Schulreform in Berlin und Brandenburg

Gelaber statt Geschichtsunterricht

Kanzlerin Angela Merkel
Auch möglich: Personen der Zeitgeschichte besuchen den Unterricht. Wie Angela Merkel am 13.08.2013 in Berlin - 52 Jahre nach Beginn des Mauerbaus. © picture alliance / dpa / Foto: Odd Andersen
Von Claudia van Laak |
Das klassische Fach Geschichte könnte in Berlin und Brandenburg bald aus den Lehrplänen für die 5. und 6. Klasse verschwinden: Es soll mit Erdkunde und Politischer Bildung zu "Gesellschaftswissenschaften" zusammengelegt werden. Geschichtslehrer befürchten eine Verflachung.
Leistungskurs Geschichte am Berliner Barnim-Gymnasium. Das Thema: Der Konflikt zwischen Welfen und Staufern am Beispiel Friedrich I. und Heinrich dem Löwen. Die Schülerinnen und Schüler sollen eine Presseerklärung schreiben.
"Und ich würde Sie jetzt erst einmal bitten zu überlegen, welche Kriterien müsste diese Presseerklärung erfüllen, Sie sollen im Auftrag Ihres Herrschers..."
Der Geschichtslehrer Robert Rauh hat vor zwei Jahren den Preis "Lehrer des Jahres" erhalten, seine Schüler hatten ihn vorgeschlagen. Rauh ruht sich nicht aus auf diesem Preis. Aktuell hat er eine Online-Petition gegen die neuen Rahmenlehrpläne für die Bundesländer Berlin und Brandenburg initiiert. Das Motto: Geschichte darf nicht Geschichte werden.
"Am meisten stört mich die Beliebigkeit und das Methoden-Diktakt. Das, was jetzt an Inhalten vorgelegt wird, in diesem neuen Rahmenlehrplan, lässt nur einen Schluss zu: dass das Fach Geschichte völlig verschwindet ...."
Mehr als 1000 Lehrer, Schüler und Eltern haben diese Petition inzwischen unterzeichnet. Unterstützt wird sie auch von den Geschichtslehrverbänden Berlin und Brandenburg. Peter Stolz ist Vorsitzender des Berliner Verbandes. Ihn stört besonders, dass in den Klassen 5 und 6 die Fächer Erdkunde, Politische Bildung und Geschichte zum Fach Gesellschaftswissenschaften zusammengelegt werden sollen.
"Das kann man auch als Gelaber bezeichnen"
"Der Historiker und der Politologe, die beschäftigen sich mit dem Problem und mit der Zeit. Der Geograf mit dem Raum. Diese Raumbeispiele hat ein Historiker normalerweise nicht parat. Das heißt, er wird auf diesem Gebiet sicher mehr dilettieren und die Schüler auch. Man unterhält sich einfach nett und wenn die Schüler auch gut erzogen sind, gesittet über gewisse Probleme … Aber es hat einfach kein Abstraktionsniveau mehr. Das kann man auch als Gelaber bezeichnen."
Die Berliner Senatsbildungsverwaltung dagegen hält die Bildung des neuen Fachs Gesellschaftswissenschaften für innovativ. Die Fächer Erdkunde, politische Bildung und Geschichte würden ja nicht aufgelöst, sagt Bildungsstaatssekretär Mark Rackles.
"Der Lehrer, die Lehrerin haben die Möglichkeit, integrativ zu arbeiten aus der Logik der Einzelfächer heraus, Sachverhalte zu beleuchten. Und nicht dass man jede vierte Stunde, jede dritte Stunde mal Geschichte macht oder Politik oder Sozialkunde, sondern tatsächlich dann die Möglichkeit hat, Sachverhalte aufzurufen, wie den Widerstand, die Revolution, die Industrielle Revolution, und eben aus den verschiedenen Perspektiven hier darauf einzugehen."
Themenschwerpunkte statt Epochenlernen
Dies ist auch eine Abkehr vom herkömmlichen chronologischen Geschichtsunterricht. Von der 5. bis zur 8. Klasse soll nicht mehr eine Epoche nach der anderen abgehandelt werden, stattdessen gibt es thematische Schwerpunkte: "Krieg und Frieden" zum Beispiel oder "Handel im Wandel" – in der Geschichtsdidaktik Längsschnittmethode genannt.
Mark Rackles: "Es ist zeitgemäß heutzutage, Geschichte nicht mehr mit einem Anfang und einem Ende zu denken, sondern das man tatsächlich über Schwerpunktthemen, Lebenswirklichkeit, zeitgemäßen Aufhängern, Problemorientierung gerade in das Fach Geschichte reingeht, um Methoden zu entwickeln und Geschichtsbewusstsein über eine Problemorientierung."
Geschichtslehrerverband befürchtet Verwirrung durch Lehrplan
Bildungsstaatssekretär Rackles hält die chronologische Methode für überholt. Der Geschichtslehrerverband dagegen nennt die im neuen Lehrplan vorgesehenen Längsschnitte "echte Leckerbissen der historischen Unvernunft". Der Lehrplan sorge für Verwirrung und individuelle Verzweiflung und sei ein didaktischer Offenbarungseid. Peter Stolz, Vorsitzender des Berliner Geschichtslehrerverbandes:
"Die Schüler bekommen kein chronologisches Wissen. Es geht nicht darum, enzyklopädisches Wissen zu schaffen. Aber es geht darum, doch ein bisschen eine validere Chronologie aufzustellen, wo es natürlich auch kleine Stationen und Schritte gibt. Aber eben nicht so große Räume, historisch gesehen, die überhaupt nicht mehr beleuchtet sind."
Noch ist der neue Geschichtslehrplan für Schulen in Berlin und Brandenburg nicht endgültig beschlossen. Ob der Protest der Lehrer allerdings Erfolg haben wird, ist schwer vorherzusagen.
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