Diktatur-Alltag als Unterrichtsfach
Eine ganze Generation im Osten Deutschlands kennt die DDR nur noch aus Erzählungen, wenn überhaupt. Die sächsische Landesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen will das ändern – und schickt Schauspieler in Schulen, um die DDR im Klassenzimmern wieder auferstehen zu lassen.
"Ich grüße die Klasse mit dem Gruß der Freien Deutschen Jugend – Freundschaft!"
"Freundschaft!"
"Das hat lang gedauert, wir machen das wieder so, wie es richtig ist. Aufstehen! Und auf mein Freundschaft ein kräftiges Freundschaft zurück."
"Freundschaft!"
"Freundschaft!"
"Na also, setzen!"
Holzdielen, eine rote Wandvertäfelung, vorn eine grüne Tafel: Der Klassenraum in der Berufsschule für Gastgewerbe ist ein Vorkriegsbau, in dem längst moderne Stühle und Tische stehen und ein Beamer unter der Decke hängt. Heute machen die 24 Schülerinnen und Schüler der 13. Klasse eine Zeitreise in die 1980er-Jahre. Mit energischen Schritten betritt eine zierliche dunkelhaarige Frau die Klasse, begleitet von einem großen und kräftigen Mann.
"Ich möchte Euch Genosse Hoffmann vom Ministerium für Volksbildung vorstellen."
"Guten Morgen, liebe Schülerinnen und Schüler."
"Guten Morgen."
"Ja, der Anlass ist leider sehr ernst. Auf unsere Wandschulzeitung im Erdgeschoss wurde vom Schüler Konrad Teßmar – Wo sitzt er? Du musst Dich nicht verstecken – eine Schmiererei angebracht mit dem Inhalt 'Freie Wahlen auch in der DDR'. Die darin verpackte ungeheuer Behauptung, dass in unserer Republik freie Wahlen nicht möglich sei, frei zu wählen, beweist dass Konrad nicht würdig ist, in unserer Schule seine Bildung zu erhalten."
Konrad, rosa T-Shirt und verwuschelte Haare, wirkt amüsiert – aber auch verunsichert. Er muss das Klassenzimmer verlassen.
"Bei uns ist kein Platz für Verräter!"
"Ihr habt mit Euerm Verhalten Euern reifen Klassenstandpunkt unter Beweis gestellt. Bei uns ist kein Platz für Verräter!"
Eine Meinungsäußerung, die das eigene Abitur bedroht. In kurzen Sketchen stellen die Schauspieler Szenen nach die in der DDR für Jugendliche alltäglich waren und manchmal auch ihr Leben bestimmt haben: die Verteilung von Studienplätzen, bei denen manche nicht berücksichtigt werden – trotz guter Noten; Wehrübungen, um im Ernstfall dem Feind aus dem Westen die Stirn bieten zu können; streng geheime Aufklärung über die Grenzanlagen der DDR, aber immer wieder auch die Eingriffe in die Privatsphäre.
"Machen wir mal wieder Taschenkontrolle, was?! Also, wie immer alles auf die Bänke an Taschen."
Ein Rebell wird zum Stasi-Mitarbeiter
Es wird viel gegrinst, aber die Dresdner Schüler spielen mit. Insbesondere der Rebell Konrad. Er verteidigt zunächst seine Einstellungen, bekommt eine neue Chance an einer anderen Schule. Aber dann die Kehrtwende: Immer wieder führt er vor der Klasse vertrauensvolle Gespräche über seine Zukunft mit dem Genossen vom Ministerium für Volksbildung – der natürlich eigentlich einen eigenen Arbeitgeber hat.
"Also ich bin nicht der Bernd, sondern Major Krause und ich bin Angehöriger des Ministeriums für Staatssicherheit. Ich bin auf der Suche nach jungen Menschen, die vielleicht später, wenn sie 18 geworden sind, vielleicht zu uns kommen wollen, und da nehmen wir natürlich nicht jeden."
Das erhoffte Studium, Privilegien und eine gute Bezahlung winken Konrad. Vorher müsste aber sein Umfeld geprüft werden.
"Kannst Du Dir vorstellen, dass wir da in Zukunft gut zusammen arbeiten können?"
"Ich denke schon, ja. Da kann ich dann toll für den Staat eintreten. Und sowas ist mein Ding."
"Naja, hast ja noch eine schöne Zukunft vor Dir."
Dann ist die Performance vorbei, alle schlüpfen aus ihren Rollen. Und diskutieren das Erlebte, vor allem Konrads Wandlung vom Rebellen zum Mitläufer.
"Ich saß die ganze Zeit da und dachte: Das tut er jetzt nicht."
Und auch Konrad fragt sich: Wie wäre mein Leben verlaufen, wenn ich 30 Jahre früher in diesem Klassenzimmer gesessen hätte?
"Man denkt ja dann auch selbst drüber nach, wenn man dann aufgezeigt bekommt: Ja entweder Du beugst Dich jetzt dem, was der Gesetzgeber vorsieht oder Du bist weiter der Rebell, auch wenn es aus der eigenen Moral her richtig ist, dann hat man das Problem, das alles, was man bisher gemacht hat, umsonst war. Eben diese Druckmittel, die tun dann praktisch weh."
Das hat auch Mitschülerin Berenike so erlebt:
"Ich hab mich eingeschränkt in meiner Persönlichkeit gefühlt. Weil man einfach das Gefühl hatte, wenn ich jetzt wirklich das sage, was ich dazu denke, dann könnte ich aufstehen und gehen."
Wie fühlt es sich an, in einer Diktatur zu leben?
Ein Gefühl, das Schauspieler Thomas Förster aus seiner Jugend in Ost-Berlin kennt. Dies den Jugendlichen nachfühlbar zu vermitteln, ist wichtig, je länger die Diktatur vorbei ist, findet er.
"Was natürlich ein bisschen die Gefahr ist, ist dass man, indem man es nicht weiß, dass man, wenn die Gefahr einer neuen Diktatur oder ähnliches heraufzieht, was, wenn man sich in der Welt umschaut, ja jetzt nicht so weit hergeholt ist , dass also auch die Welt sich durchaus in solche Bahnen hinbewegen könnte, wäre es eigentlich gut, dass man die Alarmzeichen früh erkennt. Das heißt natürlich zuallererst, dass man wissen muss, was sind die Vorteile, wenn ich in einer Demokratie lebe und wie fühlt es sich an, wenn ich in einer Diktatur lebe. Das wäre natürlich unser Ansinnen, das einfach bewusst zu machen."