Schulpsychologe über Mordfall in Lünen

"Es gibt keine unbeschulbaren Schüler"

Zwei Jugendliche während einer Rangelei (Symbolbild).
Gewaltbereite Schüler brauchen dringend Hilfe, sagt Schulpsychologe Klaus Seifried. © picture alliance / Marcus Führer
Klaus Seifried im Gespräch mit Liane von Billerbeck |
Ein 15-jähriger Schüler ersticht seinen Mitschüler. Der Täter gilt als äußerst schwierig. Darf man solche Kinder als hoffnungslose Fälle abtun? Nein, sagt Schulpsychologe Klaus Seifried. Solche Schüler bräuchten besondere Zuwendung.
Einen Tag nach der Bluttat an der Käthe-Kollwitz-Schule im westfälischen Lünen soll der tatverdächtige 15 Jahre alte Schüler dem Haftrichter vorgeführt werden. Der Jugendliche soll am Dienstag einen Mitschüler erstochen haben - angeblich, weil dieser seine ebenfalls anwesende Mutter mehrfach provozierend angeschaut habe.
Offenbar ist der Junge polizeilich bereits aufgefallen – er gelte als "aggressiv und unbeschulbar", heißt es nach Einschätzung der für ihn zuständigen Sozialarbeiterin. "Unbeschulbar" – was heißt das eigentlich? Werden solche Kinder einfach aufgegeben, ohne an die Wurzel ihrer Aggression zu gehen?

Lehrer brauchen mehr Unterstützung

"Es gibt keine unbeschulbaren Schüler", sagt Klaus Seifried, Mitglied im Bundesvorstand der Sektion Schulpsychologie im Bundesverband Deutscher Psychologen. Hinter dem Wort "unbeschulbar" stecke "eigentlich ganz simpel, dass die pädagogischen Maßnahmen der Lehrerinnen und Lehrer gescheitert sind oder von den Eltern und dem Schüler abgelehnt werden."
Oft verhalte es sich so, dass "die Unterstützungsbedingungenund Rahmenbedingungen in der Schule und vor allem auch in der Familie nicht ausreichen", so Seifried.
Lehrer bräuchten deutlich mehr Unterstützung durch Sozialarbeiter und Schulpsychologen – das deutsche Schulsystem sei mit solchen Kräften unterversorgt. Dabei sei es so wichtig, dass schwierige und aggressive Schüler Einzelbetreuung erhielten.
Alarmierende Zeichen gebe es schon früh. In der klassischen Schulakte eines Problemschülers gebe es bereits in der Grundschule Konflikte mit Lehrern und Mitschülern. Dies setze sich später fort mit Rangeleien und Prügeleien auf dem Schulhof.

"Man sagt den Eltern, was ihr Kind alles nicht kann"

"Diese Kinder haben einen Misserfolg nach dem anderen in der Schule. Die Eltern werden bestellt. Man sagt den Eltern, was das Kind alles nicht kann, was ihr Kind alles falsch macht. Und so eskaliert ein Konflikt mit der Schule, der immer dramatischer wird."
Dabei sei es nicht schwierig, zu erkennen, was angeblich unbeschulbare Schüler bräuchten:
"Diese Kinder sind in einer Dauerkrise. Und sie brauchen ganz simple Dinge, die wir Erwachsene auch brauchen: Halt, Orientierung, Erfolge und positive Perspektiven."
Die Rolle der Schule sei deshalb so wichtig, weil sie in dysfunktionalen Familien und in sozialen Brennpunkten oft ein wichtiger stabilisierender Faktor sei. Zunehmende Armut und soziale Segregation vor allem in Großstädten verschärften das Problem.
(mkn)
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