War die Abschaffung der Hauptschule richtig?
Vor vier Jahren wurden in Berlin Haupt-, Real,- und Gesamtschulen zur Sekundarschule zusammengelegt. Eine wissenschaftliche Auswertung über deren Erfolg steht noch aus. Aber die ersten Hinweise sind positiv.
"Da ist hier unser Neubau, der Anbau, hier kommen wir in die Mensa, die ist sehr schön geworden."
Miriam Pech zeigt ihre Schule in Berlin-Weißensee. Aus der früheren Haupt- wurde die integrierte Sekundarschule "Heinz Brandt" - mit gebundenem Ganztagsbetrieb, Bibliothek und Lernbüro. Hier können die Schülerinnen und Schüler mittags versäumten Lernstoff nachholen:
"Du musst Dir genau ansehen, was ist eine Lauge, hast Du den Unterschied zwischen Lauge und Säure verstanden?"
Die Hauptschule von früher hat mit der Sekundarschule von heute fast nichts mehr zu tun, erzählt Schulleiterin Miriam Pech. Damals eine Restschule, heute eine Ganztagsschule mit starker Berufsorientierung und einer ganz anderen Schülerschaft.
"Also wir finden, es war eine wunderbare Entscheidung. Als ehemalige Hauptschule haben wir nur Vorteile gesehen und sehen das auch jetzt so."
"Wir waren früher eine Schule, die Schüler hatte, die einmal vom Gymnasium durchs System gerauscht waren, also Misserfolge hinter sich hatten. Wir sind jetzt eine Schule mit einer tatsächlichen Mischung der Schüler",
ergänzt die stellvertretende Schulleiterin Daniela Strezinski. Besonders die ehemaligen Realschullehrer mussten umdenken. Abschieben auf die Hauptschule geht nicht mehr. Auch das Sitzenbleiben wurde abgeschafft. Berlins Schulleiter sind sich in diesem Punkt nicht einig:
"Dieses Damoklesschwert des "Jetzt bleibst Du aber sitzen", das brauchen die Kinder nicht. Kinder brauchen Beratung, die brauchen ein bisschen Erfahrung, die brauchen einen Weg, was nach der Schule passiert. Da braucht man kein Sitzenbleiben."
"Es gibt Schüler, für die wäre Sitzenbleiben gut und es gibt Schüler, für die ist das jetzige System gut. Und es ist schade, dass es nur die eine Möglichkeit gibt und dass die andere Möglichkeit verbaut ist."
Heterogene Schülerschaft in den Sekundarschulen
Die Lehrerinnen und Lehrer in Berlins Sekundarschulen sitzen jetzt vor einer heterogenen Schülerschaft. Jugendliche, die nach dem Mittleren Schulabschluss eine Ausbildung machen, aber auch Schüler, die noch ein Abitur draufsetzen wollen. So wie der 14-jährige Cameron Rother:
"Mit dem Abitur will ich dann zur Polizei gehen, also mich dort bewerben. Und der Gedanke Abi war erst nach der achten Klasse nach dem Praktikum. Da habe ich Praktikum bei der Polizei gemacht, da kam mir die Idee mit dem Abitur."
In Berlin kann man sowohl am Gymnasium als auch an den Sekundarschulen Abi machen, einmal in 12, einmal in 13 Jahren. Vielleicht ein Grund dafür, dass die bundesweit scharf geführte Debatte über G8 oder G9 in der Hauptstadt so gut wie kein Thema ist. Bildungssenatorin Sandra Scheeres, SPD:
"Ich bin davon überzeugt, dass das damit zusammenhängt, weil sich die Eltern genau überlegen, ob sie möchten, dass ihr Kind in 12 oder 13 Jahren Abitur machen soll. Und dass sich Eltern auch bewusst für eine Integrierte Sekundarschule entscheiden. Und die Gespräche mit Eltern bestätigen das auch, dass sie es für eine gute Alternative für ihre Kinder halten."
Allerdings verfügen nicht alle Sekundarschulen in Berlin über eine eigene Oberstufe. Deshalb droht ein Zwei-Klassen-System, glaubt der Leiter der Friedrich-Bergius-Schule Michael Rudolph. Die guten Schüler wählten eine Sekundarschule mit eigener Oberstufe, die schlechten eine Sekundarschule, die mit der 10.Klasse endet:
"Nach meiner Beobachtung bildet sich wieder so ein kleines bisschen ein gegliedertes Schulsystem heraus. Man muss auch die Realitäten sehen. Und ich hoffe, dass sich da in Zukunft noch etwas verändern wird, dass wir da eine größere Gleichmäßigkeit unter den Sekundarschulen erreichen werden."
Eine wissenschaftliche Evaluierung der Schulreform steht noch aus, doch es gibt erste Hinweise, dass die Abschaffung der Hauptschule sinnvoll war. So haben weniger Jugendliche als zuvor die Schule ohne Abschluss verlassen, die Quote liegt derzeit bei knapp acht Prozent.