aufzeigen kann. Und die Schüler hören diese Musikstücke, ich zeige da Stücke der Musikband Landser auf – das ist die Kultband im braunen Bereich, obwohl sie mittlerweile als kriminelle Vereinigung verurteilt worden ist. Also man kann sogar sehen, dass der Text Gefühle hinterlässt."
Wimmer macht keinen Hehl daraus, dass er diese Art von Musik für schleichendes Gift hält. Je öfter man die Musik höre – so seine Analyse - um so eher kämen die ideologischen Inhalte über die Emotionen rein. Die Refrains könnten sehr schnell mitgesungen werden, und man könne deutlich aufzeigen, welche Mobilisierungsfunktion die rechte Musik habe.
Sein Engagement gegen diese Musik und das ständige Bemühen um die Enttarnung ihrer Inhalte, wird von der Szene sorgfältig beobachtet. Auch Drohanrufe hat der mehrfache Vater Fridolin Wimmer bekommen. Ein Held sei er nicht, sagt er – dennoch will er nicht locker lassen. Nur durch Information und Aufklärung, so sein Credo – könne man dieser Entwicklung im Jugendbereich wirksam begegnen:
"Es ist mittlerweile so, dass alle Musikrichtungen von rechtsradikalen Bands vereinnahmt wurden, Hip-Hop-Bereich, Liedermacher, Country und Western, Mittlerweile ist alles usurpiert. Also jeder findet eigentlich seinen Musikgeschmack, aber unterlegt mit rechtsradikalen Texten. Und wenn mir die Musik gefällt, dann sind die Kumpels dabei, dann spielt ein bissel Alkohol eine Rolle, dann kommt ein gewisser Gruppenzwang dazu, und schon ist eigentlich die Mobilisierungsfunktion wieder gegeben, und auch über die Musik die Politisierungsfunktion. Und das heißt, die Ideologie kommt automatisch über die Musik herein, denn Musik spricht schlicht und einfach die Emotionen des Menschen an."
Um rechtsextremen Strömungen im Klassenzimmer wirksam zu begegnen, müssten Lehrkräfte auch die kleinen Symbole und Abzeichen erkennen können, die die Szene als unauffällige Erkennungszeichen sichtbar nach außen trägt. Wer diese Zeichen nicht deuten kann, der hat schon verloren. Erschwerend kommt hinzu, dass sich die rechtsextreme Szene ständig wandelt, wie die Mittelschullehrerin Toni Walder aus dem Vogtland beobachtet:
"Das Problem für uns ist, wir kriegen es 90 Prozent nicht mit, wenn Schüler dieses Gedankengut haben, oder in diese Richtung tendieren. Und wir kriegen es auch bei vielen der Logos nicht mit, weil wir auch nicht so bis ins letzte Detail informiert sind, was es alles in dieser Szene gibt, die sich ja nun wirklich auch mit der entgegen gesetzten Szene vermischt – langsam.
Für mich zu Beispiel wirklich das Problem, ich müsste ja ständig auf dem Laufenden sein, das bin ich nicht. Ich müsste im Grunde alle 14 Tage, alle drei Wochen wahrscheinlich in meinem Kopf ein neues Update haben, was ist nun gerade aktuell, was hören die sich gerade an, das kann ich nicht."
Nur noch jeder Dritte im Osten Deutschlands hat Vertrauen in die Demokratie, sagen jüngste Umfragen. Besonders unter Jugendlichen ist die Demokratieverdrossenheit weit verbreitet. Für die Lehrerinnen und Lehrer an sächsischen Schulen ein schwieriges Umfeld, dennoch glauben die Teilnehmer des Fortbildungskurses an der sächsischen Lehrerakademie, dass der Ansatz – offensiv mit braunen Parolen und rechtsextremer Musik an Schulen umzugehen - der Richtige ist. Der Pädagoge Axel Redder, der an einer Mittelschule in Chemnitz unterrichtet, meint:
"Dass man mal die Texte auseinanderklamüsert und anderen Schülern, die vielleicht dort eher bloß mitlaufen, eher begreiflich macht, dass eigentlich manchmal gar nichts dahinter ist, und dass die Ziele eigentlich sehr aufgesetzt sind, also man kann da eine ganze Menge machen - vielleicht ein kleines Augenöffnen, bei einigen zumindest."